Dienstag, 11. Februar 2014

Formlos (5) - Heimat


Ich war in dieser Gegend längst angekommen. Einhundert Kilometer entfernt aufgewachsen, stellte sich die Frage nicht, wo meine Heimat lag. Heimat, das war ein heterogenes Gebilde, das seine Kristallisationspunkte hatte, die mit einander verknüpft waren. Ein Netz, beweglich, anpassungsfähig, interkulturell, mit Wohlfühl-Faktor. Die Redensart „der Bauer klebt an seiner Scholle“ klang aus meiner Kindheit nach, denn, auf dem Land aufgewachsen, hatte ich zwar viel Natur und Naturverbundenheit kennen gelernt, aber auch eine gewisse Abgeschiedenheit vom Rest der Welt.

Was wäre eine Vernetzung ohne Mobilität ? In meinem Fall: mein Rennrad war der Idealzustand einer Mobilität, denn das Tempo war schnell, wie auf Samthandschuhen getragen, glitt ich durch die Natur, ich sprang von Ort zu Ort, Natur und Naturverbundenheit verschmolzen mit mir zu einer Einheit.

Der Moment, der das Erlebnis zu einem Höhepunkt führte, dauerte zehn Minuten. Es war die erste Rennradtour im neuen Jahr, die ich mit 45 Kilometern bewußt kurz ausgewählt hatte, um in den richtigen Tritt zu kommen. Den Rhein hatte ich überquert, und in Bonn-Oberkassel läutete ich die zehn Minuten totales Landschaftserlebnis ein.

Ende Januar, die Jahreszeit war ungewöhnlich für eine erste Rennradtour. Bitterkalt, weiß, schneebedeckt, Eis, rutschig, glatt, solche Winterstimmungen hatte ich vor einem Jahr gepostet. Nun war der Wind eine zahme Angelegenheit, er säuselte um meine Ohren. Mit gefütterter Fahrradjacke, Schal und Fingerhandschuhen trieb mich mein sportliches Outfit voran. Der blaue Himmel lächelte mich an. Schäfchenwolken ließen mich fast an den Frühling denken, wenn die Bäume und die Natur nicht so ratzekahl gewesen wären. Von Schnee oder Kälte war während des ganzen Winters keine Spur.

Zehn Minuten lang hieß es „bergauf“. Oder: treten, treten und nochmals treten. Ich übte, um mit Routine solche Anstiege zu bewältigen. Der Winter war eine Unterbrechung, weil ich drei Monate lang nicht mehr auf meinem Rennrad gesessen hatte. Mit dem Sport bin ich mit gewissen Unterbrechungen seit meiner Jugend groß geworden. Fußball-Spieler in der Kreisliga C, dann 15 Jahre lang Fußball-Schiedsrichter, danach Joggen, seit zehn Jahren Rennradfahren.

Ich schaute weg. Das gerade Band der Straße forderte meine geballte Kraft heraus. Nach vorne schauen, entmutigte mich, denn zu langsam, im gefühltem Schritttempo, kroch ich mitten ins Siebengebirge hinein. Ersatzweise verlor sich mein Blick auf dem Erdboden, wo die Schicht des Herbstlaubes noch dünner, noch schwächer, noch lebloser die Blässe des Januartages bedeckte. Ein Bachlauf fraß sich in das Erdreich hinein, kahles Buschwerk verhakte sich in der Leere. Das Licht des Januartages stand so schräg, dass die Sonnenscheibe hinter den Berghängen des Siebengebirges verschwand.

Das Kurvenschild flackerte am Straßenrand auf, meine Ausdauer arbeitete, meine Muskeln hielten durch. Eine scharfe Linkskurve, dann dieselbe Wendung nach rechts, es ging weiter bergauf. Noch einhundert Meter treten, die Gewißheit mobilisierte meine Kräfte, denn ich kannte die Strecke. Nach zehn Minuten hatte ich den höchsten Punkt erreicht. Geist und Körper befanden sich in einem Gleichgewichtszustand. Mein Blut pulsierte, in langen Zügen sog ich den Atem ein und aus.

