Montag, 31. Dezember 2012

frohes neues Jahr 2013 !


Wir sind in diesem Jahr alleine und machen uns einen gemütlichen Silvesterabend. Freunde, mit denen wir langjährig gefeiert haben, sind in diesem Jahr das zweite Mal ins Kloster gegangen. Andere Freunde aus dem Saarland haben uns kurz vor Weihnachten abgesagt. Einen Freund, den unser Sohn zeitweilig mitgebracht hatte, feiert auch irgendwo anders.


Auf ein Silvesterbuffet haben wir verzichtet.



Geknallt und geböllert wird dieses Jahr auch nicht.


Im neuen Jahr lassen wir uns die Neujahrsbrezel schmecken.



Ich wünschen allen Lesern und allen anderen, die ich kenne, ein frohes neues Jahr 2013 !

Mittwoch, 19. Dezember 2012

Bombenanschlag


Morgenstund’ hat Gold im Mund, dachte ich mir, als ich unbeschwert durch die Fußgängerzone radelte. Bis mir der Schreck in die Glieder fuhr: kurz vor acht radelte ich zwei Polizisten geradewegs in ihre offenen Arme.

Wieder eine Ordnungswidrigkeit. Ich ärgerte mich, dass ich die beiden Polizisten nicht früher gesehen hatte. Doch ihre Reaktion verblüffte mich: „Gucken Sie besser, dass Sie die Bomben finden“ meinte der eine in einem Singsang von Bonner Dialekt, der mit seinem melodischen Tonfall beruhigend auf mich wirkte.

Der Polizist hatte bestimmt Recht. Nach dem missglückten Bombenanschlag, der nun eine Woche zurücklag, hatten sich die Prioritäten verschoben. Konnte man sich noch ohne Angst vor Terroranschlägen über den Weihnachtsmarkt bewegen ? Könnte nicht genauso irgendein Heiliger Krieger des Islam im Menschengewimmel von dem Glühweinstand eine Bombe zünden ?

Schrecklich.

Am Tage des Bombenfundes war der Schock ausgeblieben. Im Büro war ich im Internet auf die Bombe aufmerksam geworden. Mir waren mehr die praktischen Dinge vorgeschwebt. Ob öffentliche Verkehrsmittel fuhren oder ob ich mein Fahrrad nehmen musste, um durch die bleischwere Dunkelheit nach Hause zu fahren. Ich war erleichtert, dass die Straßenbahn fuhr, ich machte einen Abstecher zum Stoffladen, um knallrotes Band für die zu nähende Einkaufstasche zu kaufen, der anschließende Bus kam ohne nennenswerte Verspätung. Das hatte mich beruhigt.

Entsetzen und Grauen packten mich zwei Tage nach dem Bombenfund. In allen Medien geisterte die Schlagzeile durch die Gegend, die Bombe sei an Gleis 1 gezündet worden, aber nicht explodiert. Ich war fassungslos. Als ich in Köln gearbeitet hatte, hatte ich regelmäßig an Gleis 1 auf meinen Regional-Express gewartet. Hier an Gleis 1 hätte Grausames geschehen können wenn die Bombe mit ihrer Sprengkraft die Menschenmasse in Fetzen aseinander gerissen hätte.

Bei den Ermittlungen der Täter sickerte nichts durch, was mich beruhigte. Tatverdächtige wurde wieder freigelassen. Der Generalbundesanwalt schaltete sich ein. Die Fahndung lief auf Hochtouren. Weitere Verdächtige am Tatort wurden gesucht. Widersprüchliches wurde in Rundfunk und Fernsehen gemeldet: ein Verdächtiger aus der islamischen Extremistenszene in Langenfeld wurde festgenommen, weil er sich weit entfernt von Gleis 1 aufgehalten hatte, es gab aber keinen Zusammenhang zum Bombenanschlag; aus seiner Anwesenheit wurde nun im Umkehrschluss die islamischer Extremistenszene in Verbindung gebracht (was für eine Logik !).

Was sollte das ? Die Erkenntnis, dass Bonn eine Hochburg islamischer Extremisten in NRW ist, war nichts Neues. Wer aufmerksam Tageszeitung liest, wurde regelmäßig über die Untergrundszene in Bonn informiert. Diese Beiträge hatte ich sogar gesammelt, um irgendwann darüber etwas in meinem Blog zu schreiben. Nun hatte ich Gelegenheit, dieses Thema aufzugreifen, aber vollkommen anders, als ich es mir vorgestellt hatte.

Der Weg führt in die Elendsviertel nach Islamabad, Khartum oder Algier, wo die Bevölkerung explodiert und wo insbesondere der jungen Generation keinerlei Perspektive geboten werden kann. Bombenbau, Sprengstoffattentate, Heiliger Krieg: diese Zielsetzungen klingen griffiger als die Volkswirtschaft in Gang zu bringen, die Massen mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen, technischen Fortschritt zu implementieren oder Industrien anzusiedeln. Bombenbau, Sprengstoffattentate, Heiliger Krieg: was wir in Europa in der Reformation und danach an Glaubenskämpfen durchstehen mussten, wird nun rund 400 Jahre danach recycled, mit der neuen Religion des Islam angereichert und nach Europa zurück exportiert. Wie auf einer Ameisenstraße, sickert die Extremistenszene aus Pakistan, Somalia oder Mali nach Europa, schwappt in Ausbildungsläger in die Heimatländer zurück, fügt sich in Deutschland oder sonst wo wieder zusammen, Grüppchen und Splittergruppen formieren sich, in den Zeiten des Internet kann man grenzenlos planen und miteinander kommunizieren. Ja, sogar Anleitungen zum Bombenbau finden sich im Internet.

Salafisten habe sich mittlerweile bundesweit verbreitet. Deren Splittergruppen EZB (Einladung zum Paradies) und DWR (die wahre Religion) breiten sich in Bonn aus, ohne dass sie jemand daran hindert. Im April warben die Salafisten in Fußgängerzonen für neue Mitglieder, im Mai kam es bei einer Demonstration in Bonn-Mehlem zu Bürgerkriegs-ähnlichen Krawallen mit der rechtsextremen Partei ProNRW, als Karikaturen von Mohammed gezeigt wurden. Da zwei Polizisten mit Messerstichen verletzt wurden, wurden Salafisten inhaftiert und Strafverfahren eingeleitet.

Daher ist als Motiv für den Bombenanschlag auch ein Racheakt gegen das Durchgreifen der deutschen Justiz denkbar. In Blogs wird der deutschen Justiz vorgeworfen, dass sie mit den Nazis quasi zusammenarbeitet, weil ihr die Mittel des Rechtsstaates fehlen: http://unserekorruptewelt.wordpress.com/category/islam-hetze/
Sie sprechen von Hetzpropaganda gegen den Islam, Verbrechen im Islam wie das Zeigen von Mohammed-Karikaturen würden nicht geahndet.

Mit Islamisten und Salafisten und Extremisten findet der Verfassungsschutz ein breites Betätigungsfeld.

Mir war unwohl, als ich mein Fahrrad über den Weihnachtsmarkt schieben wollte. Grüppchen und Splittergrüppchen wollten uns mehr als 400 Jahre in das Mittelalter zurück katapultieren. Bilderstürmer, Protestanten ergriffen die Macht in katholischen Fürstentümern, Katholiken begingen Massaker an Protestanten, Dreißigjähriger Krieg. Offensichtlich arbeiteten bei uns in NRW islamische Kräfte daran, solche Zustände wieder herzustellen.

Dies tat mir Leid für unsere multikulturelle Gesellschaft, die ich als Bereicherung empfand. Am Tag der offenen Moschee hatte ich mir vor einiger Zeit eine Moschee von innen angesehen. Wunderbar ! Regelmäßig spazierte ich an Obst- und Lebensmittelläden aus dem vorderen Orient vorbei, die unvergleichlich bunt und farbenfroh wirkten. Auf unseren hiesigen Arbeitsmärkten waren Türken und andere islamische Arbeitskräfte begehrt wie nie. In unserer alten Nachbarschaft wohnte eine Familie mit zwei Kindern aus Syrien, mit denen wir uns gut verstanden hatten. Islam ? Ja, gerne. Aber bitte nicht diese Heiligen Krieger.

