Dienstag, 31. Dezember 2013

2014

Weniger als zwei Stunden, und das neue Jahr wird seinen Lauf nehmen. Zu viert, geht es bei uns außerordentlich ruhig zu. Im Fernsehen läuft "Keinohrhasen" mit Til Schweiger. Nichts werden wir großartig feiern, um Mitternacht werden wir uns den Sekt schmecken lassen. Und wie an all den anderen vergangenen Silvesterabenden, werden wir optimistisch nach vorne schauen. Von Vorsätzen halte ich nicht viel, zumal in den letzten Jahren mich meine Familie, das Rennradfahren und das Bloggen stets in die richtige Spur gebracht haben. Das wird bestimmt auch in 2014 so sein. Sonst halte ich es wie Paterfelis, dass nämlich nicht alles zwingend in einen Zusammenhang gepresst werden muss. Daher möchte ich das neue Jahr mit dem passenden Titel von U2 „New Years Day“ begrüßen. Eigentlich sollte das Stück, das 1983 erschien, den Widerstand Polens gegen die Existenz als Satellitenstaat der UdSSR thematisieren. Genießt die wabernden Gitarrenklänge und Bono's ätherische Stimme. 1985 habe ich U2 live in Köln erlebt ! Ich wünsche Euch allen ganz viel Gesundheit, ganz viel Glück und viele schöne Stunden 2014 !


Samstag, 28. Dezember 2013

Heiliger Nepomuk

Im Mittelalter ging es ganz und gar nicht zimperlich zu. Im 14. Jahrhundert hatte in Prag der Erzbischof das Sagen, was dem böhmischen König Wenzel gründlich missfiel. Er suchte und fand die Gelegenheit, das Gebiet seiner Herrschaft zu erweitern: 1392 starb der Abt des Benediktinerklosters, der gleichzeitig Bischof des an Prag grenzenden Bistums war. Kurzerhand wollte der König einen ihm angenehmen Fürsten in das Amt des Bischofs hieven. Johannes aus Pomuk , Generalvikar beim Prager Erzbischof, trickste. Als Wenzel mehrere Wochen auf einer Burg am anderen Ende Böhmens auf der Jagd war, organisierte Johannes eine Wahl. Das Benediktinerkloster wählte einen eigenen Kandidaten, der Nachfolger des Bischofs werden sollte. Als Wenzel zurückkehrte, fühlte er sich hintergangen. Außer sich vor Wut, machte er kurzen Prozess. Er verhaftete Johannes. Später wurde Johannes gefoltert, er wurde auf die Prager Karlsbrücke gestellt, in die Moldau geworfen und dort ertränkt. Dreihundert Jahre später erinnerte man sich in Prag an Johannes aus Pomuk – wobei aus der Vorsilbe „aus“ im Tscheschischen „Nepomuk“ wurde. In seiner Legende ging es auch um das Beichtgeheimnis, da er nicht verraten hatte, was Wenzels Ehefrau ihm gebeichtet hatte. 1729 sprach der Papst ihn heilig. Fortan wurde er nur noch der Heilige Nepomuk genannt. Seine Denkmäler stehen vielerorts auf Brücken.




Da der Heilige Nepomuk ertränkt worden war, ist er nicht nur Schutzpatron der Brücken, sondern Schutzpatron von alledem, was mit Wasser zu tun hat. Auffällig ist sein Schweif aus fünf Sternen, da sein im Wasser schwimmender Leichnam nach der Legende von fünf Flammen umsäumt war. 


Am Rheinufer aufgestellt, ist er nunmehr zum Schutzpatron der Schifffahrt auf dem Rhein ernannt worden. Genauso soll der Allzweck-Wasser-Heilige für Beistand sorgen, dass die Hochwasser auf dem Rhein glimpflich verlaufen. Mit Gott voraus !

Freitag, 27. Dezember 2013

eine etwas verkehrte Weihnachtsgeschichte

Der Weihnachtsmann kam nicht im roten Mantel und mit roter Zipfelmütze, sondern im Monteuranzug in einem schmutzigen, abweisenden Rot.

Genauer gesagt, waren es zwei Weihnachtsmänner, beziehungsweise zwei Monteure. Der Schriftzug des Firmennamens funkelte Himmelblau auf dem weißen Transporter, als die Monteure ausstiegen und mich mit einem schlappen Handschlag begrüßten. Das war ungewohnt, denn von Handwerkern kannte ich ein festes Zupacken.

„Wo können wir Ihnen helfen ?“ - „Unser Klo im ersten Obergeschoss. Wenn wir die Spülung betätigen, wird alles überschwemmt.“ - „Dann schaun wir mal.“

Sie trabten unsere Holztreppe hoch und näherten sich dem Ort des Geschehens, wo sich unheilvolles zwischen den Rohrleitungen der Toilette ereignet hatte. Vor der Türe unseres Badezimmers fiel mir auf, wie ungleich das Paar der beiden Monteure war. Die Gestalt des ersten Monteurs schraubte sich in die Höhe, sein Schritt stakste vorwärts, sicher glitt sein Kopf eine Handbreit unter dem Türrahmen hinweg. Der andere Monteur trottete hinterher, sein Körper war unter der runden Gestalt zusammen geschrumpft. Hinter seiner runden Brille mit den großen Gläsern ahnte ich Schlauheit, ja , sogar Expertenwissen, was die Verstopfung unserer Toilette betraf.

„Schön, dass Sie da sind … „
atmete ich auf, denn der Zeitpunkt war höchst ungeeignet. Genau fünf Tage vor Heiligabend meldete unsere Toilette „Land unter“, und vor dem Weihnachtsfest lag außerdem ein Wochenende. Unsere Spirale hatte sich mühselig durch die Rohre hinter der Toilette gewälzt, aber ohne Erfolg. Wenn ich die Spülung betätigte, schlüpfte Wasser durch das zum Sockel schlecht abgedichtete Rohr. Das Wasser bahnte sich seinen Weg und überschwemmte in Rinnsalen unser Badezimmer. Das hatte sich auch nicht geändert, als ich die Toilette demontiert hatte und unsere Spirale bestimmt einen Meter tiefer eindrang.

 „Wann haben Sie angerufen ?“ – „Gegen zehn Uhr.“ – „Da haben Sie Glück gehabt. Was bis zehn Uhr gemeldet wird, können unsere Monteure auf der Tour abarbeiten. Was später gemeldet wird, kommt für die Folgetage rein.“

Nun stand die eklige Brühe in dem Rohr, sie floss nicht ab. Und ich kannte sogar die Ursache: der Po unserer Kleinen hatte ganz weh getan, Massen von Feuchttüchern hatte sie in die Toilette geworfen, anschließend hatte ihr großer Bruder ein noch größeres Geschäft erledigt – und nichts ging mehr.

Der kleine Monteur kramte sein Expertenwissen hervor. Mit einfachen Mitteln versuchte er, eine maximale Wirkung zu erzielen. Eine Saugglocke, fast tellergroß, stieß das Wasser aus Leibeskräften in die Toilette. Es gluckste, das Wasser begehrte auf, zerwühlte das Rohrsystem in seinem Inneren. Aber die Wirkung war gleich Null. Auf den mir bekannten Pfaden breitete sich die Überschwemmung aus.

„Jedenfalls schön, dass Sie da sind. Ich hatte Angst, dass Sie es vor Weihnachten nicht mehr schaffen …“ – „Das kommt drauf an. Da einige in Weihnachtsurlaub sind, sind wir mit einer kleineren Besetzung unterwegs. Dabei sind wir bemüht, das allerdringendste abzuarbeiten.“

Die Mittel wurden rabiater. Der lange, schlacksige Monteur packte zu und demontierte den Abfluss unseres Waschbeckens. Auf der Kabeltrommel blitzte die elektrische Spirale. Sie fraß sich durch die Rohre, der metallisch hell Klang schallte durch unser Haus, gleichzeitig floss Wasser durch einen Schlauch. Die Spirale war gründlich, denn genau zehn Meter kämpfte sie sich durch die Hauptleitung hindurch, fast bis in den Kanal hinein.

Ich war erleichtert, denn danach floß das Wasser ungehemmt. Wasserhähne waren aufgedreht, ich betätigte die Klospülung im Endlos-Takt durch die Rohre. Das plätschernde Fließen des Wassers war befreiend. Ich spürte Horizonte in meiner Seele, die kein Hindernis stoppen konnte. Beruhigt konnten wir wieder unsere Toilette benutzen.

