Samstag, 30. März 2013

frohe Ostern

Ich wünsche euch allen ein frohes Osterfest, viel Spaß beim Ostereier-Suchen und Ruhe und Entspannung an den Feiertagen. 




Freitag, 29. März 2013

Gründonnerstag, witte donderdag und Jeudi saint

Obschon die Abendstimmung abweisend und kalt war, fühlte ich mich von der Kirche magisch angezogen. Ich war die Anhöhe hochgeradelt, auf der bereits im 4. Jahrhundert die Franken gesiedelt hatten. Ich ruckelte über das spröde Kopfsteinpflaster. Die Steine waren aschgrau wie der Sockel, über den sich das weißgestrichene Mauerwerk der Kirche erhob. Der Lichtschein im Inneren hinter den Rundbogenfenstern war dumpf. Der langatmige Klang einer Orgel hatte eingesetzt.


Gründonnerstag. In der Kirche feierten die Gläubigen das Abendmahl.  Es ist bestimmt Jahrzehnte her, dass ich Gründonnerstag in die Heilige Messe gegangen bin. Ich erinnere mich, als ich Messdiener war, dass der Gründonnerstag entspannt war vor den dramatischen Ostereignissen. Karfreitag, das war pure Brutalität, einen Menschen ans Kreuz zu nageln. Die Osternacht, die Auferstehung, das war mir zu feierlich, obschon diese Nacht den Kern christlicher Botschaft umfasste.

Grün, Greinen: wir Deutschen sind ungefähr die einzigen in Europa, bei denen dieser Donnerstag Grün ist. Greinen ist Althochdeutsch und bedeutet „weinen“ oder „wehklagen“ in dem Sinne, dass die Exkommunizierten wieder am Abendmahl teilnehmen durften. Wie die Farbe Grün in den Donnerstag hinein gerutscht ist, ist aber umstritten – so gibt es andere Erklärungsversuche, dass Grün in der späten Antike die liturgische Farbe des Donnerstags gewesen ist.

Das letzte Abendmahl: nachdrücklich in meinem Gedächtnis ist ein Gemälde von Jacob Jordaens (1655) haften geblieben, das ich in den 80er-Jahren im Kunstmuseum in Antwerpen gesehen habe. Die naturalistische Darstellung, das gemeinsame Beisammensein, die Lockerheit; auch der entspannte Gesichtsausdruck von Jesus und seinen zwölf Jüngern geben genau diejenigen Eindrücke der Abendmahlsfeier wieder, die ich in meiner Jugendzeit hatte.
Jacob Jordaens (1655); museum voor schone kunsten Antwerpen
Ein wesentliches Symbol des Abendmahls, die Fußwaschung, hat in diesem Jahr der Papst aufgegriffen, indem er sich in ein Jugendgefängnis begeben hat und zwölf Gefangenen die Füße gewaschen hat. Zweifellos eine schöne Geste.

Die Abendmahlsfeier habe ich definitiv in diesem Jahr verpasst. Denn ich habe erst gegen 18 Uhr mein Büro verlassen. Und dies durchaus mit einem positiven Anlass, dass ich gemeinsam mit meinem Chef in einer Sitzung der Geschäftsführung anwesend sein durfte. In meinen dreißig Dienstjahren war dies in der letzten Woche das erste Mal der Fall, in dieser Woche das zweite Mal. Das war gut und entspannt gelaufen, alle Fragen konnten wir beantworten, alle waren zufrieden. Das hat mich gefreut, dass sich die Unternehmensspitze dafür interessiert, was wir machen und welche Ergebnisse bei unserer Arbeit herauskommen.

Wenn ich wieder die Fußwaschung betrachte, so gibt diese den Anstoß für eine andere Farbgebung des Donnerstags. „Witte donderdag“ heißt der Gründonnerstag in den Niederlanden. „Witt“, das bedeutet „weiß“ und bezieht sich auf die Reinheit der gewaschenen Füße. Genauso wird der Gründonnerstag auch in Schweden genannt, aber nicht „weiß“, sondern „rein“. „Skärtorsdag“ heißt dort der Gründonnerstag, wobei „skär“ rein bedeutet.

