Donnerstag, 28. Juni 2012

die Frau mit dem Einkaufstrolley

Einkaufen im Supermarkt. Am Eingang war mir diese Frau mit dem Einkaufstrolley aufgefallen, den sie mit dem Einkaufswagen hinter sich herschleppte. Ihre Schritte schlurften über den Boden, als hätte sie Blei in den Füßen. Sie atmete schwer. An dem Einkaufswagen krallte sie sich fest, als könnte sie unter der Last des Einkaufstrolleys zusammenbrechen. Ihr Bewegungsapparat zeigte das Reaktionsvermögen einer Schlaftablette.

Ihr wahres Alter versteckte sie hinter ihrem wasserstoffblond gefärbten Haar. Wahrscheinlich sollte dies die zielgerichtete Botschaft sein, dass sie steinalt war. Alt und leidend. Ein Leben zum Jammern. Von allen schlecht geredet. Verschwommen und verwischt waren ihre Gesichtszüge, doch mit ihren weichen Partien um Mund und Augen hatte sie durchaus noch etwas Mädchenhaftes. Ihr Alter war schwierig einzuschätzen, vielleicht Ende 40 bis Anfang 50. Frech war ihr Blick. Tropfen von Schweißperlen standen auf ihrer Stirn.

War sie krank ? Bandscheibenvorfall ? Asthma ? Diabetes ?

Nachdem ich an der Käsetheke meinen Käsevorrat wieder aufgefüllt hatte, entdeckte ich sie am Leergutautomaten wieder. Ich beobachtete, wie sie im Zeitlupentempo leere PET-Flaschen aus ihrem Einkaufstrolley holte. Dabei war es jedes Mal eine aufwändige Stocherei, bis sie eine leere Flasche gefunden hatte. Misstrauisch begutachtete sie dann minutenlang den Automaten, wenn sie eine weitere PET-Flasche hinein warf. Als die Meldung „ALARM“ erschien, wurde sie vollends aus der Kurve geworfen. Zu keiner Reaktion fähig, blieb sie angewurzelt stehen. Mit der Fehlermeldung erstarrte ihr Blick, bis ein Verkäufer aufkreuzte, den Automaten entleerte, der anschließend mit neuem Leergut befüllt werden konnte.

Die Frau mit dem Einkaufstrolley ließ mich nicht los, denn an der Kasse war sie einige Kunden vor mir an der Reihe.

„5,72 €“ hatte ich mitbekommen, wieviel sie zu bezahlen hatte.
Ein Seufzer überfiel sie, dann beugte sie sich zur Kassiererin hinüber, kniff ihren Bauch ein. Sie rang nach Luft und überprüfte den Preis auf dem Display, der derselbe war. Dann scharte sie in ihrer abgewetzten Geldbörse herum, suchte Münze für Münze. Zwischendurch tat sich gar nichts – entweder fand sie die Münzen nicht oder sie hatte vollends den Überblick verloren.

Die Warteschlange wuchs. Wut und Ärger machten sich bei den Wartenden breit.
„5,50 € … 5,60 € … „ stammelte die Frau vor sich hin, bis sie kapitulierte. „20 €, ich hab’s nicht klein“.

So wie beim Eintreten -  bewegte sie sich nun mit der Schwerfälligkeit eines Rhinozeros von der Kasse weg. Eine gefühlte Ewigkeit brauchte die Frau, bis sie Brot, Joghurt, Salat und ein bisschen Obst in ihrem Einkaufstrolley verstaut hatte.

Ein wenig später, staunte ich draußen nicht schlecht. Eine weitere Begegnung in der Fußgängerzone. Auf einem Poller aus Beton saß die Frau in sich zusammen gesunken und gönnte sich eine Ruhepause. Ihren Einkaufstrolley in der rechten Hand, eine Zigarette in der linken Hand, war nun Zeit für eine Zigarettenpause. Gleichgültig auf einen plätschernden Brunnen starrend, sog sie den Rauch ein, pustete ihn wieder aus und qualmte dabei wie ein Schlot. Dabei sah ich, wie sich ihre Lippen bewegten. Sie murmelte etwas vor sich hin und meditierte mit sich selbst wie Mönche in einem Kloster. Offensichtlich hatte sie sich selbst jede Menge zu erzählen.

Dienstag, 19. Juni 2012

wie eine Meerjungfrau

Der Rollstuhl passte gar nicht ins Bild. Einen Augenblick dachte ich, dass er ins Schwimmbecken hinein plumpsen würde, denn von der Kante des Nichtschwimmerbeckens schwappte Wasser an die Räder, wenn herum tobende Kinder Wellen schlugen. Ihr Sohn legte sich mächtig ins Zeug: zum Schwimmen reichte es nicht, doch er ruderte mit den Armen, schlug mit den Beinen ins Wasser, das in ein unkoordiniertes Herumgespritze ausartete.

Es war ein elektrischer Rollstuhl. Lehne und Sitzfläche breiteten sich komfortabel aus, darunter versteckte sich der Motor in einem blauen Kasten. Die großen Räder ließen Leistung und PS vermuten.