„Da haben Sie noch einmal Glück gehabt...“
kommentierte der große Monteur das Geschehen. Beide strahlten. In höchster Not hatten sie uns geholfen. Und ich reflektierte die Umstände, unter denen sie tagtäglich ihren Job machten. Das war eine Drecksarbeit, im wahrsten Sinne des Wortes. Zwischen menschlichen Exkrementen herum wühlen. Ich bewunderte, wie die beiden sich nicht geekelt hatten und gut gelaunt dem Tatort in unserem Hause den Rücken kehrten. Die 140 €, die bar zu zahlen waren, zahlte ich gerne.

„Frohe Weihnachten“
verabschiedeten sich die beiden. Ihre roten Overalls hatten nichts mit Weihnachtsmännern zu tun. Doch ich kam mir unsichtbar beschenkt vor. Dass in unserem Badezimmer wieder alles in Ordnung war. Das Weihnachtsfest konnte nun seinen gewohnten Gang nehmen.

Tage später, am zweiten Weihnachtsfeiertag, erfuhr ich, dass es schlimmer kommen konnte. Meine Eltern erzählten von meinem Onkel. Es geschah am Heiligen Abend. Vormittags und plötzlich kam die Überschwemmung. Die Toilette stank und lag direkt neben der Küche.

Sein Schwiegersohn eilte aus dem Nachbarort mit der Spirale herbei. Gemeinsam wurden sie Herr der Lage. Dreck und Gestank und Verstopfung waren verschwunden. Das Malheur hätte sich in der Tat keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können.

Mittwoch, 18. Dezember 2013

Manfred Mann's Earth Band - Father of Day, Father of Night

Kaum hatte ich den Text von „Earth Day und Post-Tower“ niedergeschrieben, ging mir die Musik nicht mehr aus dem Kopf. Ich war sensibilisert. Alljährlich verehrten die Menschen am 22. April unseren Planeten, die Erde. Sie wollten die Schöpfung bewahren, Gewohnheiten und Verhaltensweisen überdenken, damit unsere Erde all das Schöne, was unser Leben lebenswert macht, erhält.

Ich summte „Earth Hymn“, ein Lobgesang auf die Erde, von „Manfred Mann’s Earth Band“ vor mich hin. Ich assoziierte sofort: „Manfred Mann’s Earth Band“ und „Erde“ und „Earth Day“ gehören zusammen wie Pech und Schwefel oder Bayern München und die Deutsche Fußball-Meisterschaft. Denn das Entstehungsgeschichte begann gleichzeitg im Jahr 1971. Ich irrte, denn Michael Jackson ertönte alljährlich zum „Earth Day“ mit seinem Stück „Earth Song“.

Dennoch: „Manfred Mann’s Earth Band“ und der „Earth Day“ gehören irgendwie zusammen, weil beide die Erde in den Mittelpunkt unserer Wahrnehmung rücken. „Manfred Mann’s Earth Band“ geht dabei noch einen Schritt weiter: auf dem Album „Solar Fire“, welches 1973 erschien, geht Manfred Mann den letzten Dingen auf den Grund. Dabei reist der Zuhörer mit Manfred Mann und all seinen Improvisationen auf dem Synthesizer quer durchs Weltall. Den Planeten Pluto untermalt er mit Hundegebell, um die Gestalt von Saturn und Erde legt er einen sinnstiftenden Kreis („Saturn – Lord of the Ring“ und „Earth the Circle“).

Die letzten Dinge entdeckt Manfred Mann in der Sonne („Solar Fire“) und in der Dunkelheit („Darkness in the Beginning“). Und dann ist da noch dieses geniale Stück, das das Album eröffnet: „Father of Day, Father of Night“.

Ursprünglich von Bob Dylan gesungen, ist das Stück nicht mehr wieder zu erkennen. Die Erde kommt im Songtext explizit nicht vor. Aber „birds“, „trees“, „grain“ oder „wheat“ gibt es nur auf der Erde. Darüber hinaus kennen wir noch kein Leben auf anderen Planeten.

Wie ein Leitmotiv beginnen die Zeilen mit „Father“: „Father of Day“, „Father of Night“ … „Father who builts the Mountains so High“ … „Father of Loneliness and Pain“ … Mit dem Wort “Father” erhält die Musik eine metaphysische Dimension, wobei „Father“ Ursprung, Schöpfer oder Gott bedeuten kann.

Manfred Mann hat bei der Komposition sicherlich nicht an Metaphysik gedacht, aber „Father of Day, Father of Night“ hat eindeutig metaphysische Wesenszüge. Die Denkweise der Metaphysik hatte sich in der Antike herausgebildet. Es war Aristoteles, der hinter der sichtbaren Gestalt der Dinge in immer tiefere Ebenen der Dinge hinein schaute. Es bildete sich ein Kern, ein gemeinsamer Ursprung aller Dinge heraus. Wegen des gemeinsamen Ursprungs verkörperten alle Dinge auf der Welt eine Einheit. Die letzten Dinge waren nicht zwingend bei Gott zu suchen: es konnten auch Mythen, Urbilder oder das Denken des Menschen sein, wobei die Mythen auch von Göttern geprägt waren.

Im Mittelalter hatte Thomas von Aquin das christliche Weltbild in die Lehre von den letzten Dingen aufgenommen. Gott wurde zum Ursprung aller Dinge. Der menschliche Verstand wurde zum Instrument, Gott in all den Dingen, die wir sehen, zu erkennen.

Mit Descartes wurde zu Beginn der Neuzeit der menschliche Verstand eigenständig („cogito ergo sum“). Der Mensch reflektierte das naturwissenschaftliche Weltbild, wodurch die letzten Dinge in mathematisch-naturwissenschaftliche Zusammenhänge verlagert wurden. Die letzten Dinge kamen nicht abhanden. So suchte beispielsweise Sartre über neue Stufen des Bewusstseins, den Dingen wieder einen inneren Sinngehalt zu verleihen.

„Father of Day, Father of Night“ schwenkt nach Thomas von Aquin und nach Aristoteles zurück. „Father“ steht am Anfang einer jeden Song-Zeile. „Father“ ist somit der Ursprung aller Dinge: Tag, Nacht, Kälte, Hitze, Luft, Bäume, Minuten, Tage und so weiter. Überall hat der „Father“ seine Hände im Spiel.

Manfred Mann überbringt eine wunderschöne Botschaft, da er „Father“ an den Anfang stellt: unsere Erde ist eine Einheit. Es gibt diese letzten Dinge, die Menschheit lebt gemeinsam auf dieser einen Welt, wir müssen alles Menschen-mögliche tun, um die Schönheit unseres Planeten zu bewahren.

Ehrlich gesagt, habe ich dieses ekstatische Gehabe und Herum-Gehopse von Michael Jackson nie ausstehen können (bitte um Verzeihung, wenn ich über einen Toten so schreibe). Anstatt dessen hätte es „Father of Day, Father of Night“ verdient gehabt, jedes Jahr zum „Earth Day“ gespielt zu werden.


Montag, 9. Dezember 2013

übel

Der Gesang des Schulchors „In der Weihnachtsbäckerei“ war friedlich verstummt, als sich alles in Wohlwollen auflöste, Schülerinnen und Schüler zu ihren Eltern zurückstrebten und der Adventsbasar in der Grundschule alle Besucher mit offenem Herzen empfing. Die Schulleiterin hatte mit ihrer etwas quäkenden Stimme den Basar eröffnet, die Aula war rappelvoll, Eltern und Kinder sortierten sich. Das Licht des späten Nachmittags fiel so unbestimmt durch die Fenster wie die Blicke in den Gesichtern, die am Freitag vor dem ersten Advent mit der Vorweihnachtsstimmung noch nichts sonderliches anfangen konnten. Schüchtern hingen selbst gebastelte Weihnachtssterne die Fensterflächen hinab, das Kuchenbüffet sah dem Besucherandrang erwartungsvoll entgegen.