Fortan rollte ich bergab. Meine Anspannung war wie verflogen. Ohne treten zu müssen, war der Übergang in den Ruhezustand grandios. Heimat braucht Konturen, Fixpunkte, positive Eindrücke, die sich wiederholen und haften bleiben. Ich könnte meinen, dass Heimat eine Suche nach den Gegensätzen ist. Aufgewachsen auf dem flachen Land, suche ich solche mittelgebirgshaften Landschaften. Flachland ist unspektakulär und entfaltet in Flußniederungen all seine Schönheit.

Und das Siebengebirge ? Der Ölberg, dieses dauerhafte Motiv, schraubte sich rechterhand in die Höhe. Von allen Seiten überragte er das Siebengebirge. Mit Weitblick, von der Kölner Bucht aus, vom Westerwald aus, von der Euskirchener Börde aus – oder auch von uns zu Hause aus – war er zu sehen. Er war mein eigenes Stück Heimat. Einhundert Kilometer entfernt aufgewachsen, vereinigte er die Schönheit der Mittelgebirgslandschaft mit meiner sportlichen Ausdauer.

Meine Geburtsstadt sehe ich nicht mehr allzu oft. Heimat ist kein fester Ort, sondern eine Vielzahl von Orten, wo sich Familie, Freunde, Gefühle, Erinnerungen und Geschehenes mit einander verbindet.

Montag, 10. Februar 2014

die Macht der Dummheit

Wenn sich die Menschenmenge in der Fußgängerzone an mir vorbei schiebt, wenn ich in die netten, hübschen und lächelnden Gesichter hinein blicke, und wenn ich schaue, was unsere Mitmenschen so antreibt, dann frage ich mich: sind die noch richtig bei Verstand ? Acht Millionen Fernsehzuschauer haben den Einschaltknopf an ihrem Fernseher gefunden – oder sie haben es nicht gewagt, die Glotze auszuschalten - , als die letzte Staffel des Dschungelcamps lief. Wenn ich dann die jüngere Altersgruppe – das sind die 14- bis 49-jährigen - herausfiltere und weiß, dass mehr als 50 Prozent diese Ekel-Sendung gesehen haben, dann stelle ich mir die Frage: leidet unsere Bevölkerung an einer kollektiven Verblödung ?

Die Macht der Dummheit, unter dieser Überschrift hatte der französische Philosoph André Glucksmann 1985 das Wesen der Dummheit untersucht. Den Grundsätzen der Aufklärung zum Trotz – beispielsweise Kant: „habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen !“ – breitet sich die Dummheit wie eine Seuche aus. Dummheit ist subtil. Nicht nur das Dschungelcamp, auch anderer Reality-Schrott wie „Das Super-Talent“, „Germany’s Next Top Model“ oder „Bauer sucht Frau“ bahnen der Dummheit ihren Weg. „Dummheit besitzt Glanz, sie hat Phantasie, ihre Macht ist trügerisch, aber auch aktiv; und sie vermag Illusionen zu erwecken und das Dasein auf ihre Weise in Szene zu setzen … „ dies stellte André Glucksmann fest.

Wie schön, dass Blogger-Netzwerke funktionieren. Weil Tinny Mey neugierig war und weil Nova recherchiert hatte, wissen wir, wieviel Gage die Kandidaten des Dschungelcamps bekommen haben. Ich war sprachlos, dass Michael Wendler, den vorher schätzungsweise kaum jemand gekannt hatte, 125.000 € vertraglich vereinbart hatte.

Ich war sprachlos, zumal ich anderweitig gegoogled hatte, dass Til Schweiger als Tatort-Kommissar eine Gage von 100.000 € zustand. Wolfgang Stumph („Stubbe“) hatte zuletzt in einem Radio-Talk gesagt, dass er früher einen Werbespot für 75.000 € abgelehnt hatte, was der Gage für ein paar Filme entsprochen hätte. Wolfgang Stumph rangiert somit deutlich unterhalb der 100.000 €-Grenze.

