Donnerstag, 31. Oktober 2013

SUVs

Quelle: Wikipedia
Die deutsche Sprache hat dieses englisch-sprachige Wort durcheinander gewirbelt. „Ess-Juh-Viii“ wäre die korrekte Aussprache, in Lautschrift [ ɛsjuːˈviː ]. Das steht für „sport utility vehicle“, was so viel wie sportlicher Geländewagen bedeutet. Ist das Wort aber Neutrum oder maskulin ? Heißt es „der“ SUV – wenn ein Geländewagen gemeint ist ? Oder „das“ SUV - wenn die Oberkategorie des Automobils gemeint ist ?

Egal. Weithin gelten SUVs als Angeber-Autos, als Sinnbild für die Dekadenz unserer Gesellschaft. Und dennoch erfreuen sie sich wachsender Beliebtheit. Dieses PKW-Segment hat Wachstumsraten von 17% pro Jahr, von denen die Automobilbauer anderswo nur träumen können. So strebt Audi zum Beispiel an, dass bis zum Jahr 2020 der Anteil der verkauften SUVs an allen PKWs 30% erreichen soll.

Bei seinem Auftritt in der Kölner Lanxess-Arena waren SUVs ein dankbares Thema für den Komiker Michael Mittermeier. Seine Grundsatzfrage war: Braucht man wirklich einen Geländewagen ? Seine Antwort: „Du brauchst mindestens einen Audi Q7, da der Eingangsbereich bei EDEKA zu unübersichtlich ist. Dann spürst Du beim Einparken nicht, wo Du drüber fährst. Ist da was ? Ein Eichhörnchen ? Hat jemand die Oma gesehen ? Wartet mal, wenn das Thema Sicherheit richtig entdeckt wird. Wenn der halbe Supermarkt mit Geländewagen voll geparkt ist, dann gibt es nur noch eine Wahl: ein Leopard2-Panzer. Ich habe im Katalog von Krauss-Maffei herum geblättert…“

Die Steigerungsform des Panzers hatte ins Schwarze getroffen. Die Häufigkeit, mit einem Panzer im Supermarkt einzukaufen, weicht nur minimal von der Häufigkeit ab, über ein Gelände zu fahren, für das die Fahrtechnik von SUVs ursprünglich konzipiert war. Wann fährt man denn einen SUV durch unwegsames Gelände ? Über kniehohe Baumwurzeln auf Waldwegen ? Durch tiefen Matsch ? Über Dünen ? Oder durch die Wüste ? Die Situationen gehen freilich gegen Null.
Quelle: Wikipedia

Es ist irrational, was SUV-Autofahrer antreibt. Das abgedrehte Snob-Image läßt sich bei manchen nicht verleugnen. Wer SUV fährt, gibt an, hat zu viel Geld auf der hohen Kante liegen, verhält sich wie ein Rambo im Straßenverkehr und schadet mit zu hohem Spritverbrauch der Umwelt.

Die Debatte ist in Internet-Foren längst entbrannt. So knüpft DOUNIAMOON auf www.faz.de mit der Überschrift „Hausfrauenautos“ nahtlos an Michael Mittermeier an. „Das sind die berühmten Eppendorfer Mummies, die kaum über den unteren Windschutzscheibenrand gucken können und die ihre Kinder mit dem Riesengefährt im 800 Meter entfernten Kindergarten fahren. Und weil sie grundsätzlich trotz Kameraführung und Signale Riesenprobleme haben, flott in mögliche Parkplätze einzuparken, stehen sie in zweiter Reihe.“

Meine Vermutung, dass nicht nur hoch bezahlte Manager solche Geländekisten fahren , stimmt nicht ganz. So gibt es zum Beispiel den Renault Koleos unter 30.000 € zu kaufen, während ein VW Tuareg nicht unter 50.000 € zu haben ist. Der Preis für einen Porsche Cayenne beginnt bei 60.000 €, ein Audi Q7 bei 83.000 €. Es wird sich nicht leugnen lassen, dass die Käufer zum Teil Top-Manager, Filmstars, Firmeninhaber, Fußball-Bundesliga-Spieler, Investment-Banker oder andere Top-Verdiener sind.

