Samstag, 19. April 2014

frohe Ostern

Ich wünsche euch allen ein frohes Osterfest, viel Spaß beim Ostereier-Suchen und Ruhe und Entspannung an den Feiertagen. Die Ostertage sind für mich Blog-frei, so dass ihr erst in der nächsten Woche wieder von mir hören werdet. Drückt mir bitte für den Ostermontag die Daumen, denn zum 4. Mal werde ich mit meinem Rennrad an dem Jedermannrennen „Rund um Köln“ über 69 Kilometer teilnehmen. Vor allem, dass der Wetterbericht Recht behalten möge, dass die Schauer und Gewitter erst am Nachmittag einsetzen, wenn das Rennen vorbei ist. Das Erlebnis in den Vorjahren war jedenfalls grandios, so viel Begeisterung, von so viel Menschen angefeuert zu werden, und solche eine Wertschätzung, das Ziel erreicht zu haben. Frohe Ostern. Es muss nicht so sportlich sein. Im Kreis unserer Familie werde ich wie so viele andere das Osterfest genießen.


Freitag, 11. April 2014

Chemie-Unfall

Die gute Nachricht vorweg: es ist glimpflich ausgegangen.

Chemie ist mir suspekt, solange ich sie kenne. Nicht in der Schule, denn ich hatte Chemie sogar als Abiturfach, und all die Experimente mit Knalleffekten und viel Rauch brachten eine Abwechslung in den Unterricht, so dass sie andere Schulfächer gelangweilt aussehen ließen.

Die Skepsis kam, als ich nach Köln gezogen war. Ich erkundete nicht nur die pulsierende Domstadt, sondern auch, wie es drum herum aussah. Das war nicht immer hübsch, denn ich erfuhr, dass linksrheinisch ein Industriegürtel wie ein Halbkreis die Millionenstadt einschnürte, so dass die grüne Lunge von Köln eher in der Parkanlagen des Militärrings zu finden war als außerhalb. Und dieser Industriegürtel steckte auch voller Chemie.

Zuerst stieß ich auf die Bayer-Werke in Dormagen. Eigentlich wollte ich das kleine Städtchen Zons mit seiner Stadtmauer kennen lernen, das liegt auf der linken Rheinseite auf halber Strecke zwischen Köln und Düsseldorf. Ich fuhr mit dem Finger über die Landkarte, wählte die B9 von Köln nach Düsseldorf, um gemächlich und in Ruhe mit dem Auto zu fahren.

Doch dann, hinter der Stadtgrenze von Köln, marschierten die Bayer-Werke auf, als künstliche Welt aus lauter Kesseln, Rohren, Dampf, Abgasen und Schornsteinen. Die geballte Ladung von Chemie schlug wie ein Hammer auf meine Gefühlswelt ein. Eisenbahngleise schlängelten sich durch das Gelände. Waggons warteten darauf, dass etwas mit ihnen geschah. Doch was geschah, war unsichtbar, versteckte sich hinter Bandwurmformeln, hatte eine Geheimsprache, die sich so abschottete wie Ärzte mit lateinischen Fachbegriffen,  und die Produktion spielte sich in all den Kesseln und Rohren ab. Ein unsichtbares Geheimnis wanderte durch ein undurchschaubares System von Kesseln, bis es zum Schluß in den Kessel eines Eisenbahnwaggons oder eines LKWs wanderte. Und in umgekehrter Reihenfolge fuhren massenweise LKWs mit Kesseln durch die Werkstore. Die Bayer-Werke in Dormagen waren ein Schock. Jahre später kam ich an den Bayer-Werken in Leverkusen vorbei, wieder später an den Chemiefabriken in Köln-Merkenich, Köln-Godorf und Wesseling.