Verkehrte Welt ? Das Schrott-Format ist billiges Fernsehen, es kann schnell produziert werden, angereichert mit Schlüssellochgeschichten und Intimitäten. Der Erfolg ist mathematisch berechenbar und funktioniert nach der Logik „Gewinn gleich Werbeeinnahmen mal Einschaltquote minus Produktionskosten“. Eigentlich kann ich nicht mitreden, weil das Dschungelcamp so unterhalb meines eigenen Niveaus liegt, dass ich es niemals einschalten werde. Die Form des Ekel-TV ist neu. Das geht gegen die Menschenwürde. In 40.000 Kakerlaken einzutauchen, übersteigt unser aller Vorstellungsvermögen. Es ist irrational, wieso rund 8 Millionen Zuschauer den Einschaltknopf gefunden haben. „Die Menschen bemerken, dass sie gegen ihre eigenen Intentionen handeln, und zwar mit einer Selbstgefälligkeit, die sie zu glücklichen Trotteln machen …“ dies merkte André Glucksmann an, ohne dass es 1985 bereits ein Dschungelcamp gegeben hätte.

Der Vergleich von Til Schweiger und Wolfgang Stumph zu Michael Wendler ist absurd. Die einen verkörpern eine schauspielerische Leistung mit tollen Charakterdarstellungen, der andere sozusagen Nichts und Leere, dessen innere Energie deckungsgleich mit der Gage sein dürfte. In solch einem TV-System des Reality-Schrotts werden wir als Zuschauer geradezu dazu erzogen, qualitativ gutes Fernsehen mit der Lupe suchen zu müssen, während wir nach der Quoten-Logik mit Schrott-TV überschwemmt werden. „Dummheit breitet sich aus, anonym, beständig, dominant. Sie behauptet sich kraft ihrer eigenen Mittel, setzt beharrlich den Weg ihrer Logik fort, funktioniert unwillkürlich wie die Ursache ihrer selbst“, so hat André Glucksmann die Wirkungsbeziehungen beschrieben.

Nicht uninteressant ist der untere Rand der Gehaltsskala. Das sind immerhin noch 15.000 € bei Julian Stöckel, den als Designer oder Schauspieler sowieso vor dem Dschungelcamp niemand gekannt hat. Mit solchen Reality-Shows hat sich der neue Typ eines C-Promis etabliert. Auch hier haben sich die Beschäftigungsverhältnisse umgekehrt. Sie schauspielern, singen, modeln; aber in Filmen, in der Hitparade oder auf Laufstegen wird man sie nicht finden, weil sie das Format dazu nicht haben. Anstatt dessen hangeln sie sich von Gelegenheits-Auftritt zu Gelegenheits-Auftritt. Jenny Elvers hatte als C-Promi angefangen, sich dank der Boulevardpresse zum B-Promi hoch gearbeitet, bis sie abstürzte. Die C-Promis bereichern dann das „Perfekte Promi-Dinner“ bei VOX, sie nehmen an Quiz-Shows teil oder sind Star-Gast bei der Eröffnung von Discotheken. Mit solchen Gagen hangeln sie sich gut durchs Leben.

Verkehrte Welt ? Auch hier fällt der Vergleich mit der Seriösität vernichtend aus. Wer eine Schauspielschule besucht hat und auf städtischen Bühnen Dramen von Goethe, Schiller, Brecht, Lessing oder Büchner spielt, der dümpelt dank der chronisch leeren öffentlichen Kassen zwischen 2.000 € und 4.000 € brutto im Monat. Goethe und Schiller setzen ein intellektuelles Niveau der Zuschauer voraus, sie vermitteln Botschaften und zwingen den Zuschauer zum Nachdenken.

