Es gibt solche Bücher, dessen Lust am Lesen mich nicht losläßt. Thomas Mielke hat mich mit seinem Buch „Colonia“ ganz, ganz weit zurück in die Stadtgeschichte Kölns geführt. Eine Stadt, in der es nur seltene Epochen gegeben hat, dass Köln an Bedeutung verloren hat. Römerstadt, christliche Märtyrerstadt, Hansestadt, Domstadt, preußische Festungsstadt, rheinische Industriestadt – Köln dürfte ungefähr die einzige deutsche Stadt sein, die es über alle Epochen hinweg es zu soviel Glanz und soviel Größe gebracht hat.
Jede Masse Stoff füllt somit einen Roman über diese Stadt. Mielke beginnt seinen Roman bei den ersten Siedlungen Kölns, bei den Germanen – oder präziser formuliert: bei den Ubiern, die die Römer bei der Stadtgründung Kölns als ansässigen Volksstamm integrierten. In Episoden wird der Leser durch mehr als 2000 Jahre Stadtgeschichte geführt.
Mielke wählt eine Form der Erzählung, die mir sonst noch nie begegnet ist. Wie in einer göttlichen Schöpfung erschafft er die Person des Rheinold, die stirbt und später in einem neuen Menschen wieder aufersteht. Er lebt sozusagen über 2000 Jahre lang, bis er den Jahrtausendwechsel am 31.12.1999 hoch oben auf dem Dom erlebt. Dies verleiht dem Roman Kontinuität. Rheinold schlüpft in immer neue Rollen, als römischer Krieger, als Dombauer, als Fischer oder als Schankwirt.
Gemeinsam mit Rheinold wählt Mielke Symbole, die nicht in jeder Episode, aber in regelmäßigen Zeitabständen vorkommen. Das ist zuerst seine treue Gefährtin Ursa, die mal seine Ehefrau ist und ihm einen reichlichen Kindersegen beschert. Mal erkennt er sie in der Menschenmenge, er begegnet ihr aber nicht. Mal wird sie Gattin seines Nebenbuhlers. Aus den Urzeiten des Opferkultes der Druiden erhält er ein Amulett, dessen Zauber ihn in Gefahrensituationen rettet. Während das Amulett dem heidnischen Glauben entspringt, setzt mit dem christlichen Glauben die Reliquienverehrung ein – Rheinold begegnen „Knöschelche“. Teer bedeutet so viel wie Tod, Äpfel so viel wie Liebe. Genauso kehrt Gedankenstaub wieder – als Sinnbild für Träume, Wünsche oder Visionen.
Mich hat gewundert, dass Mielke gar kein alt-eingesessener Kölner ist, sondern aus Detmold in Westfalen stammt (geboren 1940). Seit 25 Jahren lebt er in Berlin. In der Schriftstellerei ist er Quereinsteiger, denn er war lange Zeit Produktmanager bei Ferrero. Kindern dürften seine Produkte bestens bekannt sein, denn er war 1974 an der Produkteinführung des Überraschungs-Ei’s (Ü-Ei) beteiligt. Mielke schreibt seit 1960 im Genre des Science-Fiction-Romans. Ab 1988 kamen historische Romane dazu, unter anderem über Karl den Großen oder die Varusschlacht im Teutoburger Wald.
Sein Stil ist blumig, er taucht in Details ab, seine Schilderungen sind intensiv, die Beschreibungen der Stadt und der historischen Alltagsfiguren sind exzellent. Ich wage mir kaum vorzustellen, welche Arbeit an Recherche dahinter gesteckt hat. Detailgetreu beschreibt er, wie ein römisches Oppidum ausgesehen hat, wie das Essen aus Knoblauch, Öl und gekochtem Fisch um die Jahrtausendwende gekocht wurde oder welches Mobiliar in einer mittelalterlichen Hafentaverne gestanden hat.
Dann ist Mielke noch Querdenker, denn er verknüpft die Entwicklungen in Köln mit anderen geschichtlichen Ereignissen außerhalb Kölns. Die Ader des Rheins kam aus Südwestdeutschland und führte nach Holland. Darauf bauten sich Handelsbeziehungen auf. Er blickte nach Westen, als der Bischof Maternus aus Tongeren in Belgien nach Köln kam. Über viele Jahrhunderte hinweg war Aachen die Schnittstelle europäischer Politik, denn der Kaiser des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation wurde im Aachener Dom gekrönt. Er schaut nach St. Denis in Paris, das den ersten Anstoß zum gotischen Kathedralbau lieferte, also der Ur-Entwurf des späteren Kölner Doms.
Beklemmendes und bedrückendes läßt Mielke nicht aus. Die Normannen fallen in die Stadt ein, plündern alles, brennen die ganze Stadt nieder, so dass es Jahrzehnte dauert, bis Köln wieder zu neuem Leben erwacht. Die Kirche trägt auch ihren Teil dazu bei. Erzbischof Anno hat den Bischof von Münster zu Gast, damit dieser eine neue Kirche einweiht. Für die Rückreise nach Münster will er für einen Teil der Strecke ein Handelsschiff aus Rheinolds Flotte benutzen. Als Rheinold ihm dies verweigert, wird er als Strafe geblendet. Mielke beschreibt, wie hochnäsig die Preußen sind, als die Einweihung des Doms zu einer Einmann-Veranstaltung des Kaisers verkümmert. Beklemmend beschreibt er schließlich die Bombennächte im zweiten Weltkrieg unter dem Dom zwischen dem Geheul von Sirenen, dem Brummen von Flugzeugen und den Detonationen der Bomben.
Der einzige Kritikpunkt an diesem Buch ist die fehlende Dichte im späten Mittelalter und in der Renaissance. Jahrhundertelang tut sich nichts in Köln, was nicht der Wirklichkeit entspricht. Ein wenig muss ich entschuldigen, denn sonst wäre das Buch viel zu lang geworden. 543 Seiten lebendige Stadtgeschichte von Köln sind spannend und mitreißend geschrieben. Wenn Mielke das späte Mittelalter und die beginnende Neuzeit so beschrieben hätte wie das frühe Mittelalter – aus dem vergleichsweise wenige Quellen vorliegen – dann wäre bestimmt ein tausend Seiten dicker Wälzer heraus gekommen.
Die Stadtgeschichte Kölns hätte sicherlich so viel Stoff hergegeben. Tausend Seiten wären mir zuviel des Guten gewesen.
Das Buch hat mir gefallen, wie anschaulich alles beschrieben ist. Nicht wie in Geschichtsbüchern, wo sich Schlachten und Herrscher und Jahreszahlen anhäufen. Sondern so, wie das einfache Volk gelebt hat.
Schreiben kann er wohl ganz gut. Vor ewigen Zeiten las ich mal seinen Roman "Das Sacriversum", der mir ganz gut gefiel und den Deutschen SF-Preis gewann. Dieser Roman spielt überwiegend im Dachboden einer Kathdrale und verfolgt die Ereignisse der dort lebenden Schicksalsgemeinschaft ebenfalls über viele Jahrhunderte.
AntwortenLöschenHört sich ja gut an, vor allem wenn es so anschaulich und dennoch an Tatsachen gebunden geschrieben ist.
AntwortenLöschenDanke dass du es vorgestellt hast, wäre auch für mich ein Buch das ich lesen würde.
Liebe Grüssle
Nova
Thanks for this interesting recommendation. I hope you are having a wonderful week dear friend, ***
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