Ihre Bewegungen im Nichtschwimmerbecken erinnerten mich an eine Fernsehsendung, die unsere Kleine gerne sah: H2O – plötzlich Meerjungfrau. Junge Mädchen spielten in der Fernsehsendung. Außerhalb des Wassers waren sie ganz normale Menschen. Wenn sie ans Wasser kamen, verwandelten sie sich in Meerjungfrauen mit Schwimmflossen und konnten endlos unter Wasser tauchen.

Sie war noch jung, um die 40. Ihr Gesicht trug scharf gezeichnete Züge: ihr rundes Kinn stach heraus, ihre festen Backenknochen schoben sich bis zu ihrem Mund, die Falten auf ihrer Stirn lagen dicht zusammen. Ihre langen, schwarzen Haare reichten weit über ihre Schultern hinab. Mollig war sie, fast schon dick, und ihr massiger Körper tauchte unter Wasser.

Sie hatte keine Schwimmflosse, aber beide Beine zusammengeklemmt. Auf und ab schwammen ihre Beine, sie verliehen ihr Sicherheit. Wie bei einer Meerjungfrau, verdrängten ihre Beine mit einem Minimum an Bewegung das Wasser. Die Schwimmbewegungen ihrer Arme waren glatt, geschmeidig, voller Anmut, leicht, spielerisch, schwebend über dem Wasser. Das sah routiniert aus – ihr Körper befand sich in einem Gleichgewicht. Die Situation hatte sie im Griff, denn wenn ihre Beine nicht mehr gehorcht hätten, hätte sie festen Boden unter den Füßen gehabt – schließlich befand sie sich im Nichtschwimmerbecken.

Der Kraftakt begann, als sie das Schwimmbecken verlassen wollte. Bis zu den Treppenstufen schwamm sie. Mit den Händen krallte sie sich am Geländer fest, sie griff nach einer Krücke am Beckenrand. Hell wie Silber, schillerte der Stiel der Krücke, als diese unter Wasser getaucht war. In der linken Hand die Krücke, die rechte Hand am Geländer, musste sie nun ihren Körper aus dem Schwimmbecken bewegen. Doch er weigerte sich hartnäckig. Wie betäubt blieb er im Wasser stehen, und erst jetzt realisierte ich, dass sie ab der Hüfte querschnittsgelähmt war. Es war eine Energieleistung, als müsste sie zentnerschwere Gewichte schleppen. Nach vorn gebeugt, zerrte sie ihren Körper vorwärts, Treppenstufe für Treppenstufe. Wahrscheinlich fluchte sie innerlich, dass die Beine nicht gehorchten, wieso zuvor im Schwimmbecken alles leicht beschwingt klappte und nun vollständig missriet. Aus dem Schwimmbecken heraus gekrochen, bäumte sich eine letzte Hürde auf: der Rollstuhl. Mental hatte sie sich im Griff. Ihre Gesichtszüge waren wie versteinert, Hochspannung und Konzentration wie beim Elfmeterschießen beim Fußball. Eine knappe, unscheinbare Drehung auf Krücken, und ihr Gesäß und ihr Oberkörper waren im Rollstuhl angekommen.

Sie lehnte sich zurück, und ihr fahriger Gesichtsausdruck bekam weichere Töne. Auf der Armlehne zirkelte sie mit ihren Fingern herum. Unter dem blauen Kasten begann der Motor zu surren. Eine Weile zögerten die Räder, bis sie den Rollstuhl nach vorn bewegten.

Die Frau hatte bemerkt, dass ich sie beobachtet hatte. Für einen kurzen Augenblick trafen sich unsere Blicke. Wahrscheinlich haben wir uns blind verstanden. Achtung und Bewunderung habe ich ihr entgegen gebracht, das war eine enorme körperliche Höchstleistung. Zufrieden lächelte sie, und in ihrem Rollstuhl schlich sie sich leise in die Umkleidekabine. Brav, diszipliniert, ohne ein Wort zu sagen, trottete ihr Sohn hinterher.

Montag, 18. Juni 2012

Wochenrückblick #24

Im Fernsehen
Gestern Abend wurde auf ARTE an den 40. Todestag von Margaret Rutherford erinnert;  ihr wurde ein kompletter Themenabend gewidmet. Durch die Verfilmungen von „Miss Marple“ war sie in den 60er Jahren bekannt geworden. Ihre Schlagfertigkeit, Entschlossenheit und Geistesgegenwart, mit der sie als Hobbydetektivin ihre Kriminalfälle gelöst hat, habe ich seit jeher bewundert. Gezeigt wurde unter anderem die Verfilmung von „16 Uhr 50 ab Paddington“. Von dem Themenabend habe ich leider nicht allzu viel mitbekommen, da parallel das EM-Spiel Deutschland gegen Dänemark gezeigt wurde. Fußball genießt in einem solchen Fall doch eine höhere Priorität.

Erdbeeren
Bei schönem Wetter ist derzeit auf den Feldern hinter unserem Ort die Hölle los, denn die Erdbeeren sind reif und dort kann man selbst Erdbeeren pflücken. Wegweiser mit einer Erdbeere führen von weithin zu den Feldern. Bei schönem Wetter sorgen Einweiser dafür, dass jedes Auto einen ordnungsgemäßen Parkplatz findet und dass man den richtigen Weg zu den Erdbeeren findet. Körbe- und eimerweise tragen Familien mit Kind und Kegel die leckeren Köstlichkeiten wieder nach Hause. Am Verkaufsstand – ohne selbst zu pflücken – holen wir uns die Erdbeeren. Wir genießen aber auch Erdbeeren aus unserem eigenen Garten. Im Handumdrehen ist eine Tagesportion Erdbeeren aufgegessen !