Doch dieses Niveau des Geistes vermag kaum noch unsere Köpfe zu durchdringen. Der Geist baut sich indes ab in der Trivialität von Gesprächsinhalten und der Gier nach Sensationen. „Idiotie ist eine feste Wahnvorstellung, unzählige Tagesdummheiten als Episoden aneinander zu reihen … „ so urteilte André Glucksmann. Er setzte noch hinzu: „Was gibt es komischeres als einen zum chronischen Hampelmann degradierten Menschen ?“

Ich ringe nach Erklärung der Unmöglichkeit, dass sich 8 Millionen Zuschauer das Dschungelcamp angetan haben. Zynismus und Pessimismus eines André Glucksmann erheben ihre Faust und treten der Macht der Dummheit entgegen. Die Menschen sind nicht weit davon entfernt, ihren eigenen Verstand zu entsorgen.

Mittwoch, 5. Februar 2014

Formlos (4) - Konrad-Adenauer-Brücke


Diesmal war es nicht der romantische Blick, der mich fesselte.

Dem Büroalltag entgegen schauend, fuhr ich mit dem Fahrrad durch die Rheinaue. Der Morgen kroch in die Wolkendecke hinein. Unter den Brückenpfeilern bog ich ab, der Radweg arbeitete sich die Anhöhe hinauf, schwenkte nach links und vereinigte sich auf der Konrad-Adenauer-Brücke mit der Autobahn A562. Auf sechs Spuren rauschte der Autoverkehr in den Tag hinein, hermetisch abgeriegelt durch eine Leitplanke, wo sich der Fahrradweg seinen eigenen Weg bahnte. Die Wellen des Rheins plätscherten. Abgrundtief unter der Brücke, kamen und gingen Schiffe. Flaggen, deutsche, niederländische, belgische, französische, schweizerische, wehten an den Heckseiten der Schiffe, schwere Motoren wühlten im Fahrwasser. Offen, weltoffen, war der Rhein ein Verkehrsweg verwandter und doch andersartiger Kulturen. Fremde aus vieler Herren Länder hatten den Rhein bereist, sie waren dem Rausch der Burgenromanik verfallen, Dichter und Denker hatte der Rhein inspiriert.

Feuerwehr, Polizei.

Wie in einem Nest, am Ende der Autobahnbrücke, standen sie in enger Formation. Das dauerte noch ein Stück, und daher gab ich mich meiner Stimmung hin, die mich in höhere Sphären hob. Dieser Augenblick auf der Autobahnbrücke kombinierte einzigartig die Fluss- und Berglandschaft. Ein paar Kilometer weiter, bog der Rhein nach rechts, krümmte sich sanft, und darüber baute sich die Kulisse des Siebengebirges auf. Ich hatte mir längst abgewöhnt, die Berge zu zählen, denn es konnten niemals sieben Berge sein. Je nach Blickwinkel, wechselte die Anzahl, und von dieser Position auf der Autobahnbrücke kam das Siebengebirge auf neun bis zehn Berge. „Sieben“ konnte für „Siefen“ stehen – das waren Feuchtgebiete längs Bachläufen, symbolisch für ein einheitliches Ganzes oder nach einer Sage haben Riesen sieben Berge angehäuft, um das Tal von den Fluten des Rheins zu befreien. Während die Namensherkunft ungeklärt war, musterte ich mit meinem Blick die Bergkette, die mich zu allen Tagesstimmungen hinriß. In Nebelschwaden versackend, von einem feuerroten Sonnenaufgang umhüllt, von Schönwetterwolken umkränzt oder vor nassen Regenwolken triefend, schaute ich stets gebannt auf diesen Fixpunkt.

Blaulicht flackerte.