„Fahren Sie ruhig weiter durch die Fußgängerzone“ ließ der Polizist ruhig den Morgen angehen. „Ich könnte Ihnen auch ein Knöllchen verpassen, ich bin auch Fahrradpolizist … im Moment haben wir wichtigeres zu tun.“

Ich fuhr weiter, nutzte sein Angebot, morgens um 8 Uhr unbedrängt durch die Fußgängerzone radeln zu können. Danach war mir jedes Mal mulmig zumute, als ich über den Weihnachtsmarkt schritt. Islam versus Christentum. Wohin mochte diese Reise führen ?

Mittwoch, 12. Dezember 2012

Glockentürme (7) - Lakenhal in Ieper / Belgien


Katzen von einem Glockenturm herunter werfen ? Das klingt unglaublich, es ist aber eine jahrhundertealte Tradition in Ieper in Belgien.

Zwischen 1200 und 1304 erbaut, ist die Lakenhal (=Tuchhalle) von Ieper eine der größten profanen Gebäude Europas im gotischen Stil. Die Lakenhal verkörpert bis heute Glanz und Größe der ehemaligen Hansestadt, die gemeinsam mit Brügge und dem Wissen der Kaufleute reich geworden ist. Etwa 50 Kilometer südlich von Brügge gelegen, könnte man Ieper als kleine Schwester von Brügge vergleichen, wenngleich der Reichtum dieser Schwester-Stadt im Mittelalter immens gewesen sein musste.

Ieper wuchs und gedieh ab dem 11. Jahrhundert, als sich über die Hansestädte Warenmärkte in ganz Europa öffneten. Der Seehandel blühte auf mit größeren Verladekapazitäten auf den Koggen, Kompaßkarten erleichterten die Navigation, feste Steuerruder setzten sich im Heck durch, mit größeren Segelflächen gelang es immer besser, gegen den Wind zu segeln. Kostbare Waren wie Stoffe, Glaswaren, Porzellan, Waffen, Gewürze, Wein oder auch Tuche wurden zu Wasser transportiert. Die Wirtschaftsräume von Ostsee und Nordsee wurden miteinander vernetzt, der Fernhandel wurde von Exportgewerbeorganisationen dominiert. Die Fernhandelskaufleute leiteten ihre Geschäfte von einem Handelskontor aus.

Im Schatten der Nordsee, war Flandern durchzogen von Flussniederungen, die ideale Anbaubedingungen für Flachs boten. Über den Handelsverkehr wurde zudem aus dem nahen England Wolle importiert. Aus Flachs wurde Leinen gesponnen. Die Tuchmanufakturen in Flandern spezialisierten sich auf hochwertige, schwere Tuche, die in ganz Europa reißenden Absatz fanden. Die Tuchproduktion lief auf Hochtouren, in jeder Türöffnung der Lakenhal wurden diese zum Verkauf angeboten. Die Fernhandelskaufleute organisierten Verkauf und Schiffstransport und erzielten schwindelerregende Gewinnspannen, so dass die Hansestädte Flanderns zu den reichsten Europas gehörten.

1692 wurde in Ieper die Turmspitze auf dem siebzig Meter hohen Belfried in ihrer heutigen Form erbaut. Gestaltet mit einem durchbrochenen Helm und einem Drachen, befindet sich in dem Glockenturm ein Glockenspiel mit 49 Glocken. Im ersten Weltkrieg wurde die ganze Stadt mitsamt der Lakenhal zerstört und in den folgenden Jahrzehnten originalgetreu wieder aufgebaut. Heutzutage spielt das Glockenspiel jede Viertelstunde das flämische Stück „het Iepers tuindaglied“.

Als der Zugang zur Nordsee versandete, teilte Ieper dasselbe Schicksal mit Brügge. Polder schoben sich ins Meer hinein, die keine Fahrrinne für ausreichend breite Kanäle freiließen. Das war ungefähr im 17. Jahrhundert. Der Handel mit Tuchen kam zum Erliegen, die Städte hinter dem zurückgewichenen Meer verarmten und versanken in Bedeutungslosigkeit.

In dieser Epoche entstand das Ritual, Katzen vom Glockenturm herunter zu werfen. Es war die dunkle Zeit von Aberglauben, Hexerei und Ketzerei. Katzen streunten so zahlreich herum, dass sie zur Last wurden, und man brachte sie mit Hexen in Verbindung. Katzen schärften die Vorstellungskraft, so dass die Menschen in Ieper Zeichen von schwarzer Magie sahen: schwarze Katzen liefen ihnen über den Weg, die dunkle Wolken aufwirbelten, und in diesen dunklen Wolken steckte der Teufel.

So entstand im 17. Jahrhundert der Brauch, Katzen vom siebzig Meter hohen Glockenturm in Ieper herunter zu werfen, um den Teufel zu vertreiben. Ähnlich wie bei Hexen, wurden sie in einem grausigen Schauspiel anschließend auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Im Lauf der Jahrhunderte griff der Geist der Aufklärung um sich, so dass sich die Menschen in Ieper der Brutalität ihres Vorgehens bewusst wurden. Fortan wurden nur noch Plüschkatzen vom Glockenturm geworfen.

In den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte sich daraus der „Kattenstoet“, eine Art von Volksfest mit einem Festumzug durch Ieper, bei dem sich alles um Katzen dreht. Diese Tradition des „Kattenstoet“ wird bis in die heutige Zeit im Drei-Jahres-Rhythmus fortgeführt.

Riesen marschieren bei dem Umzug im Mai mit, ähnlich wie im rheinischen Karneval schlüpfen jede Menge Fußgruppen und Musikkapellen in Katzenkostüme, auf geschmückten Wagen wird die Rolle von Katzen in der Geschichte, in fremdländischen Kulturen und in Legenden erzählt.

Der Höhepunkt nähert sich alle drei Jahre, wenn ein Stadtnarr in einem Narrenkostüm Plüschkatzen von dem siebzig Meter hohen Glockenturm hinunter wirft. Dann ist die Begeisterung der Menschenmenge auf dem Groten Markt nicht mehr zu bremsen.


Donnerstag, 6. Dezember 2012

L'art pour Lebkuchen

Seitdem ich blogge, hat sich mein Leben verändert. Meine Denkwelt stellt die Dinge auf den Kopf, rückt sie zurecht, es wird neu sortiert, Prioritäten werden anders gesetzt. Ich schaue tiefer in die Dinge hinein, weil ich sie aufmerksamer betrachte. Ich habe die Formen vor mir, in denen ich poste. Die Dinge nehmen Gestalt an, ich modelliere sie, ich übersetze sie in Text und Bilder, bis sie in meinen Posts erscheinen.

Wieso blogge ich ? Bloggen betrachte ich nicht als Selbstzweck, sondern ist nach außen gerichtet. Indem ich Texte und Bilder zeige, baue ich eine Verbindung zum Leser auf.

Wenn ich umgekehrt andere Blogs in anderen Denkwelten lese, freue ich mich über Inhalte, die kritisch sind, die Dinge mit eigenem Urteilsvermögen durchleuchten und Denkanstöße liefern. Ich möchte gerne über die Dinge aufgeklärt werden. In der Denkwelt eines Aufklärers wie Voltaire wäre dies, dass man Freiheit und Unabhängigkeit im Denken lernt, um sich auch gängigen höherwertigen Meinungen zu widersetzen.

Ich möchte nicht abdriften dahin, was Wolfgang Niedecken in der Malerei „L’art pour Lebkuchen“ genannt hat. Er hatte triviale Themen aus der Illustrierten-Welt von Gala, Neue Revue, Neue Post & Co in seinem eigenen Stil gemalt. Weil diese trivialen Themen quasi endlos reproduzierbar waren, wollte er Stückzahlen von Bildern schaffen. Er erreichte zwar diese Stückzahlen von Bildern, es mangelte aber an Details und Hingabe. Was er tagtäglich erlebte, fand sich in den Bilder nicht wieder.