Voller Skepsis sah ich die beginnende Weihnachtszeit auf mich zurollen. Dennoch sah ich die Dinge positiv. Die Schule hatte sich Mühe gegeben. „In der Weihnachtsbäckerei“ zu singen, betrachtete ich als Kult, denn dieses Weihnachtslied fiel effektiv aus dem Rahmen. Ich entkam dem ganzen Gedrängele, indem ich einen Stehtisch dicht am Fenster erwischte. Ich schaute auf den Schulhof, wo Kinder in wirrem Gehopse hin- und her rannten, ihre Eltern umschwärmten und sie dann hinter sich herzogen, um ihnen in ihren Klassenräumen Basteleien zu zeigen.

Ich sah die Dinge auch deswegen positiv, weil ein Märchenerzähler vorlas. Und zwar Hänsel und Gretel. Der Märchenerzähler gab sich Mühe und nahm sich viel Zeit, denn eine Stunde lang verschwand unsere Kleine gemeinsam mit anderen Kindern. Niemand störte die Kinder hinter einem grünen Samtvorhang, wo der Märchenvorleser sie in aller Ausführlichkeit in die Geschichte über eine Hexe und zwei bitterarmen Kindern entführte, die zum Schluss ein gutes Ende fand.

 Derweil stützte ich meine Ellbogen gemütlich auf den Stehtisch. Der Kaffee dampfte, ich schlürfte den brühwarmen Muntermacher hinunter. Zugezogen, hatte ich zu den Bewohnern im Ort keinen regen Kontakt. Doch Gesichter, die ich über Kindergarten oder Schule oder Nachbarschaft kannte, rannten mir bei solchen Veranstaltungen in der Grundschule stets über den Weg.

Es war Ellen.

Die Falten hatten in dem Gesicht der Mittvierzigerin Überhand genommen. Schlaff hing ihr schulterlanges, braunes Haar herunter. Ich kannte sie, weil die Firma ihres Mannes uns damals ein Angebot für Solarzellen auf unserem Häuserdach machen wollte – was dann aber nicht geschah. Ihr jüngster Sohn ging in die dritte Schulklasse.

„Wie geht es ?“
„Übel. Manchmal bin ich nur noch am Heulen.“

Ich wusste, dass ihr Ehemann sie kurz vor der Silberhochzeit verlassen hatte, weil er seine eigene Freiheit entdeckt hatte und sich selbst verwirklichen wollte.

„Dein Lebensstandard geht wahrscheinlich gleich Null.“
„Ich sage nur: übel. Im Hotel mache ich Zimmer sauber, weil ich den ganzen Tag nicht in der Bude hocken kann. 600 Euro verdiene ich dort. 100 Euro bleiben übrig, weil dann das Amt kein Wohngeld mehr zahlt. Das Amt zieht mich also auf Hartz IV-Niveau runter, egal, was ich mache.“

„Deine Jungs ?“
„Genauso übel. Mein ältester, der sechzehn ist, ist seit einem Jahr bei seinem Vater. Mein Ex hat nun eine Freundin, die gut verdient. Er kann unserem ältesten all dieses elektronische Spielzeug bieten, was ich ihm nicht bieten kann.“

Ich holte uns beiden einen weiteren Kaffee. Ich staunte, wie ruhig sie war. War es unser Gespräch, das ihre Verkrampfung löste ? Dann umklammerten ihre Finger den Kaffeebecher, in langen Schlücken sog sie ihn in sich hinein. Das Menschgewimmel vor der Kuchentheke hatte sich gelichtet. An den Spiegelungen der Deckenbeleuchtung vorbei, verirrte sich mein Blick durch das Fenster, wo sich unsere Pfarrkirche standhaft von dem grauen Novemberhimmel abhob.

„Deine anderen beiden Jungs ?“
„Der ältere schreit nur rum. Ich könne nicht kochen, er will meinen Fraß nicht essen, ich wäre eine Schlampe. Vater und Freundin stacheln ihn an. In ein paar Jahren ist der auch bei seinem Vater, weil er zahlungskräftiger ist und mehr bieten kann.“

„Deine Eltern ?“
„Habe ich keine. Bin bei meiner Pflegemutter aufgewachsen.“

Ich senkte meinen Kopf. Das war übel.

Wir redeten über weitere Übelkeiten, über Scheidungsrecht, über Endlosveranstaltungen von Gerichtsprozessen, über eine höchst richterliche Entscheidung, dass die 250 Euro Unterhalt ihre Richtigkeit hatten. Übel war auch der tägliche Existenzkampf, mit dem Geld klar zu kommen.

Sie jammerte nicht, umgekehrt war ihr aber auch kein Lächeln zu entlocken. Dieser Adventsbasar hatte mir übel mitgespielt. Wie aufs Glatteis geführt kam ich mir vor, ob und wie ich ihr helfen könnte. Üblicherweise hielt ich mich von solchen Beziehungsdramen ganz weit fern. Bislang kannten wir sie so gut oder so schlecht, wie wir die übrigen Nachbarn in unserer Nachbarschaft kannten.

Als ich den Adventsbasar verlassen hatte, geisterte sie noch lange in meinem Kopf herum. Von solchen Einzelschicksalen bekamen wir eher selten etwas mit. Ich hatte in Abgründe hinein geschaut, die uns erspart geblieben waren. Glücklicherweise.

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Grundsätze des Bloggens

Café "La Royale", Quelle: www.laroyale.be
Es ist eine eigene Kultur, in einem Café in Belgien einen Kaffee zu trinken. So wie man Kölsch in den Brauhäusern der Kölner Altstadt zu trinken pflegt, Alt-Bier in der Düsseldorfer Altstadt oder Apfelwein in den Lokalen in Frankfurt-Sachsenhausen, haben Cafés in Belgien ihre eigene Tradition.

Kaffee-Trinken ist Stil. Der Hintergrund und das Drumherum müssen stimmen. In den beiden Cafés, die Leen und Jan mit mir in Leuven aufgesucht hatten, war die Atmosphäre gediegen, die schweren Holzvertäfelungen an der Wand ließen mich an Antikmärkte denken. Im ersten Café, direkt neben dem Rathaus, hatte ich die Malereien bis zu den hohen Decken bestaunt, Malereien auf Holz, auf denen ich glaubte Alltagsszenen im Stil der flämischen Maler aus dem 16. oder 17. Jahrhundert zu erkennen. Das Café „La Royale“, in dem wir den Abschied auf uns zukommen ließen, lag gegenüber dem Bahnhof, damit ich meinen Zug auf keinen Fall verpassen konnte.

Auch das Café „La Royale“ beeindruckte, wie einfach es eingerichtet war. Wir saßen an blanken Holztischen mit einem parkett-ähnlichen Muster, der sachte graue Steinfußboden schob sich unauffällig darunter. Die schweren dunkelbraunen Holztüren ließen einen frischen Luftschwall hinein, wenn sie sich öffneten. Die Wände verschönerten Zeichnungen vom Bahnhofsvorplatz, Bürgerhäuser mit Arkadengängen, von denen eines das Café „La Royale“ war.

Kleine Kuchenstücke waren zum Kaffee serviert worden, das war selbstverständlich und gehörte zu einer gepflegten Kaffee-Kultur.  Eine bierselige Ruhe schwappte zu mir herüber, obschon niemand in dem gut besuchten Café Alkohol trank. Zwischen dem Kaffee und all den anderen Gesprächen im Café zerrann die Zeit. Der Barkeeper spülte Tassen, Tische und Stühle spiegelten sich auf der Glasverkleidung über der Theke. Das Zeitkontingent, das mir in Leuven zur Verfügung stand, ging unweigerlich zur Neige.

Leuven war dabei, mich in ihren letzten Atemzügen umzuhauen. Ganz weit entfernt lag die Stadt von all der Geschäftigkeit, all der Hektik und all dem Zeitdruck zu Hause entfernt. Und so harmonisch, wie Leuven war, voller alter Bausubstanz, voller Cafés und Geselligkeit, ohne große Kaufhausketten und Einkaufspassagen, durchsetzt mit kleinen Geschäften, ohne Abrißorgien und Großbaustellen, kamen mir Städte wie Köln oder Bonn beinahe sogar häßlich und abstoßend vor.

Es half nichts. Das zerbröselnde Zeitkontingent nutzte ich dazu, um über die Bloggerei zu reden, was eigentlich der Anstoß für meine Reise nach Leuven war. Leen Huet hat ihre eigene Blog-Seite, die Jan ihr gestaltet hatte. Jan selbst war weder Blogger, noch war er in sozialen Netzwerken vertreten.