Heiliger Donnerstag, diese Bezeichnung findet sich in den meisten Ländern wieder, in denen ich über andere Bloggerinnen nachgefragt habe. „Jeudi saint“ in Frankreich, „Jueves santos“ in Spanien oder άγιος in Griechenland. In Spanien ist die Verschiebung der Feiertage bemerkenswert: der Gründonnerstag ist bereits Feiertag, der Ostermontag ist dafür Werktag. Dabei wird in manchen Gegenden in Spanien eine Prozession durchgeführt, in der weiße Gewänder am Gründonnerstag dunkelviolette Gewänder aus der Fastenzeit ablösen.

Wahrscheinlich überall schweigen nach der Abendmahlsfeier die Glocken. Anstatt dass die Glocken läuten, werden knarrende Töne über Rasseln erzeugt. In Deutschland habe ich dies früher in der Rhön oder im Fichtelgebirge erlebt (wo wir zufälligerweise über die Ostertage waren). Bei uns im Rheinland kenne ich diesen Brauch nicht. In Frankreich gibt es diesen Brauch genauso, wobei in manchen Gegenden für die Jugendlichen zum Dank für das Rasseln Omeletts gebraten werden.

Geradewegs fuhr in von der Kirche aus, in der das Abendmahl gefeiert wurde, nach Hause. Erst nach 19 Uhr würde ich zu Hause sein. Dort würde ich zuerst alle viere von mir strecken. Ich freute mich auf die Ostertage. Vor allem, dass ich ausschlafen konnte. Sofern unsere Kleine nicht putzmunter gegen 6 Uhr oder halb 7 durch unsere Betten toben würde. Komisch: wenn sie zur Schule geht, haben wir Probleme, sie gegen halb 7 aus dem Bett zu bekommen.

Samstag, 23. März 2013

Architektur aus Beton und Glas

… stößt mich normalerweise mit ihrem nüchternen und kalten Erscheinungsbild ab. Ich habe in der Stadt gesucht – nach verborgenen Reizen, ungewöhnlichen Strukturen und der Schönheit hinter kalten, abweisenden Fassaden. Die Vielfalt und die Detailblicke sind durchaus erstaunlich.


Die Kälte der Bürohausarchitektur stemmt sich gegen die wolkenverhangenen Himmel.



Blauer Himmel mit Schäfchenwolken spiegelt sich auf der Glasfassade.


Bäume mit kahlen Ästen wachsen in das Spiegelbild hinein.


Herauf- oder herabgelassene Jalousien lockern die Glasfassade auf.


Doppelt gemoppelt hält besser: Bürohausarchitektur spiegelt sich in der Bürohausarchitektur.


Knallgelb wirkt vor Glas provozierend.


Luxuskarossen von Geschäftsführern, Prokuristen oder Managern dürfen natürlich auch nicht fehlen.


Der Merzedes-Stern thront vor der sich absenkenden Sonne.


Die Eintönigkeit dieser Hochhausfassade verschwindet hinter der Struktur kahler Bäume.


Das totale Spiegelbild: ich und mein Fahrrad und der fließende Verkehr und die gegenüberliegende Straßenseite.


Der architektonischen Gestaltung sind keine Grenzen gesetzt: Glasfassade und moderne Kunst.



Die Glaspyramide haben sich die Architekten womöglich vom Louvre in Paris abgeschaut. 

Donnerstag, 21. März 2013

zufällige Begegnung beim Foto-Schnappschuss


Ich bemerkte ihn erst spät, als er auf mich zutrat. Ich bestaunte die blau gestrichenen Fassaden, die ein wunderbares Farbenspiel gegen den blauen Himmel und gegen die zerfaserte weiße Masse von Wolken pinselten. Ich machte vier bis fünf fotografische Schnappschüsse von dieser heimeligen Fassade. Mit Ecker und Stuckarbeiten waren die Fassaden wie geleckt. Im Stil nachempfundenen Fachwerks plazierten die obersten Erker ihre Ruhe und Gelassenheit auf die übrigen zwei Stockwerke.