Wilde Müllkippe
Erst waren es Porzellanscherben auf der Straße, auf die ich als Fahrradfahrer sensibel reagiere. Dann traute ich meinen Augen nicht, als ich in das schmale Waldstück hineinschaute: ein Zeitgenosse wusste wohl nicht so richtig, wohin er seinen Bauschutt entsorgen wollte. Möglicherweise fehlte das Geld für einen Container, wahrscheinlich dauerte es ihm auch zu lange, um den Bauschutt stückchenweise – verteilt über mehrere Monate – in den Restmüll zu entsorgen. Mitten vor das Waldstück hatte er seinen Bauschutt entsorgt. Sonst kenne ich so etwas eigentlich nur von früheren Spanien-Urlauben (selbst dort ist es im Verlauf der Jahre immer seltener geworden). Das werde ich mit Foto und Standort im Verlauf des Tages dem Ordnungsamt mitteilen  - hoffentlich können die den Verursacher herausfinden.

Schwimmkurs
Seit April läuft der Folgekurs für unser kleines Mädchen. Der Kurs macht ihr sehr viel Spaß, und wahnsinnig gerne plantscht sie im Wasser herum. Zuletzt hatte mir der Schwimmlehrer gesagt, dass sie den Dreh, mit den Beinen richtig zu schwimmen, noch nicht herausgefunden hat. Dreimal findet der Kurs noch statt, danach müssen wir sehen, wie es mit der Schwimmerei weiter geht. Inwieweit es uns als Eltern gelingt, ihr schwimmen beizubringen, vermag ich nicht einzuschätzen. Momentan betrachte ich dies nicht als tragisch, da unser Mädchen ja erst sieben Jahre alt ist und irgendwie bestimmt demnächst schwimmen lernt.

Rasenmäher
Als das Frühjahr begonnen hatte und wir unseren Rasen das erste Mal mähen wollten, ist unser Benzin-getriebener Rasenmäher nicht angesprungen. 2 Jahre alt ist unser Rasenmäher, und die Ursache hatte ich bei meiner allgemeinen Schludrigkeit schnell gefunden: unser Rasenmäher war noch nicht gewartet worden. Mit Hilfe der Gebrauchsanweisung glaubte ich, selbst die Wartung durchführen zu können. Als erstes musste der Zustand der Zündkerzen überprüft werden. Um die Zündkerze heraus zu schrauben, stieß ich schnell auf Probleme, da ich keinen Zündkerzenschlüssel besaß. Für eine einmalige Aktion wollte ich mir dieses Werkzeug nicht kaufen, daher habe ich in unserer Autowerkstatt nachgefragt. Daraufhin stellte mir der freundliche Junior-Chef eine passende Nuß zur Verfügung. Als ich mit der Nuß zu Hause die Zündkerze herausschrauben wollte, fehlte mir aber ein passender Maulschlüssel (die Größe war zu groß und ich besaß nur Maulschlüssel, die zu klein waren). Diesen erhielt ich bei unserem Nachbarn, der mir freundlicherweise die passende Größe zur Verfügung stellte. Zündkerze gewechselt, der Rasenmäher sprang immer noch nicht an. Der nächste Arbeitsschritt bei der Wartung war ein Ölwechsel. Im Baumarkt besorgte ich mir Motoröl (für Rasenmäher, ist anderes Motoröl wie für PKW). Richtig durchdacht hatte ich aber nicht, wie ich genau den Ölwechsel durchführen wollte und wohin mit dem Alt-Öl. Diskussion mit meiner Frau: „in welches Behältnis ?“ … „leere Dosen haben wir genug“ … „die Dose ist aber offen“ … „dann muss ich etwas geschlossenes nehmen“ … „nein, du brauchst so ein Art Ölwanne, die flach ist … wie ich dich kenne, fließt etwas daneben und dann versaust du die ganze Garage“ … „hmmm“ … „aus dieser Ölwanne musst du das Öl in das geschlossene Behältnis so umschütten, dass nichts daneben läuft …“. Bei dieser Diskussion habe ich kapituliert. Zumal ich kein geborener Handwerker bin. An manches traue ich mich heran. Aber wenn der Plan, wie ich es machen will, so viele Lücken aufweist, lasse ich es lieber sein. Ich habe den Rasenmäher in das Geschäft gebracht, wo wir ihn gekauft haben. Letzten Samstag sind wir angerufen worden, dass der Rasenmäher wieder läuft.

Song der Woche
Als nach dem Fußballspiel Deutschland gegen die Niederlande bei Markus Lanz getalkt wurde, war auch Wolfgang Niedecken als FC-Fan dabei. Danach hatte ich Lust bekommen, in einige Stück von BAP hinein zu hören. Meine Auswahl fiel auf „Ne schöne jroooß“:

Ne schöne Jrooß ahn all die, die unfählbar sinn,
vun nix en Ahnung hann, die ävver, immerhin
su dunn als ob,
weil op Fassade, do stonn se halt drop.

