Montag, 4. August 2014

Anna von Bayern - Wolfgang Bosbach "Jetzt erst Recht !"

Mir erging es anders als Wolfgang Bosbach.

Besuch bei der Gastroentologin. Ich war gelöst, als ich im Zimmer der Ärztin saß, die meine Darmspiegelung vorgenommen hatte. Ich dachte an nichts schlimmes, ich war erleichtert, dass das unangenehme Verschlingen von Massen an Flüssigkeit vorbei war. Das Foto einer blonden Schönheit lächelte mir aus einem hölzernen Rahmen von der Wand entgegen. War es ihre Tochter ?

„Alles in Ordnung. Kein Polyp“ teilte mir die Ärztin das Ergebnis mit. In diesem Moment war ich noch erleichterter, zumal sich sporadisch und zeitlich begrenzt Blut in meinen Stuhlgang hinein gemischt hatte.

Das war anders bei Wolfgang Bosbach, Vollblutpolitiker, ein Unruheherd, ständig in Bewegung. „Es darf keinen Stillstand geben, sonst schlafe ich ein“ so beschreibt er seine Antriebsmechanismen. Zwischen Wahlterminen, Sitzungen, Redeveranstaltungen und Fernsehauftritten bleibt da kaum Zeit für eine regelmäßige Krebsvorsorge. 2010 Krebsoperation an der Prostata. Da hieß es, er hätte noch eine Lebenserwartungszeit von 23 Jahren. Doch ein Jahr später war alles komplett anders. Wie ein Streuselkuchen war sein Körper voller Krebs, das stellten die Onkologen in einer Computertomografie fest. Nun unterzieht sich Bosbach, 62 Jahre alt, in Intervallen einer Strahlentherapie, um überhaupt noch ein paar restliche Lebensjahre für sich zu haben. Und das bei unverändert hoher Taktung.

In meinem Blog befasse ich mich weniger mit politischen Themen. Im Tagesgeschäft der Massenmedien wird so viel über Politik berichtet, kommentiert und kritisiert, dass ich nicht unbedingt meinen eigenen Senf dazu geben muss. Dafür befasse ich mich gerne mit allem, was aus dem Rheinland kommt. Und bei Wolfgang Bosbach kann man den rheinischen Tonfall nicht überhören. Freundlich, bestimmt, kurzweilig, mit klaren Standpunkten und hoher Sachkenntnis habe ich ihn stets wahrgenommen, kurzum: ein sympathischer Zeitgenosse.

Die Bild-Journalistin Anna von Bayern hat über mehrere Monate den Spitzenpolitiker begleitet. Ihre Einblicke ins politische Tagesgeschäft sind stets spannend, anekdotenhaft geschrieben, verzahnt zwischen dem Berufspolitiker und seiner Familie. Machtstrukturen schillern durch. Diese sind mehr starr als beweglich: aus Wahlergebnissen, aus Koalitionsverträgen, aus den Verhältnissen im Bundestag/Bundesrat, aus Besetzungsoptionen durch die Landesverbände der Parteien, vorbestimmt durch Kenntnisse und Fachwissen, das Verhältnis zur Bundeskanzlerin spielt naturgemäß auch eine Rolle – und dieses ist tendenziell nicht schlecht, aber nicht gut genug. So ergab es sich, dass er sein Lebensziel, nämlich einmal Minister zu werden, nicht erreichte, worüber er sich nicht beklagt.

Es empfiehlt sich, auf der richtigen Seite zu stehen, das sagt Wolfgang Bosbach. Für offene Meinung, unbedachte Rede oder Ironie ist nur bedingt Platz, das sind seine Erfahrungen im Politikgeschäft. Anna von Bayern zitiert die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel, um dies zu verdeutlichen: „Die Demokratie darf nicht zu einer Herrschaft von wenigen Meinungen werden, in der die Führung der Masse diktiert, was gilt. Die Führung ist dabei auf ihre eigenen Interessen, ihrem persönlichen Nutzen und dem Erhalt der Machtstruktur ausgerichtet. Die Ziele der Gruppe, die von ihr dominiert wird, geraten in den Hintergrund. Diese Elite führt keine inhaltlichen Debatten mehr … Diese Elite glaubt, auf die großen Diskurse über die Fragen unserer Zeit zu verzichten. Stattdessen werden die Debatten in Randthemen geführt, wo die Elite sich mit großen Kraftanstrengungen profiliert.“ Dieses Schema passt auf die Machtstrukturen einer Angela Merkel, aber auch auf andere Bundeskanzler.