Er zog das rechte Bein nach. Die Masse seines Körpers lastete auf einer Krücke in seiner rechten Hand. Obschon sein rechtes Bein und sein Gang durch irgendeine Krankheit gehemmt war, waren seine Gesichtszüge entspannt. Schwerfällig schritt er mit seinem durchdringenden Vollbart auf mich zu, der blaß war, aber noch nicht vollständig ergraut.

„Was machen Sie da ?“ fragte er mich direkt in mein Gesicht hinein.

Ich war irritiert und überlegte. Ich war unterwegs in meiner Identität als „rheinland-blogger“. Die Motive verdichteten sich auf dem kleinen Platz: die zusammengeklappten Tische und Stühle eines Restaurants, satte Schneereste Mitte März, die Baumkronen als Titel für meinen nächsten Wochenend-Post, das bereits beschriebene Farbenspiel.

Hatte ich etwas unerlaubtes fotografiert ? Gesichter ? Nein. In Vorgärten hinein ? Auf diesem Platz gab es keine. Die blaue bürgerliche Fassade ? Das wäre mir neu, dass ich Hausfassaden an einem Platz nicht fotografieren durfte.

„Sind Sie von der Stadtverwaltung ?“
„Nein. Meinen Sie, ich wäre ein Unheil verkündender Beamter !?!?!?“

Er war beruhigt. Wahrscheinlich hatte er mit Bürokraten von der Stadt schlechte Erfahrungen gemacht. Irgendwelche Wichtigtuer, die ihn drangsaliert hatten, ohne dass großartig etwas dabei heraus gekommen war.

„Ich bin Blogger und habe eine eigene Internet-Seite“ traute ich mich nach einigem Nachdenken zu sagen. Im Freundeskreis habe ich keine Hemmungen, mit meiner Identität als Blogger heraus zu rücken. Aber gegenüber Fremden auf der Straße ? Wusste er etwas damit anzufangen ? Oder betrachtete er es als Spinnerei, Realitätsferne oder Verdrängung ? Mit meinem Bekenntnis zum Bloggen gab ich mich eher schüchtern. Fremden gegenüber traute ich mich weniger in die Identität des Bloggers hinein.

„Ich wüsste nicht, dass ich auf diesem Platz etwas Verbotenes fotografiert habe.“
Dabei fiel mir ein Erlebnis von Weihnachtsmarkt ein.
„Hätten Sie vermutet, dass man Stände auf dem Weihnachtsmarkt nicht fotografieren darf ? …. Einen Stand, der mir besonders gefiel, hatte ich fotografiert. Der Verkäufer kam mir mit Hausrecht an. Das Innere des Standes darf nicht fotografiert werden. Er bat mich, sofort die Fotos zu löschen.“
„Typisch deutsch“ entgegnete der Mann auf der Krücke. „Die fangen direkt mit der Juristerei an. Finde ich auf einem Weihnnachtsmarkt überzogen. Die wollen ja gesehen werden. Die wollen ja auch, dass die Menschen bei Ihnen etwas kaufen. Lächerlich.“

Ich kreuzte den Platz mit meinen Blicken. Er hatte auch Stilbrüche und Gegensätzliches. Das Mulitplex-Kino streute Anzeigetafeln des laufenden Kinoprogramms auf die Frontseite. In der anderen Richtung war von der Burg nichts zu sehen, die sich wegen Renovierungsarbeiten in ein Korsett von Staubschutzwänden zwängte. Auf dem Platz mischten sich die aalglatten Fassaden von Banken in das bürgerlich-gehobene Niveau verzierter Mauern hinein. Ich bewegte mich in meinem Element als Blogger. An allen Ecken lauerten Besonderheiten auf mich. Meine Neugierde nahm kein Ende.