Ich kenne etliche Zeitgenossen, die genau in dieses Bild hinein passen.



Donnerstag, 31. Mai 2012

Ethik und Konsum

In regelmäßigen Zyklen flammt diese Diskussion bei uns zu Hause auf. Diesmal war es Kindersklaverei in der Elfenbeinküste. Kinder wurden als Sklaven gehalten und halfen auf den Kakaoplantagen bei der Ernte. Erbost waren wir alle und wollten keine Schokolade mehr essen und keinen Kakao mehr trinken.

Solche Themen finden sich auch in meinen Blogs wieder. So hatte ich über den ARD-Marken-Check berichtet, in dem Unternehmen wie H&M, Ferrero oder SATURN an den Pranger gestellt wurden. Regelmäßig geht es dort um menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und Ausbeutung, insbesondere in der Dritten Welt. Den Fernsehbericht über Kindersklaverei in der Elfenbeinküste hatte ich vor, genauso in meinem Blog zu platzieren. Der Effekt wäre aber so gewesen wie bei unseren Diskussionen zu Hause: Vor Wut hätte ich gekocht. Auf die Firmen, die daran verdienen, hätte ich geschimpft. Danach wäre aber wieder alles verpufft und hätte seinen gewohnten Gang genommen. Bis der nächste Fernsehbericht ausgestrahlt wird und die Wirkung danach wieder verpufft. Wie ein Rad, das sich endlos dreht, aber nicht von der Stelle kommt.

Ethik und Konsum – als Verbraucher kann ich eigentlich Macht ausüben, für welchen Anbieter ich mich bei meinem Kauf entscheide. Bei näherem Hinsehen stelle ich aber fest, dass ich auf ein unentwirrbares Dickicht stoße. Und dass ich eher selten eine Kaufentscheidung nach den Kriterien der Vernunft treffen kann.

Klar: die Öko-Bewegung hat einiges bewirkt – so dachte in der Automobilindustrie in den 70er Jahren noch niemand an Katalysatoren, bleifreies Benzin oder Rußpartikelfilter. In der Textilindustrie gibt es mittlerweile weltweit ca. 100.000 Qualitätszertifikate, mit dessen Hilfe über alle Wertschöpfungsstufen die Umweltfreundlichkeit von Textilfasern bewertet wird. Fairtrade stellt sicher, dass Arbeiter in der Dritten Welt bei der Ernte von Bananen, Kaffee oder Kakao angemessen entlohnt werden – ohne Kinderarbeit. Bei uns im Rhein-Sieg-Kreis gibt es eine Ethik-Bank, die mit ihrem Kapital nur ethisch vertretbare Vorhaben finanziert.

Trotz dieser positiven Beispiele kriege ich als Verbraucher keinen Griff an meine Kaufentscheidungen. Zu viel Zeitaufwand geht drauf, um mir solche Informationen zu beschaffen. Schlimmer noch: die Botschaften stimmen nicht, denn es wimmelt nur so von Widersprüchen. Einerseits sponsert Ferrero Projekttage an Schulen, die gesunde Ernährung und Bewegung in den Vordergrund stellen, andererseits bezieht Ferrero seine Haselnüsse aus der Türkei, wo Kinder bei der Ernte helfen. Der Touristik-Konzern TUI wirbt mit nachhaltigen Hotels in Urlaubsgebieten und vergisst gleichzeitig die Betonwüsten an mediterranen Stränden, die er selbst mit aufgebaut hat. Der Energiekonzern RWE bietet Öko-Strom aus Laufwasserkraftwerken an und war in der Vergangenheit ein vehementer Verfechter von Atomkraftwerken.

Ethik und Konsum – das Dickicht nimmt kein Ende und die Verwirrungstaktik von Meinungsmachern und Konzernen scheint aufzugehen. Nicht mehr als Nischenexistenzen sind die positiven Beispiele, die glaubwürdig klingen und keine Doppelmoral betreiben. So eine Art Subkultur, Auflehnung, Randgruppe, aber keine Massenbewegung. An den Leitbildern großer Konzerne darf ich mich ohnehin nicht orientieren. All diese kleinen Ethik-orientierten Ansätze muss ich wie ein Puzzle zusammensetzen – bis ich zum Schluss merke, dass weit mehr als die Hälfte der Puzzlestücke fehlt. In den kleinen Bewegungen wird fleißig getreten und etwas bewegt, aber in Summe – im Großen – bleibt das Rad auf der Stelle stehen. Die globalisierte Wertschöpfungskette leistet ein übriges, um Ethik und Konsum zu verwässern. Wie die Warenflüsse um den Globus kreisen und welche Teile aus welchen Ländern in welchen Produkten landen, dazu bedarf es genauer Stücklisten, um dies festzustellen. Und diese hat der Verbraucher üblicherweise nicht.