Die Käufer brauchen einen Fimmel, einen Hang zur technischen Faszination. Der SUV ist kein praktisches Auto, mit dem man von Ort A nach Ort B fährt, sondern alleine seine Erscheinung vor dem eigenen Haus sorgt für Aufsehen. Zu der Kaufentscheidung schreibt MEIER LANSKY auf www.derstandard.at:

„Die Diskussion, warum jemand einen SUV braucht oder nicht, ist unnötig wie ein Kropf. 
Man "braucht" keinen SUV, man "will" einen. 
Man "braucht" keinen Sportwagen, man "will" einen. 
Man "braucht" keinen Hund, man "will" einen. „

Auch (°) (°) steht auf demselben Forum zu seinen Irrationalismen: „Wie bei SUV gibt es kein vernünftiges Argument für grosse Brüste, trotzdem wollen viele welche in den Händen halten. 80% unserer Zivilisation findet ohne "vernünftige Argumente" statt. „

Ich fühle mich bestätigt, dass SUVs ein Sinnbild unserer dekadenten Gesellschaft sind. In dem Bestseller von Jörg Schindler sind SUVs ein Indiz unserer Rüpel-Republik, der die üblichen zwischenmenschlichen Umgangsformen abhanden gekommen sind. Unser heiliger Besitz soll bei Aufprallen und Zusammenstößen keinen einzigen Kratzer abbekommen, was bei gepanzerten Limousinen wie SUVs sichergestellt ist. Also Abschottung, Gegeneinander statt Miteinander, Egoismen als Selbsterhaltungstrieb. Auf solch eine Basis lässt sich in der Tat keine Gesellschaft aufbauen.

Quelle: Wikipedia
SUV-Besitzer winken ab. Einkommen haben auch etwas mit Selbstständigkeit und Unternehmertum und Risiko zu tun. Dazu äußert NO COMMENT: „Ich halte die SUV-Diskussion für 100% Neid-basierend. Keiner regt sich über Lieferwagen, hochbauende PKWs, Vans, LKWs auf, die einem die Sicht noch mehr versperren.“ GRETEWEISER setzt auf www.taz.de einen drauf: „Ist doch toll, dass Otto-Normal-Autofahrer die SUVs als Feindbild hat. Wer über andere schimpft, braucht sich nicht mit sich selbst und dem eigenen Verhalten beschäftigen.“

Die Debatte macht krank. Arm gegen Reich, Freiheit gegen Beschränkungen, Individualismus gegen Gemeinschaft. Besessen und Technik verliebt, sind die SUV-Autofahrer von einem Virus des bequemen und sicheren Autofahrens infiziert worden. Und niemand soll sie bitte dabei stören. Jedem das seine. Diese individuelle Freiheit ist sogar in Artikel 2 Bestandteil unseres Grundgesetzes geworden.

Grenzenlose Freiheit. DL8WAA summiert diese Freiheit bei www.faz.net unter der Überschrift "In gewissen Kreisen gehört der sportliche Geländewagen einfach zum hedonistischen Lebensstil". Er selbst blieb lieber mit beiden Füßen auf dem Boden: „Ach wie bin ich froh, dass ich nicht zu den "gewissen Kreisen" gehöre und dass ich erst bei Wikipedia nachschauen musste um zu lernen, was "hedonistisch" bedeutet. Mein Geld investiere ich lieber in bleibende Werte, mache mir und meiner Familie das Leben dadurch viel bunter und tue noch etwas für meine Altersversorgung.“

Das denke ich mir auch.


Samstag, 26. Oktober 2013

Albtraum

Die Gäste waren gegangen, das Haus war leer, ein wüster Berg von weggeräumtem Geschirr stapelte sich auf der Spüle. Wir standen vor den Resten dieses rundum schönen Abends, denn der Zwiebelkuchen hatte allen lecker geschmeckt. Zwei Glas Federweißer und ein Glas Rotwein hatte ich verkostet. Das sollte passen, denn verteilt über den ganzen Abend war die Alkoholmenge nicht ausgeufert. Der Zeiger unserer Küchenuhr wanderte auf Mitternacht zu. Um halb sechs würde der Wecker wieder los bimmeln, um mich ins Büro zu scheuchen, und fünfeinhalb Stunden Schlaf sollten reichen.