Stau ? Ich riss mich aus meinen Träumen heraus, die ich auf dem Fahrrad viel intensiver erleben durfte als im Auto. Ich schaltete um vom romantischen Landschaftserlebnis auf einen Gefahrenpunkt, den ich in gebotener Langsamkeit zu passieren hatte. Der Autoverkehr floß. Feuerwehr und Polizei verengten die Fahrspuren, doch zwei anstelle drei Spuren reichten. Stadtauswärts dümpelte der Berufsverkehr vor sich hin, alles lief in ruhigen Bahnen. Unfall ? Die handelnden Personen waren merkwürdig. Ich vermisste einen aufsehenerregenden Unfall, Polizisten, die den Hergang des Unfalls auf einem Formular festhielten oder die versteinerten Blicke der beteiligten Autofahrer. Drei Feuerwehren und drei Polizeifahrzeuge hatten sich angestrengt gesammelt. Ihre Blicke konzentrierten sich auf einen leeren Merzedes, der bucklig war und auf sein hohes Alter stolz sein konnte. Vergeblich suchte ich nach einem Blechschaden. Dort war absolut gar nichts zu sehen bis auf die Gespräche, die zwischen Feuerwehr und Polizei ratlos umher irrten.

Weiter ins Büro.

Ich konnte keine endlosen Vermutungen anstellen, denn im Büro wartete meine Arbeit. Eine Zeitlang ging mir die Melodie von „Space Oddity“ von David Bowie durch den Kopf: wie der Major Tom durchs Weltall fliegt, wie die Funkverbindung zur Erde abreißt und wie er dazu verdammt ist, ohne Verbindung zur Außenwelt durchs Weltall zu geistern. Ohne direkten Rheinblick, genoß ich das letzte Stück ins Büro. Das Siebengebirge begehrte ein letztes Mal auf, als sich die Berge wie eine Festung über die Parklandschaft erhoben. Das war auf der Anhöhe am chinesischen Pavillon, der mit seinem neu gedeckten Dach noch gediegener wirkte. Im Rosengarten hatten einige welke Exemplare dem Winter getrotzt. Ich verließ die Rheinaue, mitten hinein in Bürotürme und frühere Ministerien, dessen Zaunanlagen die Eindrücke eines Hochsicherheitstraktes verliehen.

Selbstmord.

Zwei Tage später, als ich unsere Tageszeitung aufschlug, erfuhr ich, was geschehen war. Ein Autofahrer hatte mitten auf der Autobahn gestoppt, er war aus seinem Merzedes ausgestiegen und sich am Brückengeländer mit einem Seil erhängt. Als ich diese Zeilen las, war ich mehr als fassungslos. Ich war ganz dicht an den Abgründen einer Tragödie gewesen. 

Montag, 3. Februar 2014

3 Jahre Blog

Mit 30 steckte mein Leben noch voller Träume, mit 40 kreiste fast alles um Familie und Kinder. Ab Mitte 40 begann ich Tagebücher zu schreiben. Dann meldete sich Kind Nummer drei ungeplant an, die Nächte wurden unruhig, und wir hatten unsere helle Freude an dem ungeplanten Nachwuchs. Zeitgleich schrieb ich weiter drauflos, bis ich vor 10 Jahren Blogs im Internet entdeckte, dessen Form mich faszinierte, Gedanken in loser Form im Internet auszuspeichern.

Knapp über 50, Kind Nummer drei ging in den Kindergarten, die großen Kinder waren erwachsen, so wagte ich eine eigene Blog-Seite. Am 30. Januar 2011 war es schließlich so weit: nachdem ich mich durch all die Layouts durch gewurstelt hatte, stand meine eigene Blog-Seite. „dieter759“ hatte ich mich genannt, weil mir nichts schlagkräftiges eingefallen war. Im  nachhinein muss ich eingestehen: von ein paar Posts abgesehen, finde ich meine ersten Posts grottenschlecht. Die Umstellung von Tagebuchform auf das Blog-Format war groß. Im Tagebuch konnte ich Persönliches niederschreiben, ich konnte monologisieren, ich hatte keinen Leser am anderen Ende des Textes. Meine Gedanken gingen zwar in die Tiefe, aber sie waren eher wirr zusammengeschmissen, so dass ein durchschnittlicher Leser sich nichts darunter vorstellen konnte.