„Wollen Sie den Platz von oben fotografieren ?“
Ich verstand nicht. Aufs Dach klettern ? War oben eine Aussichtsplattform ?
„Ganz oben dritter Stock. Dort, wo die Erker mit den Fachwerkimitationen sind, wohne ich …
… kommen Sie !“
Dankend nahm ich seine Einladung an. Der Gang mit seiner Krücke war ein wahres Hindernis. Es dauerte eine Zeit lang, bis er diese Beeinträchtigung abschüttelte, aufrecht ging und seine Schritte sich mit einem normalen Gehtempo durchsetzten. Im Aufzug spürte ich eine Vertrautheit, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen. Sein Blick wanderte locker zwischen den Wänden des Aufzugs hin und her. Unbestimmt schoben sich seine Denkfalten ineinander.

„Hinein in mein Reich !“ öffnete er mir seine Eingangstüre. Parkettboden, eine geräumige Etagenwohnung, an die einhundert Quadratmeter breiteten sich aus, eine aufgeräumte Küche. Er öffnete das große Panoramafenster und ich durfte fotografieren. Bei solch einem Ausblick musste es grandios sein, hier wohnen zu können.

„Worüber bloggt man so ?“
„Alles mögliche. Bilder vom Burgfriedhof habe ich gepostet, die Fassadenmalerei an der Bushaltestelle, die U-Bahn-Haltestelle oder die Michaelskapelle. Ich versuche, all den Dingen, die man tagtäglich sieht, etwas schönes abzugewinnen.“

Ich gab ihm meine Blog-Adresse. Er machte durchaus den Eindruck, dass ich ihn als regelmäßigen Leser gewonnen hatte.

DR. JUR. las ich, als er mir seine Visitenkarte reichte. Als Jurist hatte er ebenso eine eigene Internet-Homepage. Ich bin gespannt, ob wir in Kontakt bleiben.

Montag, 18. März 2013

das Rheinland - eine Standortbestimmung


Wer bin ich ? Ich blogge, also bin ich – dies ist eine meiner inneren Antriebe. Und die Identität, unter der ich blogge, ist das Rheinland. Also begebe ich auf die Spuren des Rheinlandes. Es gilt, den Begriff des Rheinlandes zu umreissen. Wo also liegt das Rheinland ?

Was beim ersten Hinsehen einfach klingt, wird beim zweiten Hinsehen verwickelt und kompliziert. Wie bei anderen Dingen, kann man das Rheinland aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Und je nach Blickwinkel, schälen sich komplett andere geografische Gebilde heraus.

Nach meinem eigenen Verständnis habe ich das Rheinland als Nebeneinanderstellung der beiden Bindestrich-Bundesländer betrachtet: also Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. In Nordrhein-Westfalen habe ich kein Problem mit dieser scharfen Trennlinie, die beispielhaft zwischen Mülheim an der Ruhr (Rheinland) und Gelsenkirchen (Westfalen) oder Wuppertal (Rheinland) und Hagen (Westfalen) verläuft. Oder auf der Ebene der Regierungsbezirke: Düsseldorf = Rheinland und Arnsberg = Westfalen. Komplizierter wird dies in Rheinland –Pfalz. Als dieses neue Bindestrich-Bundesland 1949 gegründet wurde, wurden neben den alten Verwaltungsbezirken Trier und Koblenz Teile von Hessen-Nassau dem Rheinland zugeordnet. Zählt Trier zum Rheinland ? Zählen Abschnitte der Saar (Saarburg … ) zum Rheinland ? Was ist mit dem Hunsrück ? Wie sieht es am anderen Ende des Westerwalds aus ? (Montabaur …)

Ich tue mich schwer damit. Alleine der moselfränkische Dialekt, der sich von Koblenz bis Trier breitmacht, hat nichts mehr mit dem Rheinland gemein. Und das rollende „R“, das ich aus Teilen des Westerwaldes kenne, hat erst recht nichts mit dem Rheinland zu tun. Wenn ich umgekehrt einen rheinischen Sprachraum definiere, klingt der Dialekt hinter der Aachener Grenze in Eupen in Belgien oder in Vaals in Niederländisch-Limburg eindeutig rheinisch. An der anderen Ecke, etwa in Oberhausen oder Essen, klingt die Sprache des Ruhrgebietes kaum noch rheinisch. Sprache oder Dialekt eignet sich also genauso wenig.