Diese „L’art pour Lebkuchen“ möchte ich in meinen Posts gerne vermeiden. In meinen Posts sollen bewusst Ecken und Kanten stecken, an denen sich der Leser reiben kann. Bei anderen Posts mag ich es, wenn ich anfange nachzudenken, wenn ich nach Analogien suche, wenn ich dieses und jenes und welches miteinander vergleiche und wenn sich meine eigene Gedankenwelt dadurch anreichert. Lob, Tadel, Kritik, Provokation, Revolution, in der Unabhängigkeit des Denkens ist dies alles erlaubt.

Wolfgang Niedecken verband mit „L’art pour Lebkuchen“ Zynismus und Dekadenz. Klar, man kann nicht nur schwarz sehen, anklagen, kritisieren oder in eine Depression versinken. Schöne Momente des Alltags festhalten, gehört für mich genauso zum Bloggen. Ich will aber nicht unterhalten werden, so als ob ich abends passiv im Fernsehsessel mit einem Glas Wein und einer Tüte Chips versinke. Ich will hinsehen, wenn ich den Schmuddel-Ecken des Alltags begegne. Hässlichkeiten und Unannahmlichkeiten, Ungerechtigkeiten und Missstände, diese Sichtweisen reizen mich besondeers.

Wieso bloggen andere ? Sie sehen denselben Charme, dass sie eine Verbindung zum Leser aufbauen. Sie teilen Freude und Gedanke mit anderen, sie tauschen Ideen aus und genießen all die neuen menschlichen Kontakte. Auch sie wollen ihre Gefühle zeigen und so sein, wie sie sind: undressiert.

Genauso wie Wolfgang Niedecken in seinem Stück „Koot vüür aach“ aus seiner LP „Vun drinne noh drusse“, welches die Momente vor einem Bühnenauftritt beschreibt:

Will keine wabernde Masse aus grölenden Köpfen, 
anonym, die mich leerkonsumiert, die man abspeisen kann, 
die man unmündig hält, mit Routinesprüchen manipuliert. 
Will mir Fehler erlauben, Gefühle zeigen halt. 
So wie ich bin will ich sein: Undressiert.

Eines ist klar: das Bloggen wird weiter mein Leben  verändern. Bisher war es eine positive Bereicherung.

Montag, 3. Dezember 2012

Wochenrückblick #48

Unsere durchgeknallte Lady hat noch einen drauf gelegt
Vorgeschichte siehe Wochenrückblick #47. Kurz nachdem ich die Rechnung über die Polierarbeiten (40 €) unserer Haftpflichtversicherung zugesandt hatte, erhielten wir die Nachricht, dass der Schaden wegen der Geringfügigkeit der Schadenshöhe erstattet wird. Mit so etwas hatten wir nicht gerechnet. Als Grund vermutete ich, dass unsere durchgeknallte Lady und wir bei derselben Versicherung versichert waren (Haftpflichtversicherung bzw. Vollkaskoversicherung HUK). Anstelle den Vorgang zwischen zwei Abteilungen hin- und her zu schieben, war es für die Versicherung günstiger, den Schaden von vornherein zu zahlen. Nein, der Fall lag anders. Unsere durchgeknallte Lady hatte sich selbst aktiv in die Schadensbegleichung eingeschaltet. Sie hatte bei der Versicherung angerufen und sich nach dem Bearbeitungsstand erkundigt. Dabei entwickelte sie soviel Überzeugungskraft, dass der Schaden erstattet wurde. Dies erfuhren wir einige Tage später, als sie entrüstet bei uns anrief. Wir hätten den Schadenshergang der Versicherung falsch geschildert. Die Ursache sei nicht ihr falsches Parken gewesen, sondern der unsichere Gang unserer Tochter. Im nachhinein bedauerte ich mein eigenes Entgegenkommen, den Schaden unserer Haftpflichtversicherung zu melden. Ich hätte Lust gehabt, mich über Rechtsanwälte über 40 € zu streiten. Ich habe mich maßlos geärgert, dass sie sich mit ihrer Frechheit durchgesetzt hat.

Weihnachtsfeier mit Arbeitskollegen
Unsere Weihnachtsfeier haben wir nun im dritten Jahr in Köln gefeiert. Vor zwei Jahren sind wir durch den Dom geführt worden, letztes Jahr waren wir hoch oben auf den Dächern des Kölner Doms, in diesem Jahr ging es in die Ausgrabungen unter dem Dom. Für archäologische Zwecke wurde zu einem Teil die Fläche unter dem Dom ausgegraben. Im Dom selbst wurde dazu der Fußboden entfernt, die Fläche darunter wurde mit Beton ausgegossen und darüber wurde der Fußboden wieder eingesetzt. Im Untergrund ähnelte der Dom einem löchrigen Käse. Imposant waren die herausragenden Fundamente des Kölner Domes. An einer Stelle wurde siebzehn Meter tief bis zum Boden der Fundamente gegraben. Unvorstellbar, dass mit Baubeginn (1248) eine siebzehn Meter tiefe Baugrube mit den seiner Zeit vorhandenen technischen Mitteln ausgegraben worden war. Das Mauerwerk der Fundamente mit einer Dicke von rund zwölf Metern war an einer Stelle ebenso freigelegt worden. Die Führung, die bis hin zu den Mauern eines römischen Wohnhauses unter dem Dom führte, dauerte rund 45 Minuten. Danach gingen wir in einem Restaurant am Kölner Heumarkt essen.

Adventsbasar in der Schule
Weihnachtsmärkte, Weihnachtsbasare, Weihnachtsfeiern, in der Vorweihnachtszeit verliere ich schnell den Überblick, wann was wo stattfindet. Letzten Freitag war der Adventsbasar in der Grundschule an der Reihe. Meine Frau war auf ihrer Fortbildung, so dass ich alleine mit unserer Kleinen in die Grundschule gegangen bin. Lange Zeit war sie eigenständig mit dem Anfertigen eines Lesezeichens in ihrer Klasse beschäftigt. Habe ich mir eine zeitlang angesehen, dann bin ich runter in die Cafeteria einen Kaffee trinken. Habe aber niemanden gesehen, den ich so richtig kannte. Wieder rauf zu unserer Kleinen, die unverändert mit Malen und Ausstechen an ihrem Lesezeichen beschäftigt war. Habe mich zwischendurch fünf Minuten mit einer Mutter aus unserer Nachbarschaft unterhalten. Wieder runter in die Caféteria, wieder rauf. Ich kam mir überflüssig vor. Das sind die Nachteile, wenn ich nicht mit dem halben Dorf vernetzt bin. Später erlöste mich meine Frau, als sie eintrudelte. Eine positive Nebenerscheinung gab es: unsere durchgeknallte Lady war nicht aufgetaucht. Wenn ich ihr begegnet wäre, hätte ich für nichts garantieren können.

Weihnachtsmarkt in Troisdorf
Weil wir nach Anziehsachen schauen wollten, waren wir letzten Samstag zufälligerweise auf dem Weihnachtsmarkt in Troisdorf gelandet. Es war eine Kombination von Einzelhandelsgeschäften und Weihnachtsmarkt, die ich so noch nicht kannte. Die Geschäfte waren in den Weihnachtsmarkt integriert, wobei diese Auflagen erfüllen mussten, dass die Verkaufsstände in den weihnachtlichen Rahmen passen mussten. So verkaufte ein Modeladen in einem Weihnachtsstand Wollmützen. Ein Bio-Laden verkaufte an einem Stand biologisch angebautes Ost, eine Bäckerei Plätzchen, ein Floristik-Atelier Adventskränze usw. Anfangs stutze ich, als ich einen Stand mit „S’Oliver“ sah. Die Geschäfte nahmen aber nicht Überhand, sondern fügten sich harmonisch ein. Da der Weihnachtsmarkt sich über die gesamte Länge der Fußgängerzone erstreckte, kam mir das Bummeln entspannt vor.