Nachdem ich alles in die Spülmaschine befördert hatte, ging es ab ins Bett. Die Müdigkeit stürzte auf mich los. Im Bett kuschelte ich meinen Kopf in mein Kissen, zog die Bettdecke unter meine Ohren, meine Gedanken schlummerten dahin, zerflossen, dösten, standen still, bis sie in einem Loch verschwanden.

In diesem Loch kam lange Zeit nichts. Körper, Seele und Geist schwebten in der Dunkelheit dahin. Traumbilder flackerten über mich hinweg, blitzten auf und verschwanden dann wieder. Dann tauchte ein Traumbild wieder auf, verdichtete sich. Klar wie ein Gespenst in der Nacht schälten sich die Umrisse eines Menschen heraus. Es war so, als träfe mich ein Schlag ins Gesicht. Dann war alles wie weggewischt. Verzweifelt krallten meine Finger die Bettdecke. Benommen und vernebelt vom Schlaf, fand ich mich in einer blassen Dunkelheit wieder.

Ich blätterte in meinen Träumen zurück und das Traumbild stand wieder vor mir. Rosa war seine Erscheinung: über seinem rosanen Umhang hing sein Bischofskreuz, seine Hände waren in sich gefaltet, ehrwürdig und fromm war sein Blick durch seine rahmenlose Brille. Mit seinen feinen Gesichtszügen wirkte er jünger, als er war. Fast hätte man ihn für einen Messdiener halten können. Als Kopfbedeckung trug er sein rosanes Zucchetto. Auge in Auge sahen wir uns an. Kein Zweifel: es war der Limburger Bischof Tebartz-van Elst.

In diesem Augenblick stand ich senkrecht in meinem Bett. Obschon ich hellwach war, rieb ich meine Augen. Mein Blick schlich zäh durch das Zimmer. In der Nacht war alles unterschiedslos grau bis schwarz. Der Schleier der Gardine war der einzige hellere Fixpunkt, der mir im Dunkeln Orientierung verlieh.

Wieso kam gerade dieser Bischof dazu, sich in meine Träume zu mischen ? Die Schlagzeilen hatten wild auf ihn eingedroschen. Zu Recht. Dass Meineid und Geldgier kein Kavaliersdelikt waren, da gab es nichts weg zu diskutieren. Ich hatte Tebartz-van Elst aber geistig beiseite geschoben. Sollten doch all die Journalisten, Kolumnisten, Kabarettisten oder Karnevalisten ihn ausschlachten. Er lieferte jede Masse Stoff für Komik, Widersprüche, Parodien oder Zynismus.

Federweißer und Rotwein drückten auf meine Blase und mich auf die Toilette. Danach zirkulierten meine Gedanken bestechend scharf. Angestachelt, wusste ich nicht, wie ich mich im Bett drehen und wenden sollte. Wieso Tebartz-van Elst ? Mein Verhältnis zu Religion und Kirche war entspannt. In den Messen war ich seltener Gast, unseren Pastor grüßte ich freundlich in unserem Ort. In der Bibel hatte ich sehr lange nicht mehr gelesen. Ihre Inhalte betrachtete ich als wichtig, da Ethik und Werte unserer Gesellschaft abhanden gekommen waren. Ich hatte eine Vorliebe für Dome und Kathedralen. Kritische Themen wie Zölibat, das Verhältnis der Kirche zu Geld, Exkommunikation bei Scheidung oder die Wachset-und-mehret-Euch-Ideologie in der Dritten Welt waren mir bekannt. Ich hatte aber keine Lust, mich an all diesen Debatten zu beteiligen.

Mein Kopf kam auf Hochtouren. Mitten in der Nacht um drei Uhr. Ich hatte Tebartz-van Elst nichts getan. Und die anderen sollten sich um die Kostenexplosion seines Bischofssitzes kümmern. War er ein Phantom ? War er eine Art „Darth Vader“ aus den Starwars-Filmen, der der dunklen Seite der Macht verfallen war ?