Der Weg hinein die politische Karriere des Wolfgang Bosbach war ungewöhnlich, denn er begann sein Berufsleben als Einzelhandelskaufmann bei der er Konsumgenossenschaft Köln eG/Coop West AG in Köln, wo er später Supermarktleiter wurde. Das merkt man bei diversen Fernsehauftritten, dass er kein Standardrepertoire von Floskeln herunter betet, sondern kundenorientiert auf Sachfragen  eingeht, mit den Gesprächspartnern redet und einen gemeinsamen Dialog führt. Und dies mit den Stärken eines Rheinländers: er behandelt andere mit Respekt, er kann Menschen nehmen, wie sie sind, mit Humor löst er spannungsgeladene Situationen.

Über die Kommunalpolitik  in Bergisch Gladbach schaffte er es in den Bundestag. 1994 wurde er Bundestagsabgeordneter, seit 2009 verantwortet er gemeinsam mit 37 Abgeordneten den Innenausschuß. Dort beackert er innenpolitische Themen, genauer gesagt, innere Sicherheit, Ausländer, Asylverfahren, Katastrophenschutz, Datenschutz und IT-Sicherheit.

Die Partei von Wolfgang Bosbach habe ich nie gewählt, doch seine konserative Einstellung ist mir nicht unsympatisch. „Multikulturelle Gesellschaft“, das war ein Schlagwort der 1990er Jahre, ein Stück überlebte Hippie-Bewegung und Musikfestivals, auf denen man nach den Rhythmen der ganzen Welt tanzte. Die Welt sollte ein kleines Dorf sein, fremde Kulturen sollten uns inspirieren.

Das ist definitiv gescheitert, weil sich Parallelgesellschaften gebildet haben, die sich abschotten, mit Integration nichts zu tun haben und Angriffspunkte für rechtsextremistische Tendenzen bilden. Dazu kommen islamische Gotteskrieger, die solche Parallelgesellschaften mobilisieren und Bomben und Terror importieren wollen.

Von den Träumen einer multikulturellen Gesellschaft habe ich mich längst verabschiedet. In der Zuwanderungskommission versucht Bosbach dagegen zu halten. Ausländer müssen sich einordnen in die kulturellen Lebensverhältnisse, sie müssen an Deutschkursen teilnehmen. Das Zuwanderungsgesetz wurde überarbeitet mit der einen Stoßrichtung, dass ein Straftatbestand der illegalen Einwanderung eingeführt wurde und mit der entgegengesetzten Stoßrichtung, dass die Fälle der Duldung weiter gefaßt wurden, weil sie sich über den Arbeitsmarkt integrieren können. Zudem konnte sich in einigen Ländern sich das Kopftuchverbot in öffentlichen Ämtern durchsetzen. Andere Vorstöße, wie die Vorratsdatenspeicherung, den elektronischen Fingerabdruck in Ausweisen oder umfassendere Observationen durch das Bundeskriminalamt, konnte er nicht durchsetzen. Wolfgang Bosbach meint dazu kurz und knapp, dass er an maßgeblicher Stelle mitgearbeitet hat, nicht mehr und nicht weniger. Über sich ergehen lassen musste er all die Ermittlungspannen bei der Aufklärung der NSU-Mordserie. Dauerthema wird für lange Zeit die NSA-Überwachung sein.

Um alle Themen zu besetzen, übt er sich im Kunststück der Multipräsenz. „Es darf keinen Stillstand geben, sonst schlafe ich ein“ mit dieser Einstellung nimmt er seine Lebensaufgabe in der Politik wahr. Das geht so weit, dass er seine Präsenz in den Massenmedien über seine Gesundheit stellt. Er geht keinem Mikrofon aus dem Weg und bremst für keine Kamera. So sank im März 2013 seine Herzleistung auf unter 10 Prozent, ein neuer Herzschrittmacher samt Defibrillator gegen den plötzlichen Herztod musste eingepflanzt werden. Schon zwei Tage später saß er im Fernsehen und stellte sich Fragen in einer Talkrunde bei Sabine Christiansen.

 „Jetzt erst Recht“ beschreibt den Kern eines Politikers, der offensiv mit seiner Erkrankung umgeht und als Allroundgenie in allen Ecken der Innenpolitik mitmischt. So leicht gibt er nicht auf.  Mit seiner Krankheit blickt er nach vorne. „Wenn Du mit der Krankheit fertig bist, stehst Du ebenfalls die Probleme in der Politik durch“ so sieht er seinen Krebs nicht als Hemmnis, sondern als Antriebsriemen.

Er lebt intensiver und zitiert dabei die Toten Hosen: „An Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit“.