Billig-Löhne
Über ihre Fortbildung schafft meine Göttergattin es, in Tabu-Zonen einzudringen, nämlich: wie viel man so verdient. All diejenigen, die gemeinsam mit ihr an der Fortbildung teilnehmen, haben Kontakt zu anderen, die nach absolvierter Fortbildung einen Job gefunden haben. Zwei Fälle sind in der Fortbildung erzählt worden, bei denen das Lohnniveau für eine Tätigkeit als Bürokaufmann/-frau bei 1.500 € brutto liegt. Der erste Absolvent ist in der Buchhaltung tätig, der zweite Absolvent tippt für eine Krankenkasse Rezepte in ein IV-System ein. Für den zweiten Absolvent kursierte ein Netto-Verdienst von 1.050 €. Je nach den persönlichen Verhältnissen – ob verheiratet/ledig, ob Ehefrau Einkommen oder nicht, wie viele Kinder – liegt das Netto-Verdienst mal knapp unterhalb, mal knapp oberhalb des Hartz IV-Satzes. Dieses Gehaltsniveau erzeugte bei den Teilnehmern an der Fortbildungsmaßnahme  lange Gesichter. Sie haben vielleicht eine Perspektive, danach einen Job zu finden. Die Perspektive ist aber dürftig, davon eine Familie ernähren zu können.

Freitag, 30. November 2012

beim Friseur

Diesmal standen mir die Haare nicht zu Berge. Diesmal musste man nicht auf Entdeckungsreise gehen nach meinen Ohren, die von einem Urwald von Haaren zugewuchert waren. Diesmal erinnerte ich nicht an die wilde 68er-Generation, als die Haarmähne ein Zeichen von Revolution und Unbeugsamkeit war.

Die Ohren waren noch nicht ganz bedeckt, Haarbüschel meines Ponys trübten noch nicht den Blick durch meine Augen. Bei meinem Gang zum Friseur hatte ich hatte diesmal so zivilisiert ausgesehen, dass ich mich auf der Straße sehen lassen konnte.

„Was macht die Älteste ? ….
… was geht’s dem Jungen in der Ausbildung …
… was macht die Kleine in der Schule ? … „

Der Gang zum Friseur ist so eine Art von Blitzlicht, was gegenwärtig ist. Ich reflektiere frei und halte mich nicht zurück, wenn es irgendwo hakt und klemmt. Ich rede viel offener als sonst wann. Dabei spüre ich Diskretion und Zuhören und Einfühlen in die Situation des anderen. Ebenso stimmt diese Gleichzeitigkeit von Distanz und Nähe: während die Schere klappert, wird das Denken in geordnete Bahnen gelenkt. Tiefenbohrungen dringen in die Gefühlswelt ein, aber nur so weit, dass keine Grenzen überschritten werden. Die Theorie, dass Friseure exzellente Psychologen sind, kann ich nur bestätigen.

Ein Blick in den Spiegel offenbarte die wohl geordnete Struktur, die meine Haare wieder zurück gewann. Büschel ergrauter Haare waren auf den Boden gepurzelt. Die Schere schnitt Maß und Proportion zurecht. Mit meinem eigenen Äußeren begann ich mich wieder anzufreunden. Ich lehnte mich in meinem weich gepolsterten Stuhl nach hinten.

Auch die Friseuse begann, aus ihrem Nähkästchen zu plaudern. Sie setzte auf meinen Beitrag zum Thema Freundschaft auf, dass unser Freundeskreis außerhalb der dörflichen Strukturen zu finden ist. Dies war bei ihr nicht so, denn über ihren Mann und die Vereine war die Vernetzung mit dem Dorf stärker.

„Da müssen Sie aufpassen, was Sie sagen. Am nächsten Tag weiß es das ganze Dorf.“
Ich nickte.

Sie fügte hinzu:
„Als wir den Wasserschaden hatten, als die geplatzte Hauptleitung im Ort unseren Keller unter Wasser gesetzt hatte, da haben wir gemerkt, welches unsere Freunde sind. Aus dem Dorf hat sich niemand sehen lassen. Die Freunde von meiner Seite, die nicht im Dorf wohnen, haben mitgeholfen.“

Einige Zeit später, schwenkte das Gespräch zu ihrer Stieftochter über. Sie lebte in einer Patchwork-Familie, und ihr zweiter Ehemann hatte einen Sohn und eine Tochter in die Ehe mit gebracht.

„Sie können nicht ahnen, wie dumm die ist. Noch keine 18, hatte sie einen Termin beim Frauenarzt, weil sie Angst hatte, schwanger zu sein.“
„Es gibt Fälle, da kommt so etwas vor.“
„Sie überlegt nicht, was sie alles über Facebook an ihre Heerscharen von Freunden postet ….
… Was meinen Sie, was an den Tagen danach los war ? Unser Telefon hat nicht mehr stillgestanden. Das ganze Dorf und all ihre Freunde wollten wissen, ob sie nun schwanger ist oder nicht.“

Ich schüttelte den Kopf. Der Föhn pustete sein heftiges Gebläse über meinen Kopf. Meine Haare schmiegten sich in eine hintere Stellung, Bürste und Kamm brachten meinen Haarschnitt in die richtige Position. Die Bewegungen liefen wie im Schlaf ab, das war präzise, akkurat, sorgfältig. Meinen Kaffee hatte ich aus der schwarzen, sechseckigen Tasse längst ausgetrunken. Am frühen Morgen, kurz vor acht, hatte der Kaffee neben dem regen Treiben der Friseusen meine Lebensgeister geweckt.

Ich wechselte meinerseits das Thema: auf die Vorweihnachtszeit.
„Die Zeit kommt schneller, als man denkt. Übernächste Woche habe ich bereits mit meinen Arbeitskollegen unsere Weihnachtsfeier."
Ich zögerte kurz und sah, wie sie die Länge meiner Koteletten begutachtete, um sie danach ein winziges Stückchen weg zu rasieren.

„Wann machen Sie mit ihren Kolleginnen Weihnachtsfeier ?“

Ich sah, wie ihr Blick augenblicklich auf den Boden fiel und auf dem bläulich-schwarz-gestreiften Linoleum hängen blieb. Die Inhaberin des Friseursalons, die einer Kundin gerade die Haare färbte, ließ ihren Blick ziellos zwischen den Haarwaschbecken herum irren. Ihre Blicke trafen sich nicht, beide zögerten, Worte wanderten über die Lippen, aber wurden nicht ausgesprochen.

Offensichtlich hatte ich mit meiner Frage ein heißes Eisen erwischt. Lange Diskussionen musste es gegeben haben.

„Nächstes Jahr. Machen wir bestimmt. Kümmere ich mich drum.“ beendete die Inhaberin den Stillstand und das Schweigen.

Eine Weihnachtsfeier im Januar des nächsten Jahres ? Oder noch später ? So sinnierte ich vor mich hin. Nein, in meiner eigenen Firma hatte es so etwas nie gegeben. So lange ich bei unserer Firma war – und das waren ungefähr satte 30 Jahre – hatte es im Dezember irgendeine Form des geselligen Beisammenseins gegeben, was man unter dem Begriff „Weihnachtsfeier“ zusammenfassen kann. Rein und raus ging es mit der Fragestellung, wer die Feier bezahlt. Meistens die Firma – in schlechten Jahren hat uns dies nicht davon abgehalten, das Essen und Trinken aus dem eigenen Portemonnaie zu bezahlen. Und ich kann mich nicht daran erinnern, dass es Jahre gegeben hat, in denen unser Chef durch Abwesenheit geglänzt hat (selbst Krankheit oder familiäre Ereignisse sind mir nicht bekannt). Es war ein beklemmendes Gefühl, mitten in eine Art von Wespennest hinein gestochen zu haben.

Als dieser Moment abgeklungen war, setzte die Friseuse ihre feinfühlige Art fort und massierte meine Kopfhaut. Das war entspannend, wie Wellness, obschon ich Wellness in eigenen Wellness-Oasen niemals kennen gelernt hatte.


„Auf Wiedersehen … schönen Tag … grüßen Sie ihre Familie … „ Als ich mich verabschiedete, war mit diesen Förmlichkeiten mein Weltbild wieder zurecht gerückt worden.

Freitag, 23. November 2012

Glockentürme (6) - Alter Turm in Ranzel


Von Köln aus kommend, brauste im Dunkeln das Ortseingangsschild vorbei. Die Straßenlaternen ergossen ihr helles Licht. Wie magere Schatten, huschten schlecht ausgeleuchtete Reihenhäuser an meinem Fahrrad vorbei. Ich stoppte am Alten Turm, denn die Neugierde reizte mich, Baudenkmäler vor der eigenen Haustüre kennen zu lernen.