Ich drehte mich, ich wendete mich unter der Bettdecke, ich öffnete die Türe zum Balkon, um bei frischer Luft einschlafen zu können. Ich dachte über hoch schwierige Fragestellungen nach, um einschlafen zu können: ich versuchte, die mathematische Lagrange-Methode auf die Reihe zu bekommen; ich versuchte, die Erbfolge Karls des Großen über einen möglichst langen Zeitraum in mein Gedächtnis zurück zu rufen; ich versuchte, alle Bände von Harry Potter aufzuzählen. Nichts half. Meine Gedanken drehten sich und wendeten sich und kreisten hilflos um Kirche und Religion und Tebartz-von Elst.

Die Verzweiflung, mit der ich auf meinen Radiowecker starrte, stieg. Es wurde vier Uhr. Danach fehlten nur noch wenige Ziffern, bis fünf Uhr erreicht wurden. Doch die fünf als Anfangsziffer bemerkte ich nicht mehr, denn nach endlosen Anläufen schlief ich ein. Es sollte nicht lange dauern, dann bimmelte pünktlich um halb sechs mein Wecker und die Musik auf WDR2 plärrte in die Nacht hinein.

Tebartz van-Elst samt Wecker hätte ich an die Wand werfen können. Nicht fünfeinhalb Stunden, sondern gerade dreieinhalb Stunden Schlaf hatte ich gehabt. Das sollte mir den kompletten Tag vermiesen. Ich war wie gerädert. Ich verrammelte mich in meinem Büro und schaffte nur einfache Tätigkeiten. Die Formeln in Excel verschwammen. Word-Dokumente, die mehr als 20 Zeilen enthielten, legte ich beiseite. Zu brauchbaren Präsentationen war ich gar nicht fähig. Viel mehr als Aufräumen und meine archivierten Dateien in Ordnung zu bringen, war nicht drin.

Einen solchen Albtraum hatte ich seit den 80er Jahren nicht mehr geträumt. Damals war ich von explodierenden Atomraketen im Schlaf aufgeschreckt worden.

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Andreas Etienne & Michael Müller, Michael Mittermaier und Mario Barth

Kurz nach acht. Die Hallenbeleuchtung war erloschen, die musikalische Untermalung war verstummt. Eine in sich gekehrte Ruhe ergriff die Zuschauerplätze, die den Halbkreis der Kölner Lanxess-Arena gut ausfüllten, aber nicht randvoll. Die Weite der riesigen Halle war spannungsgeladen, die Blicke waren auf die Bühne gefesselt.

„Black Out“: die schwarz-weißen Großbuchstaben hatten sich in der Bühnenmitte plaziert, verloren hing ein Metallgerüst im Nirgendwo, eine Skyline unterstrich im Hintergrund das Motto der Comedy-Show. Dann ohrenbetäubender Lärm. Hektische Klänge, viel zu laut, ohne Melodie, schrecken die Zuschauer auf und verstummen augenblicklich, als Michael Mittermaier die Bühne betrat. Seine Jeans schlabberten unter seiner schlacksigen Gestalt, die mit dem schwarzen Sakko aufgehübscht wurde. Der größte Stromausfall in der Geschichte der USA habe ihm die Idee geliefert. Er erzählte die Komik von Black-Out-Situationen; das war ein Griff in die Kiste von irrationalen Situationen und Verhaltensweisen.

Es hatte sich so ergeben, dass der Oktober zu einem Monat von Comedy, Spaß und Witz wurde, denn gleich für drei Veranstaltungen hatten wir Karten ergattert. Für den 3. Oktober hatten uns Freunde auf „Nachbarn Reloaded“ im Bonner Springmaus-Theater angesprochen. Der 15. Oktober war mit Michael Mittermaier noch ein Weihnachtsgeschenk an unseren Sohn. Schließlich rief uns der TV-Ticket-Service an, ob wir am 21. Oktober bei einer Fernsehproduktion von „Willkommen bei Mario Barth“ dabei sein wollten.