Dabei war mein ersten Post am 30. Januar 2011 durchaus typisch für meine Person: unter der Rubrik „Literatur“ hatte ich etwas über den Roman „Der Bürgermeister von Furnes“ von Georges Simenon geschrieben. Die Non-Maigrets („Die Katze“, „Die Glocken von Bicêtre“, „Die Verlobung des Monsieur Hire“) haben mich quasi ein Leben lang begleitet, weil Simenon solch eine Masse von Romanen geschrieben hat. Und all diesen Romanen ist ähnlich, dass sie aus wenig Handlung bestehen, vielen Alltagsszenen, ganz viel Beobachtungen und dass die Charaktere regelrecht psychologisch zerlegt werden.

Mit Simenon schillert dieses Stück Belgien in mir durch, welches mich ständig aufs Neue fasziniert. Dieses Weglösen von unserem deutschen Grundverständnis, dass alles ordentlich und geregelt sein muss. Belgien ist unkonventionell, mit dem Zusammensein von Flamen und Wallonen geht man offener miteinander um. Öffentliche Plätze und Innenstädte orientieren sich an den Bedürfnissen des Menschen und nicht an einer Maximierung der Verkaufsfläche. Simenon hat seine Kindheit und Jugend in Lüttich verbracht, und dass er die Menschen aus den Alltagsszenen in all ihren Facettierungen darstellt, begleitet seine Romane.

Ab März 2011 habe ich ein halbes Jahr nichts mehr geschrieben, um es im Herbst wieder neu zu versuchen. Ich musste mich selbst sammeln und sortieren, worüber ich schreibe. Es war ein zäher und langsamer Prozess, den Kontakt zu anderen Bloggern aufzubauen. Bis heute verstehe ich nicht, wieso das Bloggen ein absolute Domäne von Frauen ist (gefühlte 95% der Blogger sind Frauen). Dies stört mich sicherlich nicht. Genauso wenig der Umstand, dass Blogs eine Domäne der Fotografen sind.

Bloggen ist Lebensgefühl, Bloggen ist Zuversicht, Bloggen ist positive Energie. Ab Februar 2012 haben einige Texte eine solche Form angenommen, dass sie mir selbst gefielen. Dabei habe ich das Bloggen dazu genutzt, meine eigene Identität zu finden. Ich habe mich in „rheinland-blogger“ umbenannt, weil ich mich zum Rheinland mit all seinen schönen Seiten zugehörig fühle. Ungefähr in einem Verhältnis von 80 zu 20 bediene ich mich dem Text und der Fotografie. Und der Blog soll eine gesunde Mischung sein aus Rheinland-typischen, kritischen und Gedanken anstoßenden Texten.

Meist schreibe ich nicht einfach drauf los, sondern ich versuche, einen roten Faden zu entwickeln. Wenn sich Ideen in meinem Kopf entwickeln, schreibe ich sie nieder. Parallel schreibe ich Gedankenketten aus unserer Tageszeitung, dem SPIEGEL, aus Radiosendungen, aus Radio-Podcasts oder aus anderen Blogs heraus. Zu diesen Ideen recherchiere ich und bilde längere Gedankenketten. Diese fülle ich mit immer mehr Details, bis  ich den Post fertiggestellt habe. Anfangs habe ich fleißig drauf los geschrieben, bis ich feststellte, dass mir nichts mehr zu dem Thema eingefallen war.

Manche Posts fressen mittlerweile sehr viel Zeit – siehe die letzten Posts über Rheinbach, die Krönungsstraße oder Remagen. Das macht mir aber großen Spaß, weil ich tiefer in die Dinge eindringe, mehr in Geschichten denken lerne und mir so Wissen über meine Umgebung aneigne. Dadurch ist die Anzahl der Posts geschrumpft. So habe ich vor einem Jahr noch sechs Posts pro Woche geschafft, nun sind es nur noch drei bis vier. Das ist sicherlich schade für meine Blog-Leser aus dem Ausland (ich denke da vor allem an Frankreich), die meine deutschen Texte nicht verstehen können und maximal nur noch einen Post mit Fotografien betrachten können.