Ich vermutete eine burgähnliche Anlage, die untergegangen war durch Kriege oder andere Zerstörungen, denn der Turm überragte mit seiner steilen Höhe die Umgebung.

Als ich näher trat und die Hinweistafel des Kulturpfades unserer Stadt las, packte mich das blanke Entsetzen. Der Turm hatte nichts mit einer Burg oder einer wehrhaften Befestigung zu tun, sondern es war ein Glockenturm, der zu einer Kirche gehörte, die 1970 abgerissen worden war. Die Straße war ausgebaut worden, und dabei hatte die Kirche gestört.

Ich fühlte mich wie in einer Bananenrepublik. In Romanen von Amir Valle hatte ich von dem beklagenswerten Verfall in Kuba gelesen, wo Häuser in sich zusammenstürzten und Menschen unter sich begruben. Aber niemand würde dort auf die Idee kommen, eine Kirche abzureißen. Ich machte eine gedankliche Reise durch die Welt. Philippinen, Mongolei, Madagaskar, Elfenbeinküste, Equador, Costa Rica, wer würde dort eine Kirche abreißen ? Mein Bild von der Bananenrepublik vor der eigenen Haustüre verdichtete sich.

Der Alte Turm stammte aus dem 12. Jahrhundert. Der Glockenturm beherbergte zwei Glocken aus den Jahren 1847 und 1855. Die Glocke aus dem Jahr 1847 war im ersten Weltkrieg eingezogen worden, um für Kriegszwecke verbraucht zu werden. 1922 wurde eine neue Glocke gegossen. Diese beiden Glocken hatten den zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden. Einmal im Jahr fand ein Turmfest statt, in dem die beiden Glocken „gebeiert“ wurden (das Tradition des Beierns hatte ich bei Marita im Freilichtmuseum Windeck kennen gelernt).

Die romanische Kirche war im Mittelalter zerstört worden, während der Turm aus dem 12. Jahrhundert diese Epoche unversehrt überstand. Im 18. Jahrhundert wurde ein Saalbau in romanischem Stil angebaut. Dieser neu geschaffene Baukörper formte die St. Ägidius-Kapelle. Altäre und Inneneinrichtung fügten sich in üppigem Barockstil ein.

1966 wurde eine neue Kirche gebaut und mit rückläufigen Zahlen von Kirchgängern wurde die Kirche nicht mehr genutzt. Der in die Straße gequetschte Chor muss tatsächlich ein Hindernis für den Verkehr gewesen sein. An dieser Engpassstelle hätte man eine Ampel schalten können, um den Verkehr einspurig durch das Nadelöhr zu führen. So wie ich dies beispielsweise aus Bonn-Oberdollendorf kenne, wo Fachwerkhäuser in die Straße hinein ragen. Aber abreißen ? In unserem Nachbarort, wo ich aufgewachsen bin, zieht sich genauso die Dorfstraße in scharfen Kurven um die Kirche. Dann fließt der Verkehr langsamer, LKW’s müssen aufpassen, man muss auf andere Rücksicht nehmen. Wieso nicht hier ?

Ich verließ den hell erleuchteten Platz, auf dem der Glockenturm seine messerscharfen Umrisse in die Höhe reckte. Die dumpfen Lichtkegel der Straßenlaternen fielen auf den Asphalt, der flüchtig unter meinen Rädern verschwand.

Im Original hatte ich die St. Ägidius-Kapelle nie kennen gelernt. Mit ihrer putzigen und kleinen Gestalt, so wie ich mir sie vorstellte, musste sie einzigartig gewesen sein. Oft waren es nicht die großen Dome oder Kathedralen, die mich faszinierten, sondern die kleinen Kirchen, die zum festen Bezugspunkt wurden und in denen sich der Mensch sich schnell heimisch fühlte.

Eine stille Melancholie überfiel mich. Meine Traurigkeit löste sich im Fahrtwind auf, der über mein Gesicht strich.

Donnerstag, 22. November 2012

Scheinselbständigkeit

… diesen Artikel hatte ich aus einem alten Manager-Magazin-Heft, das ich entsorgt hatte, kopiert.

Unter neue Formen der Ausbeutung im Arbeitsleben ordnete ich dies ein, daher war mir dieser Artikel zu schade zum Wegwerfen. Oder: wie die menschliche Arbeitsleistung zum Objekt der Kosteneinsparung wird.

So diffus wie der Begriff, so diffus bewegen sich die Tätigkeiten der Scheinselbständigen in einer Grauzone. Während im klassischen Arbeitgeber-/Arbeitnehmerverhältnis alles im Arbeitsvertrag geregelt ist, so wird beim Scheinselbständigen alles, was Geld kostet, auf den Auftragnehmer abgeschoben – das sind vor allem die Sozialabgaben. Dieser ist auf dem Papier selbständig. Er bewegt sich aber nicht auf Augenhöhe mit anderen Selbständigen, die mit ihrer Tätigkeit ordentlich Profit erwirtschaften – wie etwa Architekten, Steuerberater, Rechtsanwälte, Notare. Denn er arbeitet ausschließlich für einen einzigen Auftragnehmer. Logistik; Transportgewerbe; Kurier- und Paketdienste; Subunternehmer auf Baustellen; Messe-, Garten- und Landschaftsbau; Interviewtätigkeiten für Marktforschungsinstitute; Regalauffüller in Supermärkten; ihr Anteil steigt stetig, doch die genaue Zahl kennt niemand.

In unserer Gesellschaft, in der die Gewinnmaximierung die Leitlinie sämtlichen unternehmerischen Handels ist, ist dies so gewollt. Schon Friedrich Engels hatte zur Lage der arbeitenden Klasse in England festgestellt, dass die Konkurrenz der vollkommenste Ausdruck des in der bürgerlichen Gesellschaft herrschenden Krieges Aller gegen Alle ist. In diesem Konkurrenzkampf versucht stets der schlechter bezahlte den besser bezahlten zu verdrängen. Karl Marx fügte dem hinzu, dass sich der Arbeiter in eine Ware verwandelt. Der Lohn für seine Arbeitsleistung tritt an die Stelle zwischenmenschlicher Beziehungen.

Scheinselbständige werden de facto ausgegrenzt. Sie gehören nicht zur Firma dazu. Die Firma hat zwar einen Job. Aber zwischen Firma und ihnen verläuft eine Trennlinie, denn mit den Kollegen der Firma haben sie offiziell nichts tun. Mit ihrem Einkommen sind sie schlechter gestellt, gegen Krankheit sind sie nicht abgesichert, ihre Urlaubsvertretung müssen sie selber organisieren, für Saison-schwache Umsatzzeiten müssen sie selbst etwas zurücklegen.

Als Adam Smith 1776 sein Grundwerk „Wohlstand der Nationen“ schrieb, forderte er, dass es eine unsichtbare Hand geben müsse, die sich schützend über das Marktgeschehen legt. Andererseits führe der Kapitalismus zu einer Verelendung der Massen und zu Arbeitsbedingungen, bei denen die Menschen im Endeffekt für einen Hungerlohn schuften müssten. Im Laufe der Jahrhunderte, mit der aufkommenden Arbeiterbewegung und mit dem Entwurf eines Sozialstaates, haben sich diese Zustände deutlich gebessert. Doch mittlerweile sorgt der Markt wieder dafür, dass die Löhne hierzulande mit den Niveaus in China, Indien, Brasilien, Mexiko, Polen, Rumänien oder Bulgarien konkurrieren müssen.

Die schützende Hand des Staates hat sich längst zurückgezogen. Der Staat reguliert nichts mehr, sondern überlässt die Handlungsfelder der Wirtschaft. Der Mensch, der auf Arbeitssuche ist, hat dann nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder zu Hause sitzen und Hartz IV oder ein Niedriglohnniveau, das irgendwie versucht, mit China, Indien, Brasilien, Mexiko, Polen, Rumänien oder Bulgarien mitzuhalten. So wie zur Zeit der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts, wird der Mensch so viel arbeiten, um seine existenziellen Bedürfnisse sicherstellen. Er wird sich also auf solche dubiosen Konstrukte wie die Scheinselbständigkeit einlassen.