Leen und ich scharten unsere Gedanken zusammen, fanden zurück zur Bloggerei. „Uw eigen mening … je bent helemaal vrij“ meinte Leen mehrfach, auf Deutsch: „Deine eigene Meinung … Du bist vollkommen frei.“ Unsere Essenz, welche eigenen Sichtweisen wir beim Bloggen hatten, war ein gewaltiger Abschied.

 In vollkommener Freiheit entwickelten wir unsere Grundsätze des Bloggens:
  • Bloggen ist Identität. Wir schlüpfen in die Rolle eines Bloggers, dessen Identität aus unser selber stammt. Als unbeteiligter Beobachter inszenieren wir unsere Themen in unserem Blog.
  • Bloggen ist Lebenseinstellung. Wir müssen genauer hinsehen, um den Dingen auf den Grund zugehen. Der flüchtige Blick, wie wir die Dinge tagtäglich sehen, reicht nicht aus. Wir müssen die Dinge drehen und wenden, um Neues zu sehen. Andere Wege, andere Perspektiven, von oben, von unten, von vorn, von hinten, Schnellabriss, Tiefenbohrung, zu Fuß, per Rad, mit dem Auto, mit der Bahn, Gegenden, die wir nie gesehen haben und so weiter.
  • Bloggen ist Strukturieren. Wir beobachten ganz viele Dinge, unsere Augen sind ganz weit geöffnet. Wir sammeln, ordnen und strukturieren, was wir beobachtet haben. Wir dokumentieren. Wir machen Notizen und fotografieren mit der Digitalkamera, damit das Gesehene nicht verfliegt und später abrufbar ist. Wir ordnen ein, welches die Oberthemen sind, was in welche Zusammenhänge gehört und wie die Details aussehen.
  • Bloggen ist Themensuche. Schon beim Beobachten nehmen wir die Themen wahr. Wie selbstverständlich, wird in den Massenmedien über Themen berichtet – in Zeitungen, im Fernsehen und im Radio. Darunter nutze ich gerne Podcasts aus Radiosendungen. Daraus formen wir eine Themensammlung, die mit eigenen Beobachtungen angereichert wird.
  • Bloggen ist Unabhängigkeit. Wir entscheiden. Niemand gibt uns vor, über welche Themen wir etwas schreiben und wie wir über diese Themen schreiben. Das ist ein klein  wenig wie bei einer Tageszeitung, in der wir bestimmen, wie wir die einzelnen Rubriken mit unseren Texten gestalten. Unsere eigene Meinung sollten wir plazieren, was wir von den Dingen halten.
  • Bloggen ist Eingrenzen. Bezogen auf die Vielzahl potenzieller Themen, ist es unmöglich, über alles zu schreiben. Unser Medium ist der Text. Also posten wir eher selten in dem Medium der Fotografie (oder Malerei oder Architektur usw.). Themen, die uns nicht interessieren, von denen wir keine Ahnung haben oder zu denen wir sonst wie keine Berührungspunkte haben, lassen wir weg. Auch allzu banale Themen, wenn der örtliche Musikverein sein Jubiläum feiert, wenn um die Ecke eine Kaninchenausstellung stattfindet oder wenn ein neues Kosmetikstudio eröffnet, lassen wir lieber weg.
  • Bloggen braucht Leser. Nur mit den Lesern können wir feststellen, ob die Texte überhaupt den Leser erreichen und wie sie den Leser erreichen. Was beim Leser ankommt, daran sollten wir uns orientieren. Danach ist vieles Gefühl, bei welchen Themen wir gut drauf sind und bei welchen anderen Themen wir schlecht drauf sind. Die Stärken bei den guten Themen sollten wir Zug um Zug ausbauen.
  • Bloggen ist Generalistentum. Die Palette, über die wir schreiben, sollte breit aufgestellt sein, so dass wir uns in eine Vielzahl von Einzelthemen hineindenken müssen. Aus den Querverbindungen zwischen den sehr unterschiedlichen Einzelthemen können wir die Zusammenhänge innerhalb eines übergeordneten Ganzen erkennen. So wird auch verhindert, dass wir zu Fachidioten werden. Es muss so recherchiert werden, dass Fakten und Details stimmen und nichts falsch ist. Gelegentlich sollten wir uns ein „Heimspiel“ in dem Themenbereich leisten, den wir studiert haben. Bei Leen ist es die Kunstgeschichte, bei mir sind es Wirtschaftsthemen.
  • Wir müssen uns in Menschen hineindenken. Gefühle, Empfindungen, Erfahrungen, Erinnerungen gehen stets vom Menschen aus. Selbst Maschinen oder technische Aggregate werden letztlich so beschrieben, wie wir sie als Mensch erleben. Wir sollten uns also mit einer angemessenen Ausführlichkeit mit den handelnden Menschen befassen.
  • Bloggen muss authentisch sein. Wir können die Dinge nur so beschreiben, wie wir sie selbst wahrgenommen haben. Wir dürfen uns nicht in andere Menschen hinein verbiegen, um Gefühle aus einem anderen Blickwinkel zu beschreiben.
Rund vier Stunden hatten wir gemeinsam in Leuven verbracht. Mein Kopf war vollgestopft mit Erlebnissen, von denen ich noch wochen- und monatelang zehren würde.


Leen, rechts; Jan, Mitte; ich, links

Mittwoch, 27. November 2013

Thomas R.P. Mielke - COLONIA-Roman einer Stadt


Es gibt solche Bücher, dessen Lust am Lesen mich nicht losläßt. Thomas Mielke hat mich mit seinem Buch „Colonia“ ganz, ganz weit zurück in die Stadtgeschichte Kölns geführt. Eine Stadt, in der es nur seltene Epochen gegeben hat, dass Köln an Bedeutung verloren hat. Römerstadt, christliche Märtyrerstadt, Hansestadt, Domstadt, preußische Festungsstadt, rheinische Industriestadt – Köln dürfte ungefähr die einzige deutsche Stadt sein, die es über alle Epochen hinweg es zu soviel Glanz und soviel Größe gebracht hat.

Jede Masse Stoff füllt somit einen Roman über diese Stadt. Mielke beginnt seinen Roman bei den ersten Siedlungen Kölns, bei den Germanen – oder präziser formuliert: bei den Ubiern, die die Römer bei der Stadtgründung Kölns als ansässigen Volksstamm integrierten. In Episoden wird der Leser durch mehr als 2000 Jahre Stadtgeschichte geführt.

Mielke wählt eine Form der Erzählung, die mir sonst noch nie begegnet ist. Wie in einer göttlichen Schöpfung erschafft er die Person des Rheinold, die stirbt und später in einem neuen Menschen wieder aufersteht. Er lebt sozusagen über 2000 Jahre lang, bis er den Jahrtausendwechsel am 31.12.1999 hoch oben auf dem Dom erlebt. Dies verleiht dem Roman Kontinuität. Rheinold schlüpft in immer neue Rollen, als römischer Krieger, als Dombauer, als Fischer oder als Schankwirt.

Gemeinsam mit Rheinold wählt Mielke Symbole, die nicht in jeder Episode, aber in regelmäßigen Zeitabständen vorkommen. Das ist zuerst seine treue Gefährtin Ursa, die mal seine Ehefrau ist und ihm einen reichlichen Kindersegen beschert. Mal erkennt er sie in der Menschenmenge, er begegnet ihr aber nicht. Mal wird sie Gattin seines Nebenbuhlers. Aus den Urzeiten des Opferkultes der Druiden erhält er ein Amulett, dessen Zauber ihn in Gefahrensituationen rettet. Während das Amulett dem heidnischen Glauben entspringt, setzt mit dem christlichen Glauben die Reliquienverehrung ein – Rheinold begegnen „Knöschelche“. Teer bedeutet so viel wie Tod, Äpfel so viel wie Liebe. Genauso kehrt Gedankenstaub wieder – als Sinnbild für Träume, Wünsche oder Visionen.

Mich hat gewundert, dass Mielke gar kein alt-eingesessener Kölner ist, sondern aus Detmold in Westfalen stammt (geboren 1940). Seit 25 Jahren lebt er in Berlin. In der Schriftstellerei ist er Quereinsteiger, denn er war lange Zeit Produktmanager bei Ferrero. Kindern dürften seine Produkte bestens bekannt sein, denn er war 1974 an der Produkteinführung des Überraschungs-Ei’s (Ü-Ei) beteiligt. Mielke schreibt seit 1960 im Genre des Science-Fiction-Romans. Ab 1988 kamen historische Romane dazu, unter anderem über Karl den Großen oder die Varusschlacht im Teutoburger Wald.