Ethik und Konsum – zum Schluß manövriert sich der Verbraucher selbst ins Abseits. Der Einfluss von Faktoren wie Nachhaltigkeit auf die Kaufentscheidung wird wahrscheinlich überschätzt. Vergesslichkeit kennzeichnet die Masse der Verbraucher, denn man muss denken, um nachhaltig einzukaufen. Eltern aller Einkommensschichten kaufen asiatisches Billigspielzeug. Klamotten-Ketten wachsen, in denen sich Kunden für 30 € komplett einkleiden können. Apple meldet Absatzrekorde für iPhones und iPads, obwohl jeder weiß, dass Arbeiter sie zusammengeschraubt haben, die schuften müssen, bis sie zusammenbrechen. Bei LIDL, ALDI & Co nehmen die Warteschlangen kein Ende, wenn Montag morgens die Schnäppchenjagd eröffnet wird.

Ethik und Konsum – offensichtlich sind dies Welten, die nicht zusammenpassen. Da kann das Fernsehen noch so viele Markenchecks zeigen. Zuletzt war Adidas an der Reihe. Da können noch so viele Unternehmen an den Pranger gestellt werden – wegen Kinderarbeit oder sogar Sklaverei. Wieder erschreckt eine Fieberkurve der Empörung den Fernsehzuschauer. In gewohnter Heftigkeit wird bei uns zu Hause diskutiert – mehr passiert nicht.

Business as usual.

Dienstag, 29. Mai 2012

ESC

No Go – dieser Begriff, mit dem Beate meinen Blog zum Phantasialand kommentiert hatte, traf den Kern: meiden, sich fernhalten, nicht hinsehen. Für den ESC habe ich mich nie interessiert – was angesichts meiner musikalischen Vorlieben, die ich in meinem Blog zum Ausdruck bringe, folgerichtig ist.

No Go – diesem seichten Gedudele, das in diesem europaweiten Showzirkus daher plätschert, habe ich längst eine Absage erteilt. 1974: Abba entzündete mit Waterloo vielleicht noch eine bahnbrechende Wirkung, denn Abba wurde danach weltberühmt und landete einen Hit nach dem anderen. Melodie, Rhythmus und Eingängigkeit konnte man Abba jedenfalls nicht absprechen. 1976 herrschte bei mir blankes Entsetzen, als Brotherhood of Man mit „Kisses for me“ den ESC gewann. Das war zum Weghören, ein unterirdisches Niveau an Plattheit. Mir ist es bis heute ein Rätsel, dass solche Platten überhaupt verkauft wurden. 1982 wurde dann zum Horror-Trip: die Saarländerin Nicole gewann mit  „Ein bisschen Frieden“ den ESC, und seitdem schmeiße ich sämtliche ESC-Interpreten in denselben Topf wie Helene Fischer oder Andrea Berg.

Als Lena Meyer-Landruth vor zwei Jahren den ESC gewann, bewegte sie sich nach Jahrzehnten ein Stückchen oberhalb dieses unterirdischen Niveaus. Klar, sie punktete auch mit ihrem Aussehen, und Stefan Raab hievte sie mit seiner Geldmaschine so ins internationale Geschäft hinein, dass er wohl selbst auch kräftig mit dran verdiente. „Satellite“ klang frisch, jung und nicht so abgestanden wie die übrigen Eintagsfliegen auf dem großen Parkett des ESC. Am Rande registrierte ich sogar zufrieden, dass Lena mit „Bert, oh Bert“ die Sesamstraße aufmischte. Ernie war mit Bert beim Apfelpflücken verabredet, doch Bert war verschwunden. Anstatt dessen tauchte Lena auf. „Bert, oh Bert“, diese Variation von „Satellite“ singend, suchte sie Bert, bis er aus dem Nichts auftauchte.


Grillend und bei einem Faß Kölsch den Abend mit Freunden verbringend, verschwendete ich in diesem Jahr keinen Gedanken an den ESC. Zumindest am Samstag Abend nicht. Die Tage zuvor war dies einiges schwieriger. Beim Radio-Hören konnte ich dem kaum entkommen, wobei ich eine scharfe Trennlinie zwischen WDR2 und SWR1 feststellen musste. Während Roman Lob in WDR2 ungefähr so wichtig war die Brutsaison der Schellenente auf Rügen, nahm in SWR1 die Vorfreude auf seinen Auftritt in Baku kein Ende. Ich hätte nie vermutet, dass Rheinland-Pfälzer ein solches Gemeinschaftsgefühl entwickeln konnten. Sonst hatte ich dies nur vom 1. FC Kaiserslautern in Erinnerung – nun war es Roman Lob. Neustadt an der Wied – in verschiedensten Facetten wurde seine Heimat beschrieben. Neustadt an der Wied – das war nicht einmal so weit von NRW entfernt, in einem Zeitfenster von etwa fünf Stunden hätte ich locker dorthin eine Rennradtour machen können. Roman Lob hätte mich sicherlich nicht interessiert, eher das Wiedbachtal – das wirklich sehenswert war – oder ein 10%iger Anstieg über den Westerwald nach Linz.

„I’m standing still“, der Refrain bewegte mich nicht wirklich, in SWR1 blockierte dieses Stück regelrecht die Sendezeiten. Ich musste dieses Stück über mich ergehen lassen und ich lernte, was ein Ohrwurm ist. Dieser schlappe Refrain zum Einschlafen, irgendwann summte ich ihn mit, und ich ertappte mich, dass ich ihn selbst beim Spülen oder Rasenmähen vor mir her summte. Solch ein Ohrwurmpotenzial ! Da musste doch eine gute Platzierung in Baku drin sein ?