Der Enthüllungs-Journalist Günter Wallraf hatte dazu die Arbeitsbedingungen beim Paketdienst GLS recherchiert. Je mehr sich die Weihnachtszeit nähert, um so mehr boomt die Paketbranche. Der Fahrer, mit dem Günter Wallraf unterwegs war, erhielt monatlich 1.200 € brutto als Entgelt für seine Dienstleistung. Dieses Bruttoentgelt setzte sich aus einer Vergütung von 1,30 € je Paket zusammen, so dass je Arbeitstag etwas mehr als 40 Pakete zuzustellen waren. Um diese Stückzahl zuzustellen, war der Fahrer inklusive Beladung täglich von 5 Uhr bis 19 Uhr unterwegs. Dies entsprach einem Brutto-Stundenlohn von 3 €. Um diesen Brutto-Stundenlohn zu erzielen, durfte der Fahrer nicht krank werden und ihm stand auch kein Urlaub zu. Um bei Krankheit einen Arzt aufzusuchen, musste er sich krankenversichern lassen, was die 3 € weiter schrumpfen ließ.

GLS hat nach der Ausstrahlung in Stern TV einiges dementiert. Ich gehe aber davon aus, dass Günter Wallraf einen Kern von Wahrheit beschrieben hat.

Das Unverschämte ist: der Staat duldet diese neuen Formen der Ausbeutung, wobei als Nebeneffekt Scheinselbständige aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden. Und dies verkauft der Staat dann als Erfolg.

Dienstag, 20. November 2012

Augenoperation

Es war so, als wäre er in einem zeitlosen Zustand. Oder wie zwischen den Zeiten: die eine Zeitzone hatte er noch nicht verlassen, in der anderen Zeitzone war er noch nicht angekommen. Nichts zählte. Die Dinge verloren sich um ihn herum, seine menschlichen Regungen waren wie weggebrochen, zurück geschmissen war er auf seine eigene Existenz.

Seine Hände krampften sich an der Bettdecke fest. Seinem Körper, der in der Waagerechten lag, fehlte jeglicher Entschluss. Dumpf nahm er seine Umgebung wahr. Wie Wellen plätscherte an sein Ohr, was er hören konnte. Er bemerkte seinen regelmäßigen Atemzug. Das Blut hatte nicht aufgehört zu pulsieren. Die Verbindung mit der Außenwelt hatte sich langsam wieder hergestellt.

Die Augenoperation war überstanden. In der Stunde, in der wir ihn im Krankenhaus besuchten, schaffte er es, sich aufzurichten und, gestützt unter meinem Arm, auf die Toilette zu gehen. Was auf Anhieb funktionierte, war sein Durst: bestimmt zehn- bis zwölfmal reichte ich ihm Mineralwasser, er trank aus, ich stelle das Glas zurück, einige Minuten später trank er ein neues Glas Mineralwasser.

Was nicht funktionierte, war sein Sehvermögen. Das lag aber primär nicht an der Operation, sondern an dem Verband. Eine weiße Augenschale verdeckte sein rechtes Auge, zugeklebt mit dicken, fetten Klebestreifen, die sich bis unter die Wange herunter zogen. Die ausgekugelte Form hinderte ihn, seine Brille aufzusetzen. Diese hatte so dicke Gläser, dass er ohne Brille kaum etwas sah. Seine Umgebung musste wie Schatten gewirkt haben. Uns konnte er nur schemenhaft erkennen. Alles verschwamm wie in einem unruhigen See, dessen unregelmäßiges Wellenspiel nicht greifbar war. Signale erreichten ihn, aber wo war der Sender ?

Der Zustand war neu, hilfebedürftig zu sein. Er unterdrückte dieses Gefühl, ohnmächtig zu sein. Nach der Operation war sein Körper wie erschlagen. Ein Erschöpfungszustand legte ihn lahm, als wäre er gleich mehrere Marathon-Läufe hintereinander gelaufen. Vollgestopft mit Medikamenten, spürte er keinen Schmerz. Er dachte an gar nichts mehr, auch nicht an den nächsten Moment, wie es weitergehen würde. Dieser Zustand war schrecklich. Der Wille war da, aber das Aufstehen und die Bewegungen waren mit ganz viel Mühe verbunden, die Überwindung kosteten.

Die Operation sei ohne Komplikationen verlaufen, erklärten die Ärzte. Die Netzhautablösung sollte geheilt werden, indem Augapfel und Netzhaut getrennt worden waren. In die Hohlräume war eine Silikonflüssigkeit eingelassen worden, wodurch die Sehfähigkeit wieder hergestellt würde. Die Heilungsaussichten beurteilten die Ärzte als hoch.

Einerseits faszinierte mich, was die Medizin leisten konnte. Andererseits erschrak ich, wie kleinste Körperteile aufgeschnitten wurden, seziert wurden, auseinander genommen wurden und wieder zusammengefügt wurden. Alleine bei dem Gedanken, wie herum geschnibbelt wurde, lief es mir eiskalt den Körper herunter.

Dem hilflos ausgeliefert zu sein, lag jenseits des Verstandes. Das Schicksal hatte zugeschlagen. Gläubige Katholiken oder Protestanten dürften in dieser Situation wohl Gebete ohne Ende gesprochen haben. Ich war fassungslos, wie sich das Leben eines Menschen von einem Moment auf den anderen verändern konnte. In seinem blau-weiß gestreiften Schlafanzug, die Bettdecke von sich weggestreckt, konnte er lediglich daran glauben, dass alles gut wird. Dabei musste er den Ärzten vertrauen mit ihrem Können, all ihrer Erfahrung und all den anderen Operationen, die erfolgreich verlaufen waren.

Zwei Tage später telefonierten wir mit Freunden. Ihre Schwester hatte im Alter von 14 Jahren auch eine Netzhautablösung gehabt – das hatten wir so nicht gewusst. Eine Behandlung mit Silikon gab es damals noch nicht, sondern nur das Laserverfahren. Ihre Schwester ist nun 54 Jahre alt und ist seit dem 14. Lebensjahr erblindet.

Mittwoch, 14. November 2012

die Spendendose


Unmerklich, still, heimlich und leise, hatte sich die Spendendose in unser Haus geschlichen. Zuerst hatte ich sie auf unserem Wohnzimmertisch bemerkt, wo sie zwischen Zeitungen, Buntstiften und den gemalten Werken unseres kleinen Mädchens unterging. Einige Tage später, tauchte die Dose auf der Ablage in unserer Küche auf. Abgeschoben neben unsere Schütte, verschwand sie inmitten von lauter Krimskrams, das waren Figuren aus Überraschungseiern, eine leere Seifenblasendose, Rezeptkarten mit der Figur von Käptn Blaubär oder die Visitenkarte einer Gartenbaufirma, die längst in Vergessenheit geraten war.

Ich betrachtete die Spendendose. Ich las „Deine Hilfe zählt“ von der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe. An mein eigenes Gewissen appellierend, rückte ich die Dose auf die Vorderseite unserer Küchenablage. Weit genug weg von den ungespülten Gläsern, damit man sie auch sehen konnte.

Einige Tage später entdeckte ich Dose wieder: abgeschoben in die äußerste Ecke, verschwand sie zwischen einer Mineralwasserflasche, Wasserkocher und Küchenrolle.

Ich diskutierte mit meiner Göttergattin:
„Wo kommt die Dose her ?“
„Hat unser kleines Mädchen von der Schule mitgebracht …
… genau dieselbe Dose haben unsere großen Kinder schon vor mehr als zehn Jahren nach Hause gebracht. Deutsche Lepra- und Tuberkulosenhilfe, daran erinnere ich mich genau.“
„Aha.“ sinnierte ich vor mich hin.

Die Spendendose war also in die Rubrik Schule einzuordnen. Die Spendendose hatte in die Routine des Jahresablaufs Eingang gefunden, Spenden wurden unstrittig als sinnstiftend betrachtet. Die Schule machte es so, weil es immer so gemacht worden war.

Meine Göttergattin fügte hinzu:
„Wir spenden einmal jährlich an das Rote Kreuz. Dann backen wir Kuchen für die Buchausstellung und wir backen Plätzchen für den Weihnachtsmarkt. Das kommt dem Förderverein für die geistig Behinderten zugute.“
Das stimmte so.

