Montag, 11. November 2013

graue Überraschung in der Fußgängerzone

Meist war es der gewohnte Alltagstrott. Morgens schritt ich durch die Fußgängerzone, Passanten schauten anonym vor sich hin, Geschäfte und Ladenlokale sehnten den Tag herbei, es war noch still. Kunden rieselten in Bäckereien hinein, verpflegten sich mit ihrer Vormittagsration und stierten draußen auf eine grinsende Gestalt, die mit „BUL Shoes“ auf einer Werbetafel ein perfektes Gehvergnügen versprach. Kram, Nippes, Billigware, Dies und Das, emotionslos rauschten die Warenauslagen an mir vorbei. In Erwartung des bevorstehenden Tages dümpelte mein Gefühlspegel auf einem niedrigen Niveau. Mal sehen, welche Überraschungen der Tag zu bieten haben würde. Meine Gedanken waren so sehr in die Ferne gerückt, als würde ich meine eigene Mondlandung planen.

Als ich die Metalltafel erreichte, wo 1967 das erste Stück Fußgängerzone gebaut worden war, kam die Überraschung. Wie angegossen steckten sie in ihren tadellosen und sauberen Uniformen. Die beiden Burschen waren so jung, als ob sie gerade erst die Schule beendet hatten. Die aschgraue Farbe der Uniformen stach in der Morgenfrühe heraus. Die Jungs mit den butterweichen Gesichtszügen, ihrer festgepflanzten Haltung und ihren suchenden Blicken waren markant. Mit ihren Schiffchen, den kurzgeschorenen Haaren und den nach oben gerichteten Ohren war die Zuordnung klar: Bundeswehr.

Was hatte die Bundeswehr in der Fußgängerzone zu suchen ? Einsam und alleine ? Ich rätselte, verlangsamte meinen Schritt. Sie kamen mir verloren vor, herum irrend, als wüssten sie nicht, wo sie ihren Platz in der Kaserne hätten. Der Fluß der Passanten nahm keine Notiz von ihnen.

Als ich auf den Marktplatz strebte, entwickelte sich eine ungeahnte Dynamik, denn sie schritten auf mich zu. Ihre Schüchternheit wandelte sich in eine Unerschrockenheit.

Zielgerichtet sprachen sie mich an: „Wollen Sie etwas für die Deutsche Kriegsgräberfürsorge spenden ?“

Normalerweise war ich gewarnt, je mehr sich die Vorweihnachtszeit näherte. Es war nicht Ostern, Muttertag, Pfingsten, Christi Himmelfahrt oder Fronleichnam, sondern das Weihnachtsfest, welches das allumfassende Fest der Liebe war. Die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung war in der Vorweihnachtszeit besonders hoch. Als rational denkendes Wesen klopfte ich ansonsten im Vorfeld ab, für was ich spenden wollte. Teilweise grenzten die Spendenaktionen an Nötigung, wenn wir Weihnachtskarten von karitativen Organisationen zugesandt bekamen und dann um Spenden gebeten wurden.

Die harmlos aussehenden Jungs von der Bundeswehr, die ich mir nicht im Kampfanzug vorstellen konnte, warteten, ihre Blicke kreisten, ihre Spendendose zeigte nach unten. Sie rührten sich nicht. Zwischen ihrem glatten Kinn und ihrer fein rasierten Haut verzogen sie keine Miene.

Ich hätte vorbeigehen können, ohne dass sie mir nach geschaut hätten. Wahrscheinlich waren sie sich ihrer Mission auch bewusst, dass man sie auf den allgemeinen Spendenzug gesetzt hatte und dass sie sich nicht wehren konnten mitzufahren. Vielleicht waren sie auch froh, dass sie dem Drill in der Kaserne nicht ausgesetzt waren. Anstelle Befehl und Gehorsam konnten sie nun die Zeit auf irgendeinem Fleck in der Fußgängerzone totschlagen.

Ich grübelte. Mit Soldatenfriedhöfen verband ich vieles. Ich hatte sie in Flandern, in der Picardie, in der Champagne, in Lothringen und zuletzt auch in Königswinter gesehen. Sie hatten mich sehr bewegt. Sie waren Mahnung und Symbol, dass sich Kriege zwischen europäischen Staaten hoffentlich niemals wiederholen sollten.