Wir sagten zu. Mario Barth fiel bei diesen drei Comedy-Veranstaltungen aus der Reihe, da es eine Fernsehsendung war. Bei den Fernsehaufnahmen in den MMC-Studios in Köln-Ossendorf zeigte er nicht ganz, was er drauf hatte. Meine Erwartungshaltung war ohnehin gedämpft, da ich Mario Barth mit frauenfeindlichem Klischeedenken verband. Dieser Fernsehdreh, der für uns kostenlos war, lieferte nun die Antithese, dass diesmal die Frauen austeilten und die Männer einstecken mussten. Mann und Frau zockten am Computer das Spiel „FIFA World Cup“ Deutschland gegen Italien, wobei Frau gewann. Mit Sprüchen wie „Ich hol mir mal’n Bier“ griff er fleißig in den Kühlschrank. Danach saßen sich beim Speed-Dating Frau und Mann gegenüber, wobei Mario Barth über einen Ohrhörer der Frau zuflüsterte, was sie sagen sollte, um den Mann von einer peinlichen Situationen in die nächste zu befördern.

Mario Barths Komik war einfach gestrickt, platt, schnell, spontan, schlagfertig. Seine flotten Sprüche kamen stets in der Zuschauermenge an. Michael Mittermaier war demgegenüber durchdacht, er ordnete seine Show einem Motto unter, arbeitete sauber die Pointen heraus. Beiden war gemeinsam, dass sie viel mit Gestik und Mimik arbeiteten, was ihren Witzen ein breites Profil verlieh.

Beiden – Michael Mittermaier und Mario Barth – hatte ich im Fernsehen wenig Aufmerksamkeit geschenkt, da ich heimische Komiker vor denjenigen aus Berlin oder dem tiefsten Bayern bevorzugte. Ich war hingerissen. Wortgewandt, Luft holend und klar stellend, zog mich Michael Mittermaier in seinen Bann. Er erzählte so manches aus seinem Heimatdorf.

Wie er erzählte, beschrieb er selbst:„Was man heutzutage erlebt, wird direkt ins Netz gepostet. Live können alle das nachlesen. Und früher ? Bilder und Filme stehen nicht im Netz. Wir hatten unsere Erlebnisse im Herzen … „ Selten habe ich so gelacht. Er erzählte, dass wir in unserem Land so viel Erklärungsbedarf haben, dass wir für alles und jedes Aufkleber brauchen. Er machte sich über Autofahrer von SUV (das sind diese Angeber-Geländewagen) lustig und verfrachtete sie geistig in einen Panzer. Weil die Hallen in Basel nebeneinander lagen, vermischte er eine Erotik-Messe mit seiner Comedy-Show. Beim einzigen Atomkraftwerk in Österreich, das nie ans Netz ging, wird bis heute ein Atomkraftwerk-Einschalter beschäftigt, der nie auf den Knopf gedrückt hat.

Ein Bayer in Köln ? Ich sog seine deftig inszenierte Komik in mich hinein, lachte mich bisweilen krumm. „Sau-Preuß“ stichelte er mit seinen Witzen gegen das Berliner Hauptstadt-Denken. Im Westen der Republik verortete er sich über den Fußball. Er war kein FC-Bayern-Fan, und bei seinem morgigen Auftritt in Dortmund sah er sich schon vor leeren Rängen, denn als Anhänger des FC Schalke 04 wollte  er das blaue Trikot anziehen, das sich mit der gelben Farbe des BVB spinnefeind war.

Weniger bekannt dürften die Komiker Andreas Etienne und Michael Müller sein, wenngleich Andreas Etienne als Kellner Dauergast in der Comedy-Sendung mit Ludger Stratmann  ist („Stratmanns“). Das Springmaus-Theater im Bonner Vorort Endenich ist klein, übersichtlich, familiär. An viereckigen Sechsertischen aßen wir Käsewürfel, während wir Etienne und Müller zusahen. In „Nachbarn Reloaded“ spielte sich das Geschehen der beiden Nachbarn rund um den Wendehammer ab. 

Argwöhnisch beäugelten sie das Treiben des anderen. Stets mit einer Gartenschere bewaffnet, schnitt der eine Nachbar alles weg, was ihm in den Weg kam. Der andere Nachbar tüftelte und werkelte in seinem Keller herum und ließ niemanden hineinsehen, was er trieb.