„Wo willst Du sonst noch überall hin spenden ? Dürre in der Sahel-Zone, Flüchtlinge aus Syrien, Verwüstungen durch den Hurricane Sandy, die Tafel, Ärzte ohne Grenzen ....“
„Ich stelle fest, dass die Liste kein Ende nimmt.“

Die Spendedose konnte ich also vergessen. Sie passte genau in das Umfeld hinein, wo sie stand: mitten in all dem Krimskrams, den wir ausmisten mussten. Das Schicksal der Spendendose war vorgezeichnet: eine zeitlang würden wir überlegen, gemeinsam mit dem übrigen Krimskrams würde sie in einer Ecke herumstehen, bis sie irgendwann mit all dem anderen unnützen Zeug im Müll landen würde. Wofür wir spendeten, war anders sortiert.

„Ich verabscheue diese Trittbettfahrer. Je näher Weihnachten rückt, um so mehr Reklame bekommen wir von Spendenorganisationen. Die glauben, dass mit der frohen Weihnachtsstimmung wohl auch die Spendenbereitschaft steigt.“ setzte ich hinzu.

Ich dachte an Spendenorganisationen, die als Infopost gleichzeitig Weihnachtskarten verschickten, eine Banküberweisung beifügten und hofften, dass sich die Beglückten mit einer satten Spende bedankten. Da steckte durchaus Kalkül dahinter. Ähnlich wie bei Reklamesendungen, konnten die Rückläufe den Kosten gegenübergestellt werden. Die eingenommenen Spenden mussten höher sein als die Druckkosten für die Weihnachtskarten, sonst würden solche Spendenorganisationen so etwas nicht machen.

Wieder las ich „Deine Hilfe zählt“ auf der Spendendose. Der Hilferuf drohte in der Informationsflut, für welche Bedürftige in welcher Ecke der Welt gespendet werden konnte, zu versinken.

Freitag, 2. November 2012

Jean-Paul Sartre - Der Ekel


Zielloses Herumstreunen in Kneipen. Langeweile, Neugierde und Aufbruchstimmung trieben mich aus meiner Single-Wohnung heraus. Doch jedes Mal, wenn ich die Kneipenszene rund um die Kölner Universität aufsuchte, stumpfte deren Einfallsreichtum ab. Die Gesichter an der Theke waren austauschbar. Die Verbindungen, die ich knüpfte, waren kurzweilig und verschwammen in der Unbeständigkeit des Augenblicks. Ich wechselte in die nächste Kneipe. Oder in die Altstadt. Bis mich die Ziellosigkeit in meine Single-Wohnung zurück trieb.

Sartre’s Roman „Der Ekel“ beschreibt den Historiker Roquentin, der eine Biografie schreibt. Ebenso ziellos streift er durch die Kleinstadt Bouville und verbringt einen nicht unerheblichen Teil seiner Zeit in Cafés.

1938 geschrieben, ist der Roman „Der Ekel“ eines der frühen Werke Sartres (1905-1980). Im Gegensatz zu seinem Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“ (Original „l’être et le néant), stellt die Form des Romans eher die Ausnahme dar; der überwiegende Teil seines Werks sind philosophische Schriften.

Anders wie bei mir, als ich in Köln auf der Suche nach Kontakten war, sind Aufbruchstimmung und Ziellosigkeit bei Roquentin Dauerzustand. Dadurch ist der Roman schwerfällig zu lesen. Roquentin recherchiert in der Bibliothek für seine Biografie und streift, um sich abzulenken, durch Cafés. Seinen Mitmenschen steht er gleichgültig gegenüber, ja, er ist sogar eine Art Misantrop und sieht nur das Schlechte an seinen Mitmenschen. Er begegnet in den Cafés Spinnern, Besserwissern, Aufreißer von Frauen, Mitläufern. Menschen, denen ihre Mitmenschen gleichgültig sind, Menschen, die sich gegenseitig anschweigen. Menschen mit Vorurteilen, Fehlurteilen und kleinbürgerlichen Ansichten. Er empfindet Ekel gegenüber diesen Menschen. Er will diesen Ekel überwinden, indem er die Gründe untersucht.

Dabei klingen die Formulierungen, wie er seine Mitmenschen beschreibt, bisweilen merkwürdig:
„Jetzt ist der Regen da: er schlägt leicht gegen die Milchglasscheiben; wenn auf den Straßen noch verkleidete Kinder sind, wird er ihre Pappmasken aufweichen oder verschmieren …“
Oder:
„Der Aufseher kam auf uns zu: ein Mann mit dem Schnurrbart eines Tambourmajors. Er spazierte stundenlang zwischen den Tischen umher und knallte mit den Absätzen. Im Winter spuckte er ins Taschentuch, das er anschließend im Ofen trocknen ließ.“

Bei mir hatten sich irgendwann zwischenmenschliche Anknüpfungspunkte aufgebaut. Interaktion und Kommunikation begannen zu fließen, wenngleich sehr langsam. Später war das Herumstreunen nicht mehr ziellos, und Szenekneipen oder Cafés haben mich dauerhaft inspiriert.

Sartre ist aber kein Netzwerker, sondern Philosoph. Angeekelt, findet sich Roquentin an einem Punkt wieder, wo er inmitten all seiner gleichgültigen Mitmenschen seine eigene Existenz hinterfragt. Sich anlehnend an Descartes, erforscht er sein Inneres: ich denke also bin ich (cogito ergo sum). Zurückgeworfen auf sein eigenes Ich, muss Roquentin sich positionieren, sich selbst definieren.

Dieser Existenzialismus, mit dem Sartre ein Durchbruch gelungen ist, liest sich in dem Roman genauso schwerfällig. So sinniert Roquentin eine gefühlte Ewigkeit lang vor sich her, wie seine eigene Existenz zu beschreiben ist:
„… die Existenz ist wabbelig und rollt und schwankt, ich schwanke zwischen den Häusern, ich bin, ich existiere, ich denke, also schwanke ich, ich bin, die Existenz ist ein gefallener Sturz, wird nicht fallen, wird fallen, der Finger kratzt an der Luke, die Existenz ist eine Unvollkommenheit. Der Herr. Der schöne Herr existiert. Der Herr fühlt, dass er existiert … „
Usw.

Roquentin ist also auf Dauersuche nach seiner eigenen Existenz. Das hört sich widersprüchlich an, aber gerade dies hat mich an dem Roman fasziniert. Sartre schickt seine Romanfigur in diese Dauersuche hinein. Roquentins Lebensinhalt ist, ein Biografie zu schreiben (was eigentlich ein Ziel ist). Roquentin definiert sich ständig neu und sucht einen Neubeginn. Seine erste Erkenntnis ist, dass er keine historische Biografie schreiben will, sondern einen Roman. Dazu will er nach Paris umziehen. Zwischendurch trifft er sein Ex-Geliebte wieder, in die er sich hoffnungslos neu verliebt. Sie reist aber nach einigen Tag ab nach New York. Über den gesamten Roman hinweg endet die Dauersuche nach der eigenen Existenz darin, dass Roquentin vieles verwirft, sich ständig neu definiert und nichts von dem erreicht, was er sich vorgenommen hat. Und die Grundstimmung des Ekels ist nicht verschwunden.

Bezogen auf meinen eigenen Blog, denke ich bei Roquentin an den Post über Lieven Deflandre. Lieven Deflandre hatte eine pessimistische Grundhaltung gegenüber Politik, Staat, Gesellschaft, Alltag. Beziehungen zu seinen Mitmenschen pflegte er über soziale Netzwerke. In seinen Posts beschreibt er die Leere der Cafés in Gent, wo er gelebt hat, und wie ihn die Menschen in den Cafés abgestoßen haben.

Bei dieser Grundhaltung, wie Menschen wegsehen, wie in der Informationsflut Lebensziele abhanden kommen, wie in den Nachrichten nur über Negatives berichtet wird, wird dieser Menschentyp eines Roquentin mitten unter uns sein.