Sein Stil ist blumig, er taucht in Details ab, seine Schilderungen sind intensiv, die Beschreibungen der Stadt und der historischen Alltagsfiguren sind exzellent. Ich wage mir kaum vorzustellen, welche Arbeit an Recherche dahinter gesteckt hat. Detailgetreu beschreibt er, wie ein römisches Oppidum ausgesehen hat, wie das Essen aus Knoblauch, Öl und gekochtem Fisch um die Jahrtausendwende gekocht wurde oder welches Mobiliar in einer mittelalterlichen Hafentaverne gestanden hat.

Dann ist Mielke noch Querdenker, denn er verknüpft die Entwicklungen in Köln mit anderen geschichtlichen Ereignissen außerhalb Kölns. Die Ader des Rheins kam aus Südwestdeutschland und führte nach Holland. Darauf bauten sich Handelsbeziehungen auf. Er blickte nach Westen, als der Bischof Maternus aus Tongeren in Belgien nach Köln kam. Über viele Jahrhunderte hinweg war Aachen die Schnittstelle europäischer Politik, denn der Kaiser des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation wurde im Aachener Dom gekrönt. Er schaut nach St. Denis in Paris, das den ersten Anstoß zum gotischen Kathedralbau lieferte, also der Ur-Entwurf des späteren Kölner Doms.

Beklemmendes und bedrückendes läßt Mielke nicht aus. Die Normannen fallen in die Stadt ein, plündern alles, brennen die ganze Stadt nieder, so dass es Jahrzehnte dauert, bis Köln wieder zu neuem Leben erwacht. Die Kirche trägt auch ihren Teil dazu bei. Erzbischof Anno hat den Bischof von Münster zu Gast, damit dieser eine neue Kirche einweiht. Für die Rückreise nach Münster will er für einen Teil der Strecke ein Handelsschiff aus Rheinolds Flotte benutzen. Als Rheinold ihm dies verweigert, wird er als Strafe geblendet. Mielke beschreibt, wie hochnäsig die Preußen sind, als die Einweihung des Doms zu einer Einmann-Veranstaltung des Kaisers verkümmert. Beklemmend beschreibt er schließlich die Bombennächte im zweiten Weltkrieg unter dem Dom zwischen dem Geheul von Sirenen, dem Brummen von Flugzeugen und den Detonationen der Bomben.

Der einzige Kritikpunkt an diesem Buch ist die fehlende Dichte im späten Mittelalter und in der Renaissance. Jahrhundertelang tut sich nichts in Köln, was nicht der Wirklichkeit entspricht. Ein wenig muss ich entschuldigen, denn sonst wäre das Buch viel zu lang geworden. 543 Seiten lebendige Stadtgeschichte von Köln sind spannend und mitreißend geschrieben. Wenn Mielke das späte Mittelalter und die beginnende Neuzeit so beschrieben hätte wie das frühe Mittelalter – aus dem vergleichsweise wenige Quellen vorliegen – dann wäre bestimmt ein tausend Seiten dicker Wälzer heraus gekommen.
Die Stadtgeschichte Kölns hätte sicherlich so viel Stoff hergegeben. Tausend Seiten wären mir zuviel des Guten gewesen. 

Das Buch hat mir gefallen, wie anschaulich alles beschrieben ist. Nicht wie in Geschichtsbüchern, wo sich Schlachten und Herrscher und Jahreszahlen anhäufen. Sondern so, wie das einfache Volk gelebt hat.

Samstag, 23. November 2013

what's app


Ich lebe hinter dem Mond. Auf meinem Smartphone kriege ich es gerade auf die Reihe, zu telefonieren, im Internet zu surfen oder meinen E-Mail-Eingang zu sichten. Wenn ich eine SMS schreibe, zappeln meine Finger dermaßen nervös über die Tasten, dass ich mit Ach und Krach eine halbwegs richtige Nachricht abgesendet bekomme.

What’s app für meine Göttergattin zu installieren, wurde zur Herausforderung.  Als ich auf der Internetseite den grünen Button „installieren“ betätigte, weigerte sich das grüne Feld beharrlich, so etwas wie eine Installation zu starten. Mir fiel ein, dass wohl als erstes ein Google-Konto eröffnet werden musste. Sieben oder acht Installationsschritte waren zu bewältigen. An den Nerven zehrten die Geschäftsbedingungen und Datenschutzbestimmungen, deren Länge mich erschlug. Falsch gesetzte Haken drohten die Installation fehlschlagen zu lassen. All die Fehlermeldungen und Installationsschritte, die einfach stoppten, brachten mich zur Verzweiflung, bis ich es dann doch geschafft hatte.

Ich lebe trotzdem hinter dem Mond, die besten Apps nicht zu kennen. What’s app war in unseren spärlichen Frühstücksrunden bei der Arbeit ein heißes Thema. Jung und dynamisch nutzt what’s app, während alt und vergreist ohne what’s app gut im Alltag klar kommt. 

„Mich dürft ihr nicht fragen, ich habe keine Ahnung … „ registrierte ich zufrieden, als sich ein gleichaltriger Arbeitskollege outete. Er kannte what’s app bestens, denn seine Göttergattin tobte sich endlos während des abendlichen Fernsehprogramms darauf aus. Bisweilen grenzte dies an Unverfrorenheit, denn die Gespräche zwischen den beiden versickerten zwischen Smartphone, what’s app und Gesprächsfetzen, die von dem Tippen auf der Tastatur des Smartphones auseinander gerissen wurden. Schließlich verkroch er sich in einen Nebenraum, weil ihn die zerstückelten Dialoge nervten.

Es gibt keinen Zweifel, dass what’s app auch unser Leben verändert hat, aber auf sehr moderatem Niveau. What’s app kann sogar lustig sein. Videos wandern über what’s app hin und her. Wir beide lachen uns krumm und schief, wenn etwa eine Entführungsszene im Flugzeug ins Lächerliche gezogen wird und wenn Komisches über what’s app verbreitet wird.

Mit what’s app hat ein neues Wettrüsten der Mobilfunkkommunikation eingesetzt. Menschen werden in Gruppen aufgenommen, die Gruppen wachsen auf über zehn Personen an. Hin und Her vervielfacht sich in der Gruppe die Kommunikation. Es wird auf die Absendetaste gedrückt, was das Zeug hält. Einer meiner Arbeitskollegen gehört zu zehn what’s-app-Gruppen, bei denen innerhalb von zwei Stunden an die einhundert SMSn eingehen können. Schlimmer noch: es entsteht eine Gruppendynamik, dass von ihm innerhalb eines bestimmten Zeithorizonts eine Antwort erwartet wird. Willenlos ist er also seinem Smartphone und what’s app ausgeliefert.

So schlimm geht es bei uns zu Hause nicht zu. Ich hatte aber Gelegenheit mitzuerleben, wie dünn die Gesprächsinhalte auf what’s app sein können.

Beispielhaft und fiktiv habe ich bei uns zu Hause folgendes aufgeschnappt:

„Hat jemand aufgepasst, wie die Aufgabenstellung ist ?“
„Nööö … so richtig weiß ich das nicht.“
„Wir sollen mit allgemeinen Grundsätzen beginnen und mit Einzelbeispielen aufhören.“
„Ich habe das genau umgekehrt verstanden.“
„Wie bitte ?“
„Müssen wir überhaupt etwas machen ?“
„Kann mich mal jemand aufklären, über was ihr da redet ?“
„“Nööö … ich habe keine Ahnung.“
„Die Diskussion ist mir einfach zu blöd.“
„Ich bin dann mal weg.“
„Tschüss.“
„ Schönen Abend.“

Ein anderer Arbeitskollege klagt darüber, wie kurz die Kommunikation sein kann. „Hmmm“ … „Hey“ … oder „Hallo“ lauten gewisse Standardsilben, die kaum ein höheres Niveau erreichen. Er habe lernen müssen zu filtern, die Luftblasen der Mobilfunkkommunikation auszublenden, das wesentliche zu extrahieren.