Mit Freunden einige kühle Kölsch genießend, ersparte ich es mir, meine Gehörzellen beim ESC zu strapazieren. Auf all die herum hüpfenden und herum hampelenden Gestalten durfte ich verzichten. Ebenso auf herausgeputzte Schönheiten, auf barbiepuppenhafte Kleider und Frisuren, die eigentlich in eine Kunstausstellung hinein gehört hätten. Meine Augen bewahrten den Durchblick: sie wurden von keinerlei Lichteffekten geblendet, die sich wasserfallartig über die Bühne ergossen und mitunter von Nebelschwaden auseinander gerissen wurden.

Aus den Schlagzeilen der Bild-Zeitung erfuhr ich am nächsten Tag das Ergebnis: „I’m standing still“ hatte den achten Platz belegt. Ein achtbares Ergebnis. Den Song des Gewinners aus Schweden habe ich mir bis heute noch nicht angehört. Ihn hätte ich ohnehin schnell in die Schublade des Vergessens einsortiert.

Freitag, 25. Mai 2012

Marguerite Yourcenar - Die schwarze Flamme

Brügge im 16. Jahrhundert. Die Hansestadt in Flandern ist der Ort des Geschehens, als ein Arzt nach 30 Jahren Reisetätigkeit an den Ort seiner Jugend zurückkehrt. Brügge – eine der romantischsten Städte, die ich kenne, hatte mich auf diesen Roman neugierig gemacht. Grachten, Kanäle, Häuser aus rostbraunem Backstein, Treppengiebel – dies alles sollte ich in dem Roman vermissen. Das war nicht schlimm, denn die Handlung wurde zum Monument.

Es war eine Neuheit für mich, einen historischen Roman zu lesen. Literatur über Geschichte hatte ich vor längerer Zeit verschlungen – Biografien oder Einzelthemen – Weltkriege, Aufklärung oder Römerzeit, aber noch keinen historischen Roman.

Es hat sich gelohnt. „Die schwarze Flamme“ ist ein gewaltiges Werk, in dem sowohl geschichtliche Ereignisse wie Persönlichkeiten der Renaissance zusammengefügt werden. Hierdurch entsteht ein sehr dichtes Bild der Renaissance – welche Weltanschauungen geherrscht haben, wie die Menschen gelebt haben, welche Bewegungen quer durch Europa gegangen sind.

Dabei klingt es unglaublich, dass Yourcenar rund 40 Jahre an diesem Roman geschrieben hat. Als sie Anfang 20 war, hatte sie einen Entwurf von 40 Seiten geschrieben, der sich in dem ersten Teil wiederfindet. 1935 erschien eine Erzählung zu demselben Thema, die sie später in ihren Roman integrierte. In den 50er Jahren fügte Yourcenar einzelne Kapitel des ersten Teils hinzu. Sie vollendete ihren Roman zwischen 1962 und 1965. „Die schwarze Flamme“ kann somit als eine Art Lebenswerk betrachtet werden, welches die Autorin über viele Lebensabschnitte hinweg begleitet hat.

Marguerite Yourcenar (1903-1987) stammt ursprünglich aus Brüssel. Mit Beginn des 2. Weltkrieges emigrierte sie in die USA, sie ließ sich dort dauerhaft nieder und nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Neben ihrer Tätigkeit am Lehrstuhl für französische Literatuwissenschaften in New York veröffentlichte sie mehrere Romane, Erzählungen und Gedichte, wovon die historischen Romane „Die Wölfin“ und „Die schwarze Flamme“ am bekanntesten waren. Sie erhielt verschiedene Literaturpreise und wurde 1981 als erste Frau in die „académie francaise“ aufgenommen.

Begegnungen ziehen sich als roter Faden durch den Roman. Zenon, die Hauptfigur, begegnet wesentliche Persönlichkeiten des 15. Jahrhunderts, die die maßgeblichen Einflüsse der Renaissance beschreiben. Zenon wird 1510 in Brügge als uneheliches Kind geboren. Sein Vater, ein Amtsträger der Kirche, wird einige Jahre später in Rom ermordet. Seine Mutter begeht den folgenschweren Fehler, sich nach Münster zu begeben, wo sich die Stadt der Reformationsbewegung nach dem Vorbild des Calvinismus in den Niederlanden geöffnet hat. Diese Form des Protestantismus geht der deutschen Reformationsbewegung zu weit. Daher dringen Truppen aus den umliegenden Fürstentümern in Münster ein und begehen ein Massaker an der Bevölkerung. Dabei wird Zenons Mutter hingerichtet. Aber bereits vorher – bei der calvinistischen Reformationsbewegung – werden religiöse Exzesse beschrieben, dass beispielsweise Menschen, die den Müßiggang pflegen und nichts tun, hingerichtet werden, weil dies nicht der religiösen Weltanschauung entspricht.

Zenons Vetter ist Sohn eines Bankiergeschlechtes. Handel, Kapital, Geldflüsse, Warenflüsse, Manufakturen blühen in der Renaissance auf. Die Bankiers verkehren zwischen den Fürsten in illustren Kreisen, wobei ihr geistiges Potenzial mittelmäßig ist und ausschließlich die Höhe des Geldkapitals entscheidend ist.