Mittwoch, 31. Oktober 2012

Glockentürme (5) - Glockenspiel in Bonn-Bad Godesberg


Dass Nova’s Glockenturmprojekt so viele Ideen erzeugen würde, hätte sie wahrscheinlich nie für möglich gehalten. Angelika, Nova und ich, wir haben mittlerweile mehrer Posts zu diesem Thema geschrieben.

Verknüpfend mit meinem heutigen Post, habe ich zurückgeblickt auf all die schönen Glockentürme. Begriffe und Strukturen habe ich entworfen, worüber diese Posts geschrieben worden sind. Diese führen dann mitten hinein in meinen heutigen Post.

Nova und Angelika zeigen Glockentürme, die gleichzeitig Kirchtürme sind, wobei in Nova’s Glockentürmen auf Teneriffa die Glocken von außen zu sehen sind. In Angelika’s Glockentürmen aus dem Rheinland (Ausnahme Glockenturm Nr. 3) sind die Glocken – wahrscheinlich - in einer eigenen Glockenstube innerhalb des Kirchturms untergebracht und von außen nicht zu sehen.

In meinem zweiten Post über Glockentürme hatte ich die Bedeutung von Glockenspielen erwähnt, die in Belgien und Nordfrankreich zu Rathäusern gehören. Eine Stadtglocke strukturierte die Zeit und gab das Signal zum Öffnen und Schließen der Stadttore, markierte Anfang und Ende der Arbeitszeit oder läutete zu Festivitäten. In diesen Glockentürmen in Belgien und Nordfrankreich befinden sich heute Carillons bzw. Glockenspiele. Auch in Deutschland sind vielerorts in Kirchen oder Rathäusern Glockenspiele zu hören.

Der Bau von Glockenspielen bzw. Carillons ist eine Handwerkskunst, die im 17. Jahrhundert in den Niederlanden entwickelt wurde. Der Glockenspieler bzw. Carilloneur war ein eigener Beruf, der erlernt werden musste. Um als Glockenspiel zu gelten, musste der Carilloneur über mindestens zwei Oktaven das Glockenspiel spielen können. Dazu benötigt das Glockenspiel mindestens 23 Glocken.

Anläßlich der Bundesgartenschau 1979 in Bonn hatten die Organisatoren die Idee, ein Glockenspiel nach der Tradition der Carillons nachbauen zu lassen. Der Bau geschah in den Niederlanden, da dort diese Tradition besonders verwurzelt ist. Dieses Glockenspiel hat genau 23 Glocken, um als Glockenspiel zu zählen. Gebaut wurde die Metallkonstruktion mit den herunterhängenden Glocken – ohne Glockenturm oder Glockenstube. Bei der Bundesgartenschau war das Glockenspiel eine der maßgeblichen Attraktionen und ein niederländischer Carilloneur spielte während der Öffnungszeiten.

Als die Bundesgartenschau beendet war, fand das Glockenspiel einen Platz im Stadtpark von Bad Godesberg. Die Bundesgartenschau liegt mittlerweile mehr als dreißig Jahre zurück. Danach ist auf dem Glockenspiel weder gespielt worden, noch überhaupt etwas gemacht worden. Es ist schlichtweg vergessen worden. Rost hat sich zwischen den Metallteilen gebildet. In der Glasabdeckung sind Öffnungen eingelassen, da Tasten, Klöppel und Züge die Zufuhr von Luft brauchen. Somit dringt Regenwasser ein. Wahrscheinlich ist das Glockenspiel erst nach einer gründlichen Sanierung wieder bespielbar.

Dafür fehlt in der Stadtkasse – natürlich – über Jahrzehnte hinweg das Geld. Die Stadt Bonn hat zwar Geld, beispielsweise Straßenbahnhaltestellen in einer architektonisch aufgehübschten Form neu zu bauen, obschon die alten Straßenbahnstellen ihrem Zweck vollkommen genügen. Das ist so wie in anderen Städten: so etwas wird de-priorisiert, es fehlt sogar dasGeld, um die scheußlichen Schmierereien am Betonsockel zu entfernen.

Im Zusammenhang mit einem Pavillon hatte ich in Nova’s Blog zuletzt gelesen, dass die spanische Mentalität, Bausubstanz zu erhalten, grundlegend anders ist als in Deutschland. Dies muss ich revidieren: Zerfall macht sich auch in Deutschland breit. Und dies an Stellen, wo es durchaus weh tut.

Samstag, 27. Oktober 2012

Grundschule


Dies ist nicht die Grundschule, die unser kleines Mädchen besucht, sondern diejenige in unserem Nachbarort. Der Schulweg ist ein Stück Vertrautheit. In der Grundschule werden Weichen für das restliche Leben gestellt. Die Klassenlehrerin ist Vertrauensperson und Kümmerer – jedenfalls in unserer Klasse. Man lernt in der Klassengemeinschaft. Es ist eine prägende Phase im Leben eines jeden Menschen. Da ich diese emotionale Ebene betrachte, habe ich zur Grundschule in unserem Ort eher positive Assoziationen. Vor mehreren Wochen war ich aber in der Grundschule unseres Nachbarortes. Die positiven Assoziationen waren mit einem Mal weggeblasen. Die Tristesse überwog. Mir wurde bewusst, wie platt und einfallslos Schularchitektur sein kann.



Die Türen haben nichts Einladendes, sondern sind nur Bestandteil eines funktionalen Gebildes.


Die Funktionalität wird kaum durchbrochen. Bei Schule und Funktionieren denke ich an Pink Floyd „Another Brick in the Wall“: we don’t need no education, we don’t need no thought control …




Dreh- und Angelpunkt ist der Schulhof. Was sollen diese breiten Straßenmarkierungen ? Die Schüler auf den rechten Weg führen ? Mich nerven sie jedenfalls als Betrachter.


Solche Fassaden findet man als Kopie wahrscheinlich an einer Unmasse anderer Grundschulen bzw. Schulen.


Diese Säulen sind ebenfalls einfallslos und langweilig.



Mülleimer und Fußmatten - wieder diese Reduzierung auf das Zweckmäßige, was notwendig ist.


Für ein wenig Auflockerung sorgt dieses Klassenfoto.


Diese Hinweistafel auf das Bildungspaket verbinde ich mit Bürokratie. Die Grundschule bewegt sich auf Augenhöhe mit der Bürokratie, mit deren Ineffizienz und deren verzweifelten Versuchen, die Bedürfnisse ihrer Bürger zu erreichen.

Unser kleines Mädchen ist genug damit beschäftigt, Rechenaufgaben zu lösen, Sätze zu schreiben und ihre Schulbücher zu lesen. Mit Freude ist sie beim Lernen dabei. Das finde ich das wichtigste. Unabhängig davon, wie die Schularchitektur aussieht.

Freitag, 19. Oktober 2012

Glockentürme (4) - St. Stephansmünster in Breisach am Rhein


Das Stephansmünster in Breisach (25 Kilometer westlich von Freiburg an der Grenze zu Frankreich) überragt die Stadt auf seinem Felsen und ist aus allen Richtungen in der Ferne zu sehen. Die Münsterkirche ist romanischen Ursprungs und ist im Chor gotisch umgebaut worden.




Ende 2010 wurde ein Glockenprojekt initiiert, dessen Ziel der Neubau eines Glockenturmes war. Die Glocken des Stephansmünsters sind mehrere Jahrhunderte alt und stammen aus den Jahren 1350, 1491, 1579, 1583 und 1662. Im Zuge des Glockenprojektes wurden drei neue Glocken gegossen. Ebenso wurde die Glocke aus dem Jahr 1579 instandgesetzt, die durch Kriegsschäden aus dem 2. Weltkrieg beschädigt war und im Stadtmuseum von Breisach aufbewahrt wurde. Die Gesamtkosten von 125.000 € wurden vollständig über Spenden finanziert. Die Weihe von zwei neuen Glocken wurde im Juni 2011 mit einem Stadtfest gefeiert. Für die insgesamt vier neuen Glocken wurde in dem kleineren Kirchturm ein Glockenturm neu gebaut. Die anderen Glocken finden sich in dem Glockenturm des größeren Kirchturms wieder. 

Im Inneren der Münsterkirche kann man die instandgesetzte Glocke aus dem Jahr 1579 bestaunen sowie die dritte neue Glocke, die noch nicht geweiht worden ist.