Zu Hause habe ich festgestellt, dass sich what’s app und Bloggen sogar ergänzen können. Positiv gedacht, kehren in what’s app die Kommunikationsstrukturen wieder, der werthaltige Input kann sich vergrößern. Beim Bloggen habe ich prinzipiell dasselbe Problem, aus der Flut von Blogs das Lesenswerte heraus zu filtern, wichtiges von unwichtigem zu trennen und Luftblasen oder reine Selbstdarstellungen zu überlesen. What’s app oder Blogs sehe ich immer noch als Chance.

Man muss lernfähig sein, mit den modernen Formen der Mobilfunkkommunikation umgehen zu können.

Samstag, 16. November 2013

379 km/h

Phlippinen; Quelle: www.todayonline.com
… die Spitzenböen des Taifuns Haiyan lagen außerhalb meiner Vorstellungskraft. Dieses irrsinnige Tempo irgendwo zwischen ICE und Flugzeug hatte alles zerfetzt, was sich in den Weg stellte. Ich muss relativieren: es waren 314 km/h mittlere Geschwindigkeit, was der Zerstörungskraft ungehemmt freien Lauf ließ.

Ich erstarrte, war sprachlos. Ansonsten habe ich meine Probleme mit Katastrophen in Nachrichtensendungen, denn ich neige zum Wegschauen. Es gehört zum Geschäftsmodell von Nachrichtensendungen, in allen Winkeln der Erde nach Unglücken und Katastrophen zu suchen, so dass sie in all der Informationsflut untergehen. Aber die 379 km/h brachten meine Aufmerksamkeit in Fahrt.

Es sah so aus, als sei ein riesiger Rasenmäher über alles drübergefahren. Bäume waren wie Streichhölzer umgeknickt, Autos wurden wie Spielzeug durch die Luft gewirbelt, Dächer wurden weggerissen, Häuserwände stürzten ein, Strommasten knickten um.

Otto Dix - Flandern (1936)
Quelle: www.ottodix.org
Nur noch ein Torso von Landschaft war in den Philippinen übrig geblieben. Abgesäbelt, weggerissen, zerfetzt. Die kümmerlichen Reste der Natur erinnerten an die Schlachtfelder in Flandern oder in Verdun im ersten Weltkrieg. Menschen, die vor der höllischen Windmaschine in ihren Häusern Schutz suchen mussten, dürfte es kaum anders ergangen sein wie Menschen in Köln, die im zweiten Weltkrieg in Luftschutzkellern oder in Bunkern Luftangriffe überleben mussten. Was für die Kölner Bevölkerung die Detonation der Bomben und die Erschütterungen waren, das waren auf den Philippinen das Heulen des Windes, der peitschende Klang des aufgestachelten Meeres und die nicht zu bändigende Energie des Windes, der die Zerstörungskraft von mehreren Atombomben hatte. Die meisten Menschen waren sogar nackt und schutzlos ausgeliefert, denn ihre primitiven Bambushütten wurden gleich bei den ersten Windstößen hinweggefegt.

Ich schauderte. 3.637 Menschen wurden getötet, 3 Millionen hatten kein Dach mehr über den Kopf. Ich schüttelte den Kopf. Ich war mir bewusst, dass die Helfenden an ihre Grenzen stießen, ich hoffte, dass die Hilfe und Nahrung alle erreichen würden.

Köln 1945
Quelle: www.wikipedia.de
Die einen Katastrophen – Kriege – hatten sich die Menschen als Tötungsmaschinerie gegen andere Menschen selbst gemacht. Die anderen Katastrophen – Super-Stürme, Sintfluten, Unwetter – waren den Urgewalten der Natur entsprungen, wobei der Mensch bei den 379 km/h Windgeschwindigkeit ein Stück weit die Hände mit im Spiel hatte. Ein Klimaschutzabkommen ist nicht in Sicht. Heiß wird diskutiert, debattiert, gestritten, Uneinigkeit gezeigt. Solange ist die Menschheit Gefangener der eigenen Treibhausgase. Wir Europäer hatten Glück. Die Schreckenskammer der Wetterküche hatte am anderen Ende der Erde gewütet.

Die Menschen auf den Phlippinen mussten sich vorgekommen sein wie beim jüngsten Gericht. So wie auf den Schlachtfeldern von Ieper, Langemarck oder Verdun im ersten Weltkrieg. Oder in den Luftschutzkellern in Köln im zweiten Weltkrieg. So als hätte ihr letztes Stündlein geschlagen. So als würde draußen der Sensemann warten, um sie umzusensen und ins Jenseits zu befördern. So als wäre es ein Gottesurteil, ob die Menschen von einer herabstürzenden Häuserwand begraben werden oder nicht. So als würden die apokalyptischen Reiter an die Haustüren anklopfen und den Weltuntergang ankündigen.

Phlippinen, Quelle: www.techniasia.com
Der Weltuntergang wird auf sich warten lassen. Das Jahr 1000 war eine magische Zahl, als die Menschen im Mittelalter sich seelisch auf den Weltuntergang vorbereiten. Am 21. Dezember letzten Jahres flüchteten Menschenmassen in das südfranzösische Kaff Burgarach, um dem Weltuntergang, den der Maya-Kalender vorhersagte, zu entkommen. Der Weltuntergang ist ausgeblieben.

Ich tue mich schwer, die Welt als EINE Welt zu begreifen. Den Klimawandel und das jüngste Gericht werden wir nur als EINE Welt überleben. Katastrophen können Antriebe liefern. Ich denke, dass wir zumindest in Deutschland aus Seveso oder Bhopal gelernt haben. Es gibt Hochwasserschutzprogramme. Wir haben den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Die Energiewende umfasst ein breites Konzept zum Ausbau der erneuerbaren Energien.

Es tut sich durchaus etwas. Aber viel zu langsam. Allen voran die USA – gibt es Bremser auf der ganzen Welt.

Montag, 11. November 2013

graue Überraschung in der Fußgängerzone

Meist war es der gewohnte Alltagstrott. Morgens schritt ich durch die Fußgängerzone, Passanten schauten anonym vor sich hin, Geschäfte und Ladenlokale sehnten den Tag herbei, es war noch still. Kunden rieselten in Bäckereien hinein, verpflegten sich mit ihrer Vormittagsration und stierten draußen auf eine grinsende Gestalt, die mit „BUL Shoes“ auf einer Werbetafel ein perfektes Gehvergnügen versprach. Kram, Nippes, Billigware, Dies und Das, emotionslos rauschten die Warenauslagen an mir vorbei. In Erwartung des bevorstehenden Tages dümpelte mein Gefühlspegel auf einem niedrigen Niveau. Mal sehen, welche Überraschungen der Tag zu bieten haben würde. Meine Gedanken waren so sehr in die Ferne gerückt, als würde ich meine eigene Mondlandung planen.

Als ich die Metalltafel erreichte, wo 1967 das erste Stück Fußgängerzone gebaut worden war, kam die Überraschung. Wie angegossen steckten sie in ihren tadellosen und sauberen Uniformen. Die beiden Burschen waren so jung, als ob sie gerade erst die Schule beendet hatten. Die aschgraue Farbe der Uniformen stach in der Morgenfrühe heraus. Die Jungs mit den butterweichen Gesichtszügen, ihrer festgepflanzten Haltung und ihren suchenden Blicken waren markant. Mit ihren Schiffchen, den kurzgeschorenen Haaren und den nach oben gerichteten Ohren war die Zuordnung klar: Bundeswehr.

Was hatte die Bundeswehr in der Fußgängerzone zu suchen ? Einsam und alleine ? Ich rätselte, verlangsamte meinen Schritt. Sie kamen mir verloren vor, herum irrend, als wüssten sie nicht, wo sie ihren Platz in der Kaserne hätten. Der Fluß der Passanten nahm keine Notiz von ihnen.

Als ich auf den Marktplatz strebte, entwickelte sich eine ungeahnte Dynamik, denn sie schritten auf mich zu. Ihre Schüchternheit wandelte sich in eine Unerschrockenheit.