Der Humor von Etienne und Müller war knochentrocken, solange sich die beiden auf Distanz schoben. Erst spät, sehr spät setzten die Knalleffekte um so heftiger ein, wenn offensichtlich war, was die beiden trieben. So hatte der eine Nachbar im Keller Unmassen von Glühbirnen gehortet, die er mit einem Mal testete, worauf das Stromnetz zusammenbrach. Andreas Etienne und Michael Müller waren eine eigene Kategorie, die auf ihre Weise genial war.

Andreas Etienne & Michael Müller, Michael Mittermaier und Mario Barth : wenn ich sie in eine Reihenfolge bringen sollte, wären es zuerst Mittermaier, dann Etienne/Müller, schließlich Barth. Ordentlich gelacht habe ich bei allen. Ich freue mich auf weitere Comedy-Veranstaltungen. Noch haben wir die nächste Show nicht im Visier. In den Programmen von diversen Theatern und Komikern blättern wir derzeit herum. 

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Supertramp - Rudy

Der Herbst hat Einzug gehalten, die dunkle Jahreszeit ist eingeläutet worden. Zeit für mich, die Annehmlichkeiten im Hause zu genießen. Seit Monaten der Ruhe, drehe ich wieder mein Internet-Radio auf. Planet Rock, dieser englisch-sprachige Radiosender stellt mit seiner Musik alles in den Schatten, was deutsche Radio-Sender an Musik aus dem Äther ausstoßen. „Southern Man” von Crosby, Stills, Nash & Young, “Silver Machine” von Hawkwind, “All along the Watch Tower” von Jimi Hendrix oder “Running with the Devil” von Van Halen.

Dann stand meine Aufmerksamkeit still, ich hielt den Atem an, sog jedes einzelne Wort in mich hinein, denn dieses Stück hatte ich jahrzehntelang nicht mehr gehört: „Rudy“ von Supertramp von der LP "Crime of the Century" (1974). Weil der Text so sehr meine eigenen Lebenserfahrungen widerspiegelt, drehte und wendete ich meine Gedanken von allen Seiten, um einen Post darüber zu schreiben.

Die Symbolik ist treffend und aussagefähig: das Stück beschreibt Rudy, wie er auf einen Zug aufspringt.
„Rudy's on a train to nowhere, halfway down the line …”

Jeder Mensch springt im Leben auf einen Zug. Von dem niemand weiß, ob er in die richtige Richtung fährt. Während der Fahrt nagt der Zweifel: stimmt die Richtung ? Sind die Ziele richtig gesetzt ? Die Zweifel nehmen Überhand. In sich gekehrt, handelt Rudy nicht, sondern er überlegt und überlegt und überlegt …

“He don't wanna get there, but he needs time … after all the hours he wasted, still he needs time …
Zögernd und zaudernd, kenne ich solche Situationen allzu sehr. Ich plane, ich mache und tue, von dem ursprünglichen Plan setze ich nur einen schlappen Teil um. Ich verliere das Ziel aus den Augen, neue Ziele lege ich nicht fest. Orientierungslos finde ich mich in der Rolle eines Rudy wieder: „After all the hours he wasted, still he needs time …

Als Grundübel seiner Orientierungslosigkeit identifiziert Rudy die Ebene von Beziehung oder Partnerschaft: „He ain’t had no loving … „. Dies halte ich nicht für entscheidend. Anstatt dessen wird bei einer glücklichen Beziehung und Partnerschaft die Entscheidung komplexer, auf welchen Zug alle aufspringen. Unüberschaubar wird die Entscheidung, wenn die Personenzahl und das Beziehungsgeflecht in einer Gemeinschaft größer wird. Es gibt Züge, auf die springen alle in einer Gemeinschaft auf, andere Züge bevorzugt man alleine. Prickelnd wird die Situation, wenn eine Gemeinschaft aufgesprungen ist und wenn sich auf der Zugstrecke die Gemeinschaft spaltet: ein Teil will weiterfahren, andere wollen abspringen.