Andere Kriterien ? Es besteht kein Zweifel, dass der Rhein und das Rheinland eine jahrtausende alte Kulturlandschaft sind. Die Römer hatten mit ihrer Hochkultur und ihren technischen Errungenschaften – Straßenbau, Kanalisation, Bäder, sanitäre Anlagen oder eine Wasserversorgung aus den Bergen der Eifel – das Rheinland besiedelt, doch am Rhein schieden sich die Geister: am rechten Ufer des Rheins endete das Imperium der Römer, denn dort begann die Barbarei – das waren die germanischen Stämme. So lagen die Römerlager Koblenz, Bonn, Köln, Neuss und Xanten auf der linken Rheinseite längs des Rheins. Darüber hinaus war das Rheinland ein loses Gebilde, das sich über Straßenverbindungen nach Aachen und Maastricht oder nach Nijmegen zusammenfügte.

Die Wurzeln der geografischen Bezeichnung des Rheinlandes liegen rund 1.700 Jahre später – in Form des Rheinbundes in der napoleonischen Epoche. Nach seinem Desaster in Waterloo musste Frankreich 1815 den Rheinbund an Preußen zurückgeben. Die Preußen schufen zwei Verwaltungsbezirke aus dem wieder einverleibten Rheinbund – ein Bezirk war Köln zugeordnet, der andere Koblenz. Ab 1830 sprachen die Preußen von diesem Gebiet als „Rheinland“, welches im Bereich des Bezirks Koblenz nicht nur bis Trier und in den Hunsrück, ja, sogar bis ins Saarland nach Saarbrücken reichte.  

Zählt Saarbrücken zum Rheinland ? Ich bewege mich lieber in eine andere Richtung, zur Dichtung, Poesie und Kunst. Taugt die Anziehungskraft für Künstler eher, die Standorte des Rheinlandes festzulegen ? Der Rhein hatte Scharen von Dichtern und Denkern angezogen: Karl Simrock, Ernst Moritz Arndt, Gottfried Kinkel, Ferdinand Freiligrath, Friedrich Schlegel oder Heinrich Heine, ja, sogar Goethe. Sie nannten sich Rheinromantiker und beispielhaft sei hier Clemens Brentano zitiert:
Das ist der heil’ge Rhein
Ein Herrscher, reich begabt,
Deß’ Name schon, wie Wein,
Die treue Seele labt,
Es regen sich in allen Herzen
Viel vaterländ’sche Lust und Schmerzen,
Wenn man das deutsche Lied beginnt
Vom Rhein, dem hohen Felsenkind.
Wir wollen ihm auf’s neue schwören;
Wir müssen ihm, er uns gehören.
Vom Felsen kommt er frei und hehr;
Er fließe frei in Gottes Meer !

Copyright Sammlung Rheinromantik
Klingt doch schön, wie sich Brentano vom Rhein inspirieren ließ ? So vernetzt, wie diese Rheinromantiker unterwegs waren, durchs Ahrtal, quer durch die Eifel oder quer durch den Niederrhein, entspricht dieses poetische Verständnis durchaus dem, worüber ich gerne als „rheinland-blogger“ schreibe. Ich finde allerdings keine Belege dafür, ob diese Rheinromantiker an den rheinischen Orten unterwegs waren, worüber ich etwas gepostet habe – wie etwa Monschau, Kamp-Lintfort oder Wassenberg.

Egal. Mein Selbstverständnis, wo mein Rheinland liegt, kommt von innen heraus. Trier oder Saarbrücken zähle ich nicht zum Rheinland. Weite Teile der Eifel sehr wohl. In der Richtung des Westerwaldes bin ich mir unsicher: ja, Altenkirchen, soweit habe ich es mit dem Rennrad geschafft; Linz am Rhein liegt nicht weit weg von Altenkirchen. Ich weiß definitiv nicht, wo ich im Westerwald die Grenze ziehen soll. Im Westen sind die Grenzen zu den Niederlanden und zu Belgien eindeutig (so dass Aachen genauso eindeutig zum Rheinland zählt). Genauso wie der rheinische Teil im Bindestrich-Land Nordrhein-Westfalen mit der Trennlinie nach Westfalen.