Zielgerichtet sprachen sie mich an: „Wollen Sie etwas für die Deutsche Kriegsgräberfürsorge spenden ?“

Normalerweise war ich gewarnt, je mehr sich die Vorweihnachtszeit näherte. Es war nicht Ostern, Muttertag, Pfingsten, Christi Himmelfahrt oder Fronleichnam, sondern das Weihnachtsfest, welches das allumfassende Fest der Liebe war. Die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung war in der Vorweihnachtszeit besonders hoch. Als rational denkendes Wesen klopfte ich ansonsten im Vorfeld ab, für was ich spenden wollte. Teilweise grenzten die Spendenaktionen an Nötigung, wenn wir Weihnachtskarten von karitativen Organisationen zugesandt bekamen und dann um Spenden gebeten wurden.

Die harmlos aussehenden Jungs von der Bundeswehr, die ich mir nicht im Kampfanzug vorstellen konnte, warteten, ihre Blicke kreisten, ihre Spendendose zeigte nach unten. Sie rührten sich nicht. Zwischen ihrem glatten Kinn und ihrer fein rasierten Haut verzogen sie keine Miene.

Ich hätte vorbeigehen können, ohne dass sie mir nach geschaut hätten. Wahrscheinlich waren sie sich ihrer Mission auch bewusst, dass man sie auf den allgemeinen Spendenzug gesetzt hatte und dass sie sich nicht wehren konnten mitzufahren. Vielleicht waren sie auch froh, dass sie dem Drill in der Kaserne nicht ausgesetzt waren. Anstelle Befehl und Gehorsam konnten sie nun die Zeit auf irgendeinem Fleck in der Fußgängerzone totschlagen.

Ich grübelte. Mit Soldatenfriedhöfen verband ich vieles. Ich hatte sie in Flandern, in der Picardie, in der Champagne, in Lothringen und zuletzt auch in Königswinter gesehen. Sie hatten mich sehr bewegt. Sie waren Mahnung und Symbol, dass sich Kriege zwischen europäischen Staaten hoffentlich niemals wiederholen sollten.

Ich war keinen Moment unentschlossen. Ich spendete. Ein Euro wanderte in die Spendendose. War es nicht eine höhere Aufgabe, sich um die Toten der beiden Weltkriege kümmern ? Die beiden nickten zufrieden, wünschten mir einen schönen Tag. Ich entschwand in der Flüchtigkeit des Marktplatzes. Abseits der Marktstände verschwammen die Laufwege der Passanten. Die Ornamentik des Rathauses drückte auf den Marktplatz. Die Monumentalität des Platzes brachte mich einen Moment lang aus meinem Alltagstrott.

Hinab in die U-Bahn. Ich hatte ein gutes Gefühl, gespendet zu haben. 

Donnerstag, 31. Oktober 2013

SUVs

Quelle: Wikipedia
Die deutsche Sprache hat dieses englisch-sprachige Wort durcheinander gewirbelt. „Ess-Juh-Viii“ wäre die korrekte Aussprache, in Lautschrift [ ɛsjuːˈviː ]. Das steht für „sport utility vehicle“, was so viel wie sportlicher Geländewagen bedeutet. Ist das Wort aber Neutrum oder maskulin ? Heißt es „der“ SUV – wenn ein Geländewagen gemeint ist ? Oder „das“ SUV - wenn die Oberkategorie des Automobils gemeint ist ?

Egal. Weithin gelten SUVs als Angeber-Autos, als Sinnbild für die Dekadenz unserer Gesellschaft. Und dennoch erfreuen sie sich wachsender Beliebtheit. Dieses PKW-Segment hat Wachstumsraten von 17% pro Jahr, von denen die Automobilbauer anderswo nur träumen können. So strebt Audi zum Beispiel an, dass bis zum Jahr 2020 der Anteil der verkauften SUVs an allen PKWs 30% erreichen soll.

Bei seinem Auftritt in der Kölner Lanxess-Arena waren SUVs ein dankbares Thema für den Komiker Michael Mittermeier. Seine Grundsatzfrage war: Braucht man wirklich einen Geländewagen ? Seine Antwort: „Du brauchst mindestens einen Audi Q7, da der Eingangsbereich bei EDEKA zu unübersichtlich ist. Dann spürst Du beim Einparken nicht, wo Du drüber fährst. Ist da was ? Ein Eichhörnchen ? Hat jemand die Oma gesehen ? Wartet mal, wenn das Thema Sicherheit richtig entdeckt wird. Wenn der halbe Supermarkt mit Geländewagen voll geparkt ist, dann gibt es nur noch eine Wahl: ein Leopard2-Panzer. Ich habe im Katalog von Krauss-Maffei herum geblättert…“

Die Steigerungsform des Panzers hatte ins Schwarze getroffen. Die Häufigkeit, mit einem Panzer im Supermarkt einzukaufen, weicht nur minimal von der Häufigkeit ab, über ein Gelände zu fahren, für das die Fahrtechnik von SUVs ursprünglich konzipiert war. Wann fährt man denn einen SUV durch unwegsames Gelände ? Über kniehohe Baumwurzeln auf Waldwegen ? Durch tiefen Matsch ? Über Dünen ? Oder durch die Wüste ? Die Situationen gehen freilich gegen Null.
Quelle: Wikipedia

Es ist irrational, was SUV-Autofahrer antreibt. Das abgedrehte Snob-Image läßt sich bei manchen nicht verleugnen. Wer SUV fährt, gibt an, hat zu viel Geld auf der hohen Kante liegen, verhält sich wie ein Rambo im Straßenverkehr und schadet mit zu hohem Spritverbrauch der Umwelt.

Die Debatte ist in Internet-Foren längst entbrannt. So knüpft DOUNIAMOON auf www.faz.de mit der Überschrift „Hausfrauenautos“ nahtlos an Michael Mittermeier an. „Das sind die berühmten Eppendorfer Mummies, die kaum über den unteren Windschutzscheibenrand gucken können und die ihre Kinder mit dem Riesengefährt im 800 Meter entfernten Kindergarten fahren. Und weil sie grundsätzlich trotz Kameraführung und Signale Riesenprobleme haben, flott in mögliche Parkplätze einzuparken, stehen sie in zweiter Reihe.“

Meine Vermutung, dass nicht nur hoch bezahlte Manager solche Geländekisten fahren , stimmt nicht ganz. So gibt es zum Beispiel den Renault Koleos unter 30.000 € zu kaufen, während ein VW Tuareg nicht unter 50.000 € zu haben ist. Der Preis für einen Porsche Cayenne beginnt bei 60.000 €, ein Audi Q7 bei 83.000 €. Es wird sich nicht leugnen lassen, dass die Käufer zum Teil Top-Manager, Filmstars, Firmeninhaber, Fußball-Bundesliga-Spieler, Investment-Banker oder andere Top-Verdiener sind.

Die Käufer brauchen einen Fimmel, einen Hang zur technischen Faszination. Der SUV ist kein praktisches Auto, mit dem man von Ort A nach Ort B fährt, sondern alleine seine Erscheinung vor dem eigenen Haus sorgt für Aufsehen. Zu der Kaufentscheidung schreibt MEIER LANSKY auf www.derstandard.at:

„Die Diskussion, warum jemand einen SUV braucht oder nicht, ist unnötig wie ein Kropf. 
Man "braucht" keinen SUV, man "will" einen. 
Man "braucht" keinen Sportwagen, man "will" einen. 
Man "braucht" keinen Hund, man "will" einen. „

Auch (°) (°) steht auf demselben Forum zu seinen Irrationalismen: „Wie bei SUV gibt es kein vernünftiges Argument für grosse Brüste, trotzdem wollen viele welche in den Händen halten. 80% unserer Zivilisation findet ohne "vernünftige Argumente" statt. „

Ich fühle mich bestätigt, dass SUVs ein Sinnbild unserer dekadenten Gesellschaft sind. In dem Bestseller von Jörg Schindler sind SUVs ein Indiz unserer Rüpel-Republik, der die üblichen zwischenmenschlichen Umgangsformen abhanden gekommen sind. Unser heiliger Besitz soll bei Aufprallen und Zusammenstößen keinen einzigen Kratzer abbekommen, was bei gepanzerten Limousinen wie SUVs sichergestellt ist. Also Abschottung, Gegeneinander statt Miteinander, Egoismen als Selbsterhaltungstrieb. Auf solch eine Basis lässt sich in der Tat keine Gesellschaft aufbauen.