Die Chemie-Katastrophe von Seveso im Rücken, die 1976 geschah, wähnte ich mich auf einem Pulverfaß, als wir 1988 in diese Gegend zogen, Luftlinie zehn Kilometer von Wesseling entfernt. Sollte uns eine Chemie-Katastrophe um die Ohren fliegen, hätte ein strammer Westwind eine Giftwolke geradewegs auf uns zugeweht. Skeptisch schaute ich nach Westen, ob an den rauchenden Schornsteinen in der Ferne nichts ungewöhnlich war. Mit unserem Wohnort war ich gezwungen, mich mit der Chemie zu arrangieren. Wie normal dies war, verblüffte mich. Meine Skepsis wich einer Sicherheit, dass die Schornsteine vor sich her rauchten, friedlich, ohne dass es nur einen Anschein haben könnte, dass etwas schlimmes passieren könnte. Bis zum letzten Montag. Das dauerte immerhin 26 Jahre, bis die Dinge aus dem Ruder liefen.

Sämtliche chemischen Anlagen werden in bestimmten Zyklen gewartet, darunter auch Rohrleitungen. Während der Wartungsarbeiten wurde ein Rohr beschädigt, das zur Elektrolyse führte, so dass Chlorgas entwich. Chlorgas schädigt die Atemwege und kann in hohen Konzentrationen tödlich sein. In Ersten Weltkrieg wurde Chlorgas als chemischer Kampfstoff eingesetzt. Die Vorgaben des Katstrophenschutzes zwingen die Verantwortlichen dazu, in einem solchen Fall Katastrophen-Alarm auszulösen.

Mich ereilte die Nachricht, als ich gegen 21 Uhr vom Einkaufen aus dem Supermarkt zurückkehrte. Türen und Fenster schließen, war meine Frau über What’s App gewarnt worden. Ob ich etwas in der Luft gerochen hätte. Ob ich die Sirene gehört hätte. Ich verneinte beides. Alles kam mir so normal vor wie an jedem anderen x-beliebigen Tag. Meinen Laptop hochzufahren, um mich über Details zu informieren, hätte ich mir sparen können, denn gleichzeitig kam die Entwarnung. Das Leck im Rohr sei abgedichtet worden und die Konzentration von Chlorgas in der Luft sei unkritisch. Zu keinem Zeitpunkt habe Gefahr für die Bevölkerung bestanden.

Es war also glimpflich ausgegangen. Die nächsten Jahre und Jahrzehnte wird sich meine Einstellung nicht ändern, dass Werksfeuerwehr und Katastrophenschutz in unseren Chemiefabriken ihren Job machen. Rohrleitungen und Kessel rosten mit zunehmendem Alter vor sich hin, und mit deutscher Gründlichkeit und peinlich genau achten die Verantwortlichen darauf, dass Schadstoffe und Giftcocktails unsere Gesundheit nicht gefährden.

Dennoch habe ich herumgeblättert, welche Unfälle sich in den letzten Jahrzehnten um uns herum in Chemiefabriken ereignet haben.
  •      1968 kommt es im DDR-Chemiekombinat Bitterfeld beim Entweichen von Vinylchlorid zu einer Explosion, bei der 42 Arbeiter sterben
  •       1974 brennt es in der Chemiefabrik Flixborough in England; der Brand erfaßt eine Rohrleitung mit Cyclohexan, die mit einer Wucht von 45 Tonnen TNT explodiert; neben den 28 Toten wird auch ein Teil der umstehenden Gebäude beschädigt
  •       1976 breitete sich eine Giftwolke von Dioxin, die aus einem Ventil in der italienischen Chemiefabrik in Seveso entweicht, auf einem 6 Quadratkilometer und dicht besiedelten Gebiet aus; die Bevölkerung wurde erst acht Tage später über den Chemie-Unfall informiert
  •       2001 explodieren auf der Deponie einer Düngemittelfabrik in Toulouse in Frankreich 100 Tonnen Ammoniumnitrat; auch hier wird neben den 31 Toten ein Teil der umliegenden Gebäude beschädigt
  •       2002 explodiert wegen eines undichten Ventils in einer Firma für technische Gase in Ludwigsburg ein Sauerstofftank; ein Arbeiter wird getötet
  •       2012 bricht in Marl auf einem Chemiegelände mit 100 Produktionsanlagen ein Großbrand aus; zwei Arbeiter werden getötet
  •       2013 reinigen die beiden Fahrer den Tank ihres LKWs in Moers, als Dibutylphthalat in den Tankraum eindringt; die beiden Fahrer sterben an Vergiftung