„You’d better gain control now … “ wiederholt sich in dem Stück. Aber wie den Gang der Dinge kontrollieren ? Es muss jemand die Kontrolle über ein Gefüge von Verhaltensweisen gewinnen. Das ist eine Herkulesaufgabe, je mehr Personen beteiligt sind. Wenn sich eine Gemeinschaft uneinig ist, kann dies beliebig lange dauern. Fähigkeiten von Führung und Moderation werden benötigt. Gruppenphänomene können entscheiden. Wortführer bestimmen die Richtung. „Nobody loved, nobody cared … „ Rudy hat erfahren, dass die gegenseitige Wertschätzung fehlt. Die Gemeinschaft kann zersplittert sein in Einzelindividuen, die ihre Einzelinteressen verfolgen, sich nur scheinbar einfügen in die Gemeinschaft, aber anders handeln. Der Zug artet zur strategischen Spielwiese aus, weil jeder seine eigenen Nutzenkalküle verfolgt.

Das Bild des „circulus vitiosus“ drängt sich auf. Seit der antiken Philosophie und seit der Bibel hatte der Kreis sein inneres Sinngefüge. Alpha und Omega, Anfang und Ende, Tag und Nacht, Geburt und Wiedergeburt.

„Rudy’s on a train to nowhere“ … der Zug führt eindeutig in ein Nichts. In dem Stück springt Rudy zwar nicht ab, aber das Ziel und das Schließen des Kreises ist abhanden gekommen. Das innere Sinngefüge fehlt. Rudy bleibt auf dem Kreis stehen, er kann sich nicht entscheiden, er braucht Zeit, die aber zur dauerhaften Hängepartie wird. Der Kreis wird zum „circulus vitiosus“ und wird nie geschlossen.

“Now he's just come out the movie.
Numb of all the pain,
Sad but in a while he'll soon be
Back on his train...”

Bei Rudy setzt ein Erkenntnisprozess ein, der ihn regelrecht umhaut, weil seine Lage und Situation verortet wird. Das wäre eine Chance. Aber er bekommt den Hebel nicht umgelegt, sich selbst zu verändern. So wird er zur tragischen Figur. Er wird zum Dauergast auf diesem Zug. Im Stadium des Stillstands droht er in eine Abwärtsspirale hinein zu geraten.

Die einzige Reaktion ist seine Traurigkeit. Schlecht gelaunt wird er als Miesepeter den Rest seines Lebens verbringen. Und er wird auf die restliche Welt schimpfen, wie viel Böses sie ihm angetan hat.

Allzu oft ertappe ich mich selbst, wie ich meine eigenen Ziele aus den Augen verliere. Ich bin nicht so weit, dass ich wie Rudy ein solches Stadium des Stillstands erreicht habe. Aber es wuchern so viele Ideen in meinem Kopf herum, dass ich alles effektiv nicht umgesetzt bekomme. Das ist ein ständiges Selektieren, was ich mache und was auf der Strecke bleibt. Während Rudy Zeit braucht, um seinen Zielfindungsprozess in den Griff zu bekommen, mache und tue ich wenigstens.

Wobei sich trefflich darüber streiten lässt, ob ich genau die richtigen Dinge tue.


Text:
Rudy's on a train to nowhere, halfway down the line
He don't wanna get there, but he needs time
He ain't sophisticated, nor well-educated
After all the hours he wasted, still he needs time.
He needs time - he needs time for livin',
He needs time - for someone just to see him.
He ain't had no lovin'
For no reason or rhyme
And the whole world's above him.
Well it's not as though he's fat-
No there's more to it than that-
See he tried to play it cool-
Wouldn't be nobodys fool.

Rudy thought that all good things comes to those that wait
But recently he could see that it may come too late.

All through your life, all through the years
Nobody loved, nobody cared.
So dim the light, dark are your fears
Try as I might, I can't hold back the tears
How can you live without love, it's not fair?
Someone said give but I just didn't care. I didn't dare, I didn't dare What good advice are you waiting to hear?
Hearing's alright for them that's all there
You'd better gain control now
You'd better show'em all now
You'd better make or break now
You'd better give and take now
You'll have to push and shove now
You'll have to find some love now
You'd better gain control now.
Now he's just come out the movie.
Numb of all the pain,
Sad but in a while he'll soon be
Back on his train...