Quelle: Wikipedia
SUV-Besitzer winken ab. Einkommen haben auch etwas mit Selbstständigkeit und Unternehmertum und Risiko zu tun. Dazu äußert NO COMMENT: „Ich halte die SUV-Diskussion für 100% Neid-basierend. Keiner regt sich über Lieferwagen, hochbauende PKWs, Vans, LKWs auf, die einem die Sicht noch mehr versperren.“ GRETEWEISER setzt auf www.taz.de einen drauf: „Ist doch toll, dass Otto-Normal-Autofahrer die SUVs als Feindbild hat. Wer über andere schimpft, braucht sich nicht mit sich selbst und dem eigenen Verhalten beschäftigen.“

Die Debatte macht krank. Arm gegen Reich, Freiheit gegen Beschränkungen, Individualismus gegen Gemeinschaft. Besessen und Technik verliebt, sind die SUV-Autofahrer von einem Virus des bequemen und sicheren Autofahrens infiziert worden. Und niemand soll sie bitte dabei stören. Jedem das seine. Diese individuelle Freiheit ist sogar in Artikel 2 Bestandteil unseres Grundgesetzes geworden.

Grenzenlose Freiheit. DL8WAA summiert diese Freiheit bei www.faz.net unter der Überschrift "In gewissen Kreisen gehört der sportliche Geländewagen einfach zum hedonistischen Lebensstil". Er selbst blieb lieber mit beiden Füßen auf dem Boden: „Ach wie bin ich froh, dass ich nicht zu den "gewissen Kreisen" gehöre und dass ich erst bei Wikipedia nachschauen musste um zu lernen, was "hedonistisch" bedeutet. Mein Geld investiere ich lieber in bleibende Werte, mache mir und meiner Familie das Leben dadurch viel bunter und tue noch etwas für meine Altersversorgung.“

Das denke ich mir auch.


Samstag, 26. Oktober 2013

Albtraum

Die Gäste waren gegangen, das Haus war leer, ein wüster Berg von weggeräumtem Geschirr stapelte sich auf der Spüle. Wir standen vor den Resten dieses rundum schönen Abends, denn der Zwiebelkuchen hatte allen lecker geschmeckt. Zwei Glas Federweißer und ein Glas Rotwein hatte ich verkostet. Das sollte passen, denn verteilt über den ganzen Abend war die Alkoholmenge nicht ausgeufert. Der Zeiger unserer Küchenuhr wanderte auf Mitternacht zu. Um halb sechs würde der Wecker wieder los bimmeln, um mich ins Büro zu scheuchen, und fünfeinhalb Stunden Schlaf sollten reichen.

Nachdem ich alles in die Spülmaschine befördert hatte, ging es ab ins Bett. Die Müdigkeit stürzte auf mich los. Im Bett kuschelte ich meinen Kopf in mein Kissen, zog die Bettdecke unter meine Ohren, meine Gedanken schlummerten dahin, zerflossen, dösten, standen still, bis sie in einem Loch verschwanden.

In diesem Loch kam lange Zeit nichts. Körper, Seele und Geist schwebten in der Dunkelheit dahin. Traumbilder flackerten über mich hinweg, blitzten auf und verschwanden dann wieder. Dann tauchte ein Traumbild wieder auf, verdichtete sich. Klar wie ein Gespenst in der Nacht schälten sich die Umrisse eines Menschen heraus. Es war so, als träfe mich ein Schlag ins Gesicht. Dann war alles wie weggewischt. Verzweifelt krallten meine Finger die Bettdecke. Benommen und vernebelt vom Schlaf, fand ich mich in einer blassen Dunkelheit wieder.

Ich blätterte in meinen Träumen zurück und das Traumbild stand wieder vor mir. Rosa war seine Erscheinung: über seinem rosanen Umhang hing sein Bischofskreuz, seine Hände waren in sich gefaltet, ehrwürdig und fromm war sein Blick durch seine rahmenlose Brille. Mit seinen feinen Gesichtszügen wirkte er jünger, als er war. Fast hätte man ihn für einen Messdiener halten können. Als Kopfbedeckung trug er sein rosanes Zucchetto. Auge in Auge sahen wir uns an. Kein Zweifel: es war der Limburger Bischof Tebartz-van Elst.

In diesem Augenblick stand ich senkrecht in meinem Bett. Obschon ich hellwach war, rieb ich meine Augen. Mein Blick schlich zäh durch das Zimmer. In der Nacht war alles unterschiedslos grau bis schwarz. Der Schleier der Gardine war der einzige hellere Fixpunkt, der mir im Dunkeln Orientierung verlieh.

Wieso kam gerade dieser Bischof dazu, sich in meine Träume zu mischen ? Die Schlagzeilen hatten wild auf ihn eingedroschen. Zu Recht. Dass Meineid und Geldgier kein Kavaliersdelikt waren, da gab es nichts weg zu diskutieren. Ich hatte Tebartz-van Elst aber geistig beiseite geschoben. Sollten doch all die Journalisten, Kolumnisten, Kabarettisten oder Karnevalisten ihn ausschlachten. Er lieferte jede Masse Stoff für Komik, Widersprüche, Parodien oder Zynismus.

Federweißer und Rotwein drückten auf meine Blase und mich auf die Toilette. Danach zirkulierten meine Gedanken bestechend scharf. Angestachelt, wusste ich nicht, wie ich mich im Bett drehen und wenden sollte. Wieso Tebartz-van Elst ? Mein Verhältnis zu Religion und Kirche war entspannt. In den Messen war ich seltener Gast, unseren Pastor grüßte ich freundlich in unserem Ort. In der Bibel hatte ich sehr lange nicht mehr gelesen. Ihre Inhalte betrachtete ich als wichtig, da Ethik und Werte unserer Gesellschaft abhanden gekommen waren. Ich hatte eine Vorliebe für Dome und Kathedralen. Kritische Themen wie Zölibat, das Verhältnis der Kirche zu Geld, Exkommunikation bei Scheidung oder die Wachset-und-mehret-Euch-Ideologie in der Dritten Welt waren mir bekannt. Ich hatte aber keine Lust, mich an all diesen Debatten zu beteiligen.

Mein Kopf kam auf Hochtouren. Mitten in der Nacht um drei Uhr. Ich hatte Tebartz-van Elst nichts getan. Und die anderen sollten sich um die Kostenexplosion seines Bischofssitzes kümmern. War er ein Phantom ? War er eine Art „Darth Vader“ aus den Starwars-Filmen, der der dunklen Seite der Macht verfallen war ?

Ich drehte mich, ich wendete mich unter der Bettdecke, ich öffnete die Türe zum Balkon, um bei frischer Luft einschlafen zu können. Ich dachte über hoch schwierige Fragestellungen nach, um einschlafen zu können: ich versuchte, die mathematische Lagrange-Methode auf die Reihe zu bekommen; ich versuchte, die Erbfolge Karls des Großen über einen möglichst langen Zeitraum in mein Gedächtnis zurück zu rufen; ich versuchte, alle Bände von Harry Potter aufzuzählen. Nichts half. Meine Gedanken drehten sich und wendeten sich und kreisten hilflos um Kirche und Religion und Tebartz-von Elst.

Die Verzweiflung, mit der ich auf meinen Radiowecker starrte, stieg. Es wurde vier Uhr. Danach fehlten nur noch wenige Ziffern, bis fünf Uhr erreicht wurden. Doch die fünf als Anfangsziffer bemerkte ich nicht mehr, denn nach endlosen Anläufen schlief ich ein. Es sollte nicht lange dauern, dann bimmelte pünktlich um halb sechs mein Wecker und die Musik auf WDR2 plärrte in die Nacht hinein.

Tebartz van-Elst samt Wecker hätte ich an die Wand werfen können. Nicht fünfeinhalb Stunden, sondern gerade dreieinhalb Stunden Schlaf hatte ich gehabt. Das sollte mir den kompletten Tag vermiesen. Ich war wie gerädert. Ich verrammelte mich in meinem Büro und schaffte nur einfache Tätigkeiten. Die Formeln in Excel verschwammen. Word-Dokumente, die mehr als 20 Zeilen enthielten, legte ich beiseite. Zu brauchbaren Präsentationen war ich gar nicht fähig. Viel mehr als Aufräumen und meine archivierten Dateien in Ordnung zu bringen, war nicht drin.

Einen solchen Albtraum hatte ich seit den 80er Jahren nicht mehr geträumt. Damals war ich von explodierenden Atomraketen im Schlaf aufgeschreckt worden.