Das ist ein Stück Standortbestimmung. Zur eigenen Identität und zum Bloggen.

Mittwoch, 13. März 2013

Glockentürme (10): Madame Bovary und die Kathedrale von Rouen / Frankreich


Ihre Liebe begann unter einem Glockenturm.

Emma hatte Léon schon vor vielen Jahren kennen gelernt, als sie und ihr Mann Charles ihr Haus in Yonville in der Picardie gekauft hatten. Er war Notariatsgehilfe. Als der Notar sie zu einem Abendessen eingeladen hatte, erzählten sie sich dieses und jenes. Sie waren sich sympathisch, und Emma spürte, dass Leidenschaft und Gefühle entflammt worden waren.

Sie, Emma, sie war die „Madame Bovary“ in Gustave Flaubert’s Meisterwerk. Tanz und Vergnügen, Bälle und rauschende Feste, gesellschaftliche Anerkennung und aufregende Ereignisse – das vermisste sie in der Provinz Nordfrankreichs. Sie war extrovertiert und wollte unter Menschen. Sie wollte neue Horizonte entdecken und gab sich nicht mit dem zufrieden, was sie hatte. Der Dorfalltag war so langweilig wie ihr Ehemann Charles: als Landarzt verkörperte er ein Mittelmass, er brauchte seinen strukturierten Alltag, er fand sich in den vertrauten dörflichen Strukturen zurecht. Er suchte die Ruhe und zog sich gerne zurück. Kurzum: ihre Lebensentwürfe passten nicht zueinander.

Mit ihren Abenteuern der Liebe suchte Emma diesem tristen Alltag zu entkommen. Nach ihrer ersten Begegnung hatten sie sich aus de Augen verloren, denn Léon war nach Paris gezogen. Dort studierte er Jura. Zufälligerweise, als sie mit ihrem Ehemann eine Theatervorstellung in Rouen besuchte, traf sie Léon. Er hatte mittlerweile sein Jura-Studium beendet und lernte bei einem Richter die Rechtspflege in der Départements-Hauptstadt der Normandie.

Charles war ein fürsorgender und besorgter Ehemann, der die Liebschaften seiner Ehefrau nicht im Auge hatte. Als Emma Interesse auf Klavierspielen zeigte, schickte er sie regelmäßig nach Rouen, um Klavierunterricht zu nehmen. Doch sie lernte kein Klavier, sondern traf sich mit ihrem Liebhaber.

Um 11 Uhr an der Kathedrale. Als Treffpunkt für das Rendez-vous hatten sie die gotische Kathedrale ausgewählt, eine der Glanzpunkte des Kathedralbaus in Nordfrankreich. Léon war aufgeregt und schon zwei Stunden früher stand er vor dem Hauptportal. Endlich kam sie. Sie lagen sich in den Armen, sie küssten sich ohne Ende und ihre Leidenschaft füreinander wollte nicht aufhören. Ein Schweizer drängte sich auf, sie durch die Kathedrale zu führen. Emma und Léon schafften es nicht, ihn abzuwimmeln.

Er erzählte über die Glocke der Kathedrale von Rouen:
„Das hier ist der Umfang der berühmten Glocke des Amboise. Sie wiegt vierzigtausend Pfund und hat ihresgleichen nicht in Europa. Der Meister, der sie gegossen hat, ist vor Freude gestorben …“
Der Schweizer bot ihnen an, den Glockenturm zu besteigen. Doch sie lehnten ab, Léon gab dem Schweizer ein großes Silberstück, sie verließen die Kathedrale durch das Hauptportal. In einer Pferdekutsche wollten sie für sich alleine sein. Ziellos fuhr die Pferdekutsche durch Rouen. In höchsten Sphären schwebend, ließen sie die Stadt mit ganz vielen Fachwerkhäuser vorbei gleiten.