Zenon selbst sucht seinen eigenen Weg, unabhängig von seinen Eltern. Schon als Jugendlicher zeigt er eine enorme Strebsamkeit nach Wissen, welches ihm sein Onkel – der Dompropst in Brügge ist – vermittelt. Das ist vor allem die Philosophie: diese Wissenschaft verleiht im die Basis seines Wissens, und in der Renaissance koppeln sich eigenständige Disziplinen von der Philosophie ab, namentlich die Naturwissenschaften und die Medizin. Zenon verkörpert eine Dreiereinheit der Wissenschaften: Philosophie, Alchimie und Medizin.

Um seinen Wissensdurst zu stillen, geht Zenon auf Wanderschaft – quer durch Europa. Fiktiv konstruiert oder historisch belegt – so erzählt Yourcenar die Episoden während der Wanderschaft. Zenon stößt auf Bankiers, er erlebt einen Aufstand in einer Weber-Manufaktur, wo man sich gegen die miserablen Arbeitsbedingungen wehrt, er durchlebt die Pest. Die Pest hat ihn vielleicht am nachhaltigsten geprägt, denn er versteht seinen Beruf als Arzt – er will anderen Menschen helfen, unabhängig von deren Anschauung, Status, Beruf oder sonst was. Seine Reisen führen ihn bis in den Orient hinein und fast bis ans Nordkap. Von sexuellen Ausschweifungen, bei denen vor allem Geistliche ein schlechtes Bild abgeben, hält Zenon nicht allzu viel – mit Ausnahme von Schweden, wo er seine wahre Liebe kennen lernte, aber wegen der Wanderschaft wieder verlassen musste.

Als Philosoph, Alchimist und Arzt verfasst er Schriften, in die die treibenden Kräfte der Renaissance einfliessen: ein Weltbild, das die Naturwissenschaften neu begründet, Alchimie, um neue Materie aus bereits vorhandener Materie zu schaffen, ein Katholizismus, dessen Gott-zentriertes Weltbild revidiert werden muss. Das soll ihm später zum Verhängnis werden.

Nach 30jähriger Wanderschaft müde geworden, beschließt er, in Brügge sesshaft zu werden. Dort ist er als Arzt in einem Hospiz tätig. Bis ihn ein Vorfall den Boden unter den Füßen wegreisst: einem Protestanten, der ansonsten verblutet wäre, rettet er in Brügge in den katholischen Niederlanden durch seine ärztliche Hilfe das Leben. Zenon steht zu seinem Verhalten, und aus seiner Umgebung erhält er Ratschläge, Brügge besser zu verlassen. Er ignoriert diese Ratschläge, und gemeinsam mit seinen veröffentlichen Schriften, die weithin bekannt sind, wird ihm der Prozess gemacht.

Flandern gehört im 16. Jahrhundert zu Spanien, das rege von der Inquisition Gebrauch macht. In diesem Umfeld bergen die Schriften Zenons, eine Unendlichkeit des Weltraums zu postulieren oder von einem geozentrischen Weltbild auszugehen, ein inquisitorisches Potenzial. In dem Prozess muss Zenon den kirchlichen Grundsätzen Rede und Antwort stehen. Zenon wird zum Tode verurteilt, wobei er seiner Hinrichtung durch seinen Selbstmord zuvor kommt. Yourcenar hat sich bei dem Prozess an Giordano Bruno angelehnt, der im Jahr 1600 wegen seines gegenläufigen Weltbildes von der Kirche in Rom hingerichtet worden ist.

Als ich den Roman zu Ende gelesen hatte, war ich geradezu hingerissen. Yourcenar ist es gelungen, die sehr vielschichtigen Einflüsse in der Renaissance zu einem Ganzen zusammenzufügen. Ihre Sprache ist verständlich, die einzelnen Episoden schildert sie kurzweilig, sie sind mitten aus dem Alltagsleben in der Renaissance heraus gegriffen, der Leser muss kaum geschichtliche Vorkenntnisse mitbringen, die Autorin bewegt sich auf Augenhöhe mit dem Leser. Bei der Komplexität des Themas ist dies ein sehr großer Wurf. Zusammenfassend, war ich entsetzt darüber, wieviel Unheil die Religion den Menschen in Europa gebracht hatte.

„Die schwarze Flamme“ war 1968 veröffentlicht worden und avancierte danach in Frankreich zum Bestseller. „L’oeuvre au noir“ – so hieß der französische Originaltitel -, war sogar 1988 unter der Regie von André Delvaux verfilmt worden – ich habe allerdings nicht rechercheiren könne, ob der Film ins Deutsche übersetzt worden ist.

Bislang gibt es bei mir einen Roman, den muss ich alle paar Jahre lesen – das ist „Die Pest“ von Albert Camus. Nun kommt wahrscheinlich Yourcenar mit „Die schwarze Flamme“ dazu.

Freitag, 11. Mai 2012

Landtagswahl in NRW

Ist sich der Junge seiner Rolle bewusst ? Weiß er, was er in NRW bewegt – oder auch nicht ? Die Blicke treffen sich nicht. Gespannt schaut er unter seiner roten Kappe Norbert Röttgen an, der wiederum seinen Blick abwendet zum Betrachter hin. „Politik aus den Augen unserer Kinder“, was will er damit vermitteln ? Soll NRW Kind-gerechter gestaltet werden ? Soll Kindern mehr Mitbestimmung gewährt werden ? Das Wechselspiel der Blicke irritiert mich; Norbert Röttgen grinst mich zwar an, aber mein eigener Blick verläuft ins Leere.