Ich glaube, eine gewisse Lernkurve aus der Anzahl der Toten auf der Zeitschiene heraus zu lesen. Die Verantwortlichen sind sensibilisiert, die Sicherheitskonzepte greifen. Speziell in Deutschland fehlen glücklicherweise diejenigen Fälle, dass bei Chemie-Unfällen die Bevölkerung Schaden genommen hat. Wenn eine Giftwolke aus einem Chemiewerk entweicht, dann kommen alle glimpflich davon, weitestgehend.

Die Chemie bleibt aber ein Pulverfaß. Mit dem Outsourcing globalisieren sich die Katastrophen. Die großen Chemie-Katastrophen ereignen sich nicht mehr vor unserer Haustüre, sondern auf dem restlichen Globus. So explodierte 2005 in Jilin in China  eine Ölraffinierie. Außer dass fünf Arbeiter starben, flossen 100 Tonnen Benzol und Nitrobenzol in den Songhua-Fluss. Mehrere Millionen Menschen konnten bis auf weiteres nicht mehr mit Trinkwasser versorgt werden.

Die gute Nachricht für uns in Deutschland ist: solche Umweltkatastrophen in einem solchen Ausmaß wie in China sind bei uns eher unwahrscheinlich. 

Freitag, 4. April 2014

unsympathisch

Ich sollte mich nicht irren.

Mir waren nicht nur diese starren Proportionen seines Gesichtes unsympatisch, dieser ausgewogene Bürstenhaarschnitt, dieser Gesichtsausdruck, der zwischen Unsicherheit und Brutalität schwankte, sondern mich störte auch, dass er einen SUV fuhr. Auf Statussymobole war er gepolt, wobei es sicherlich kritisch ist, alle SUV-Fahrer mit vorgefertigten Charaktertypen zu belegen. 

Er war eine seltsame Mischung aus preußischer deutscher Korrektheit und einer Regungslosigkeit, die ihn nur allmählich in eine ruckartige Bewegung versetzte. Ich hatte ihn nie lachen sehen. Wenn wir uns im Supermarkt über den Weg liefen, grüßte er nicht. Prinzipiell war dies nicht schlimm, denn es gibt keinen Zwang, dass mir alle Mitmenschen sympathisch sein müssen.

Eigentlich hatte ich auch keine Berührungspunkte mit ihm. Und eigentlich war es eine Frauenbekanntschaft und keine Männerbekanntschaft. Bestimmt drei oder vier Jahre hatten die Frauen sich nicht gesehen. Unvermitteltes Treffen vor der Raiffeisenbank, kurze Plauderei, Schnellabriss über Geschehenes. Meine Frau und ihre Bekannte hatten sich über unsere Kinder kennen gelernt, als diese während der Grundschulzeit miteinander spielten. Danach brach der Kontakt unter den Kindern ab, während sich die Frauen gelegentlich im Ort sahen und gerne miteinander quasselten.

Wir Männer sind eine Randerscheinung, wenn Termine der Kinder über die Frauen abgesprochen werden. Sie war nett, zuvorkommend, umgänglich, sympathisch, im Gegensatz zu ihrem Mann. Er arbeitete bei den Stadtwerken, leitete ein Team und war mächtig im Streß, auch an Wochenenden, wenn Leitungen entstört werden mussten. Der Streß hatte ihm so sehr zugesetzt, dass sein Magen rebellierte. Er verweigerte die Nahrungsaufnahme, so dass er nur noch wenige Brotsorten verdauen konnte.