Ich war keinen Moment unentschlossen. Ich spendete. Ein Euro wanderte in die Spendendose. War es nicht eine höhere Aufgabe, sich um die Toten der beiden Weltkriege kümmern ? Die beiden nickten zufrieden, wünschten mir einen schönen Tag. Ich entschwand in der Flüchtigkeit des Marktplatzes. Abseits der Marktstände verschwammen die Laufwege der Passanten. Die Ornamentik des Rathauses drückte auf den Marktplatz. Die Monumentalität des Platzes brachte mich einen Moment lang aus meinem Alltagstrott.

Hinab in die U-Bahn. Ich hatte ein gutes Gefühl, gespendet zu haben. 

8 Kommentare:

  1. Ja gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit laufen viel menschn mit Spendendosen rum Lieber Dieter, da muß man acht geben. Doch wenn du ein gutes Gefühl hattest, war es doch ok...oder?

    Gute Nacht und liebe Grüße
    Angelika

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  2. Ich freue mich für jeden Bundeswehrsoldaten, dem ein Auslandseinsatz erspart bleibt. Mir ist es völlig unverständlich, dass es immer noch offensichtlich reichlich Soldaten gibt ... obwohl sie ja nicht mehr müssten ...

    herzlichen Gruß
    Brigitta

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  3. So manchesmal gebe ich auch gerne einen Euro, aber dabei muss auch ich wirklich ein gutes Gefühl haben. Bei dieser Aktion sollte man es eigentlich, denn die Soldaten bekommen ja auch einen Spendenausweis den man sich zeigen lassen kann.

    Liebe Grüsse

    Nova

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    1. am besten wäre es, wenn sie diesen Spendenausweis umhängen/angesteckt haben.

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  4. Guten Morgen Dieter,
    ich vermute, Du bist in Bonn unterwegs gewesen... da interessiert mich, wo 1967 die Fußgängerzone ausgebaut wurde...
    Bei uns im Dorf wird im November auch immer für die Deutsche Kriegsgräberfürsorge gesammelt.... ist quasi Tradition.
    Ich gehöre zu denjenigen, die meistens spendet... allerdings nicht für unbekannte Organisationen, wie Dein Beispiel mit den Karten. Aber auch ganz große Hilforganisationen haben ihre Spendenskandale, ich erinnere an UNICEF...
    Ich finde es übrigens gut, dass Du etwas gespendet hast, ein Euro tut nicht weh...
    Liebe Grüße
    Marita

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  5. Huhu, guten Abend, Dieter (◠‿◠)

    Ich hätte da nicht gespendet, weil ich in dem Mom 1.x überfordert gewesen wäre. Angeschaut hätte ich die Beiden vlt. auch. Aber mit dem Thema bin ich nicht vertraut, und auf der Straße möchte ich mich nicht aufklären lassen, zumal ich es norxerweise immer zieml eilig habe. Andererseits ist es eigentl egal, ob 1,-€ weg geht oder nicht. Spenden aber 1000de von PassantInnen nur 10 ct. kommt doch eine erhebliche Menge zsm und dem steht zustäzlich das Phänomen Klingeldose entgegen, denn diese gibt mir kaum Sicherheit, ob und wo das Geld wirklich ankommt. Daher spende ich so gut wie nie in Spendendosen. Also dann doch wieder nicht. ... Naja, alles hat so sein Für und Wieder, kann lange ausdiskutiert werden, sogar ohne jetzt dieses spezielle Thema gut zu kennen.

    wieczoramatische Grüße zum Abend, (◔‿◔) | Mein Fotoblog

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  6. Ich muss ja gestehen, dass ich mich gerade jetzt vor Weihnachten von Spendenaufforderungen und -sammlungen schon belästigt fühle. Vielleicht bin ich da mal wieder ignorant... Ich spende dem Denkmalschutz, mehr leider nicht. Da hab ich was von... andre Institutionen machen wichtigere Arbeit und ich fühl mich jetzt wieder total egoistisch, weil ich sogar beim Spenden an mich denke.
    Und bei Soldatenfriedhöfen hätte ich vermutlich die Assoziation mit langweiligen, gleichaussehenden Gräbern und würde mich gegen das Spenden entscheiden.

    Wünsche Dir einen schönen Abend!

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