Ein wenig streng und zielgerichtet ist demgegenüber Hannelore Krafts Blick. Dabei wirkt ihr Lächeln gekünstelt, ihre Frisur sitzt perfekt. NRW im Herzen, das fügt sich zu einer Gesamtkomposition zusammen aus ihrem Portrait, ihrem Lächeln und dem Schriftzug. Der Rest des Wahlplakats ist langweilig und stereotyp: der blasse Hintergrund, der die matten Farbtöne überwiegen lässt, dieses Zurechtgerückte, dieses Arrangierte für den Augenblick. Und nicht mehr.

In dieser stereotypen Grundstimmung gehen allgemein die Botschaften der Parteien unter. „Vertrauen, Kompetenz, Nachhaltigkeit“, „für ein gerechtes NRW“, „mehr Kindergartenplätze – gut für NRW“, „Schluss mit der Politik auf Pump“, „lieber etwas bewegen als im Stau ersticken“, "jede Kraft braucht einen Antrieb", ja, klar, das ist schön, das wünschen wir uns alle, über alle Parteien hinweg klingt dies aber wie über einen  Kamm gebürstet. Genauso hohl wie Werbebotschaften, die sich nach dem Konsum wieder in ein Nichts verflüchtigen. „Erst kommt der Mensch, dann kommt der Markt“, das ist eine der wenigen Ausnahmen bei den Piraten, doch ihre übrigen Botschaften wimmeln genauso von Stereotypen.

Wahlkampf in NRW, und mit einem Mal gerate ich als Wähler ins Visier der Parteien. Seitdem ich wählen gehe, mache ich bei Bundes-, Landtags-, Kommunal-, Europawahlen dasselbe Spielchen mit, dass sich im Zeitverlauf nicht verändert hat. Möglichst diffuse und nichtssagende Botschaften. Einen möglichst hohlen Oberbegriff wählen, von dem sich alle angesprochen fühlen. Sich nicht festlegen. Bloss nicht konkret werden. Nichts in den Raum stellen, was im nachhinein kontrolliert werden kann. Seitdem ich wähle, habe ich den Eindruck mit einer glitschigen Wabbelmasse von Politikern zu tun zu haben, die selten die Verantwortung übernimmt und wenn es kritisch wird, in eine Sphäre zu entweichen versucht, die frei ist von messbaren Größen, um ihnen etwas nachzuweisen.

Nach welchen Kriterien wähle ich ? Wählen ist bei mir zu einer starren Gewohnheit geworden, denn ich habe immer dieselbe Partei gewählt. Dabei betrachte ich mich als unpolitisch dahingehend, dass die Politik wiederum durch weitere Wechselwirkungen getrieben ist. Und dass ich die ganzen Verfahren des Regierens, der Willensbildungen im Parlament oder der Gesetzgebungsverfahren nicht vollständig im Detail mitverfolge – weil ich mich hier wie sonstwo mit Informationen zugeschmissen fühle. Ich gebe zu, dass ich in Debatten zu Einzelthemen nicht ausreichend Stellung beziehen könnte und ich gebe auch zu, dass es sicherlich gegenläufige Ansichten zu meiner Wahlentscheidung geben wird, die ich an irgendeinem Punkt nicht mehr vollständig widerlegen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass die großen Parteien immer stärker zusammenrücken und dass sich die Unterschiede verwischen. Dabei ist Wählen immer noch eine Errungenschaft unserer Demokratie. Und die Menschen sollten wählen – und nicht aus Protest zu Hause bleiben.

Landespolitik – da habe ich schon Probleme bei der Auswahl der Themen, welche landesspezifisch sind und nicht bundesspezifisch. Bildung, innere Sicherheit, das ist mir noch klar, aber welche weiteren Kompetenzen nach welchen Kriterien zwischen Bund und Ländern aufgeteilt sind, das erscheint mir wie ein bürokratisches Monstrum. Oft bekomme ich dies nur punktuell mit, wenn mich gerade etwas persönlich betrifft – wenn etwa den Kommunen Geld fehlt, um Schlaglöcher auf den Straßen auszubessern oder wenn die Studiengebühren an Universitäten abgeschafft worden sind. Das Top-Thema in der Landespolitik – das ist die Verschuldung von NRW. Doch da lehne ich mich mittlerweile gelassen zurück, denn dies ist auf europäischer Ebene dieselbe Diskussion. Frankreich, Spanien, sogar die Niederlande, die alte makroökonomische Diskussion von höherem Wirtschaftswachstum und höherer Verschuldung ist dort wieder aufgelebt. Diese volkswirtschaftlichen Theorien sind nicht ganz so einfach zu durchdringen – meine Schlüsse für NRW werde ich später ziehen.

Selbstbewusst und optimistisch schaut Norbert Röttgen seine Wähler an. Aus ihrem tiefsten inneren, im Herzen NRW, versprüht Hannelore Kraft nicht weniger Optimismus. Nächsten Sonntag ab 18 Uhr wissen wir mehr.