Er litt. Die Phasen nahmen zu, dass er krank geschrieben war. Momentan war dies auch so, dass er häufiger krank geschrieben war, als dass er arbeitete. Sie litt genauso, sich um ihren kranken Ehemann zu kümmern. Selbst als ihr Ehemann noch gesund war, machte sie einen leidenden Eindruck, denn ihre Mutter war in einem dreißig Kilometer entfernten Pflegeheim untergebracht.

Persönliche Schicksale können tragisch und schlimm für alle Betroffenen sein. Diesmal kam es anders. Die Wendung war vollkommen unerwartet. Seine Mutter war gestorben. Einige Monate später erzählte er seiner Ehefrau von einem Gerichtstermin. Worum es ginge, fasste sie nach. Um Erbschaftstreitigkeiten. Ob sie ihm dabei helfen könne und mit seinen Geschwistern etwas klären könne. Nein, dies sei nicht nötig, er würde selbst mit seinen Geschwistern reden, um die Unstimmigkeiten zu bereinigen.

Dazu kam es nicht, denn seine Magenkrankheit fesselte ihn erneut an sein Bett. Also nahm sie Kontakt mit seinen Geschwistern auf, um die Meinungsverschiedenheiten wieder ins richtige Lot zu bringen. Es ging um 50.000 €. Ihr Mann hatte mit der Faust auf den Tisch gehauen. Kerngesund, war er mit einem Mal zu einem Energiebündel geworden. Er meinte es ernst, er zeigte Durchsetzungsvermögen und Entschlossenheit, die Euros brachten ihn in Fahrt. Solche Charaktereigenschaften hatte sie als Ehefrau nie kennen gelernt.

50.000 € forderte er von seinen Geschwistern, und die Klage hatte sein Rechtsanwalt bereits beim Amtsgericht eingereicht. Sie platzte aus allen Wolken. Ihr Mann war hartnäckig, unversöhnlich, stur, unzugänglich. Sich an den Vorgaben des Erbrechts orientierend, hatten seine Geschwister ein Angebot nach dem anderen gemacht, sich zu einigen, er hatte aber stets abgelehnt.

Sie fühlte sich wohl bei seinen Geschwistern, die vernünftige Menschen waren, mit denen sie reden konnte. Kleinigkeit für Kleinigkeit kochte hoch, was für ein Ekelpaket ihr Mann war. Weil ihr alles dermaßen unangenehm war, verschwieg sie gegenüber meiner Frau die meisten Begebenheiten. Mit einer Ausnahme: ihre Geschwister erzählten ihr von einem Kreditvertrag, den sie mit unterschrieben hatte. Ganz dunkel in den hintersten Zellen ihres Gehirns erinnerte sie sich, das da mal etwas war. Sie stellte ihren Mann zur Rede. Ja, den Kredit habe es gegeben. Aber er sei seiner Ehefrau gegenüber nicht verpflichtet, Rechenschaft abzugeben. Er sperrte sich. Was mit dem Geld geschehen war, blieb sein Geheimnis.

Das war der Anfang vom Ende. Das Vertrauen war futsch. Sie hatte sich getäuscht, wie abgebrüht er war und was für einen kalten und seelenlosen Typen sie geheiratet hatte. Nach mehr als zwanzig Ehejahren zog sie aus.

Sie darf sich auf einen langen Unterhaltsprozess einstellen. Sie jobbt nur auf 450 €-Basis und Unterhalt wird er nicht zahlen. Bereits im Vorfeld haben sich ihre Kinder darauf eingestellt, dass sie von ihrem Vater kaum finanzielle Unterstützung zu erwarten haben. Beide hätten gerne studiert. Aber sie haben es vorgezogen, finanziell abgesichert eine Ausbildung zu beginnen.

Der Abriss des Geschehenen war kurz, gelöst und unverkrampft. Die unsympathischen Begegnungen, an die ich mich erinnere, haben sich zu einem Ekelpaket entwickelt, um das wir alle einen weiten Bogen machen sollten.