Welches sind die Perspektiven ? Während ich gleichzeitig die Stadt kennen gelernt habe, habe ich einiges über Vorgehensweisen im November letzten Jahres bei Leen und Jan in Leuven / Belgien gelernt (siehe dazu mein Post „Grundsätze des Bloggens“). Einige Themen arbeite nunmehr in Programmen ab, dass ich zu einem übergeordneten Thema Einzeltexte schreibe. „Städte im Rheinland“ ist solch ein übergeordnetes Thema. In Kürze werden meine Radtouren dazukommen, dass ich diese mit weiteren Details aus dem Rheinland ausgestalte (vor allem historische und zeitgeschichtliche Details). Dank Brigitta werde ich weitere Texte zu ihrem Projekt "Formlos" schreiben.

Da ich nur noch drei bis vier Posts pro Woche schreibe, möchte ich meinen Blog aufräumen und übersichtlicher gestalten. Rubriken, die ich für unwichtiger halte, möchte ich rausschmeißen, so dass nur noch 12-15 Rubriken übrig bleiben. Das ist für den Leser einfacher, wenn er unter diesen Kategorien die einzelnen Texte wiederfinden kann, die dann zu dem Oberthema gehören. Auf einen Monatsrückblick werde ich künftig verzichten, zumal ich dieser Rubrik Texte zugeordnet habe, die ich unter „Rest“, „Sonstiges“ oder „Übriges“ gesehen hatte. Bei diesen drei oder vier Posts pro Woche möchte ich gerne über werthaltige Themen schreiben, zu denen sich ein „Rest“ oder „Sonstiges“ oder „Übriges“ genauso verdichten läßt. Zumindest ist mir dies zuletzt mit meinem Post über „Paragraphen“ gelungen.

Jede Menge Ideen warten darauf, in meinen Blog hinein gebracht zu werden. Mit ganz viel Elan und positiver Energie werde ich daher weiter machen. Danke, all Ihr lieben Leser, dass Ihr mir so lange treu geblieben seid. Danke, dass Ihr mit derselben Aufmerksamkeit all meine Posts lesen werdet !

Samstag, 1. Februar 2014

Alte Kapelle

Die Geschichte der Alten Kapelle in Oberkassel steht heute als standhaftes Zeugnis, dass die Reformation sich im Rheinland nicht durchsetzen konnte.  Es war der Kölner Erzbischof Hermann von Wied, der in seiner Amtszeit von 1515 bis 1547 die reformatorischen Ideen  Luthers im Rheinland verbreitete und Melanchton und Bucer predigen ließ. Im Gegensatz zu anderen Ländern, Regionen und Fürstentümern wurden die Ideen der Reformation im Rheinland schlecht angenommen, so dass sich nur wenige evangelische Kirchengemeinden bildeten.1547 zog sich Hermann von Wied resigniert ins Wiedtal zurück. Die darauf folgenden Erzbischöfe verbreiteten wieder die katholische Lehre, so dass es im Rheinland nur wenige evangelische Kirchengemeinden gibt. Eine der wenigen alten evangelischen Kirchen im Rheinland ist die Alte Kapelle in Oberkassel aus dem Jahr 1683.


So sieht die Alte Kapelle von der Königswinterer Straße aus.



Kirchturm, Rundbogenfenster und Aufschriften mit dem Jahresdatum 1683 …


Spruch über der Eingangstüre „Lasset das Wort Christi unter Euch reichlich wohnen in aller Weisheit“ …


Grabplatten auf der Rückseite der Kapelle …


Details auf einer Grabplatte ...


Kirchturm mit Dachgaupe …