Diese Rendez-vous’ konnten sich wiederholen, denn einmal wöchentlich hatte Emma Klavierunterricht in Rouen, und einmal wöchentlich konnten Emma und Léon ihre heiße Leidenschaft und Lust ausleben. Charles schöpfte nicht den geringsten Verdacht. Die Begegnungen häuften sich, denn Léon kam auch nach Yonville. Außerdem schrieben sie sich leidenschaftliche Briefe. Und Charles ? Mit einer fingierten Quittung bezahlter Klavierstunden belog sie ihn. Charles ließ sie sogar in Rouen übernachten. Ihre Betrugsmanöver, sich heimlich zu treffen, wurden immer ausgefeilter. Schließlich war es ein einziges Lügengebäude, in das Emma schlüpfte. Sie verstand es, sich zu verstellen und ihrem Mann etwas vorzuspielen, so dass Charles nichts mitbekam.

Flaubert (geboren 1821, gestorben 1881) habe ich genossen. Madame Bovary gehört sicherlich zu den Klassikern der Weltliteratur, auf Augenhöhe mit Goethe oder Schiller. Mit seinem Stil, Charaktere und Verhaltensweisen in den Vordergrund zu stellen, ähnelt er Balzac, der ungefähr zu derselben Zeit gelebt hat. Ähnlich wie bei Balzac, sind es böswillige, verschwendungssüchtige, dreiste, kühne oder machtbesessene Charaktere, aus denen sich tragische Einzelschicksale entwickeln. Flauberts Stil lebt zudem mit der Bodenständigkeit, die Menschen auf der Straße in dem Dorf in der Picardie in vielerlei Einzelheiten und Facettierungen zu beschreiben. Scheinbar belanglose Alltagsszenen bindet er in die Dramatik des Geschehens ein.

Der hemmungslose und in aller Offenheit beschriebene Ehebruch der Madame Bovary brachte Flaubert zunächst vor Gericht. Wegen des Verstoßes gegen die guten Sitten sollte er verurteilt werden, doch mit seiner eigenen Redegewandtheit wusste er sich zu verteidigen, so dass das Verfahren eingestellt wurde.

Es war erneut ein Glockenturm, der Emma einsichtig werden ließ.
„Wenn es irgendwo auf Erden ein Wesen gab, stark und schön und tapfer, begeisterungsfähig und liebeserfahren zugleich, mit einem Dichterherzen und einem Engelskörper, ein Schwärmer und ein Sänger, warum war sie ihm nicht zufällig begegnet ? Ach, weil das eine Unmöglichkeit ist ! Weil es vergeblich ist, ihn zu suchen ! Weil alles Lug und Trug ist. Jedes Lächeln verbirgt immer nur das Gähnen der Langeweile, jede Freude einen Fluch, jeder Genuss den Ekel, der unvermeidlich folgt !“
Sie saß auf der Bank an einem Kloster. Als Emma zu sich kam, schlug die Klosterglocke viermal.

Emma hatte sich längst übernommen. Vierundzwanzig Stunden rund um die Uhr war sie damit beschäftigt, die Architektur ihres Lügengebäudes so zurecht zu rücken, dass ihr Ehemann nichts von ihrer heimlichen Liebe bemerkte.

Sie lebte über ihre Verhältnisse, über ihre Finanzen hatte sie längst den Überblick verloren, der Schuldenberg häufte sich an. Unter dem massiven Druck ihrer Schulden – das Haus der Eheleute drohte zwangsversteigert zu werden – beendete sie die Beziehung zu Léon.

Das Ende war tragisch: Gläubiger und Schuldscheine und die Zwangsversteigerung des Hauses im Nacken, beging sie Selbstmord, indem sie sich vergiftete.

Herzlich bedanken möchte ich mich bei Anna, die mir erlaubt hat, ihre Fotos von der Kathedrale von Rouen auf meinem Blog zu zeigen.