Donnerstag, 23. Februar 2012

Testkäufer

Wozu diese Dauerberieselung ? Pausenlos flimmerte der N-TV-Nachrichtenticker hinter dem Postschalter, ungehemmt spuckte der Flachbildschirm Nachrichten aus. Ich wurde darüber informiert, dass die USA die Opposition in Syrien unterstützen wollte, in der Koalition gab es wieder einmal Krach wegen Joachim Gauck. „Verbaselt“ hatte der FC Bayern München sein Champions-League-Spiel, denn er hatte beim FC Basel 1:0 verloren.

Wieso genau im Blickfeld des Postschalters ? Angewidert und belästigt fühle ich mich, dass der Flachbildschirm nun Werbesprüche hervorzauberte: dass ich den Umzugsservice der Post nutzen sollte, dass der Wechsel des Stromanbieters zu Yello ganz einfach war oder dass es eines meiner tiefsten und innersten Bedürfnisse war, mich von meinem Postbank Finanz Center beraten zu lassen.

Glücklicherweise war ich heute schnell an der Reihe – ohne Warteschlange. Zum Schalter vorgearbeitet hatte sich eine junge Dame, die ihren Kinderwagen zurecht gerückt hatte und mit anhimmelndem Blick ihren bombenfest schlafenden Säugling betrachtete.

„Ein Testkäufer“
hörte ich zwei Postangestellte hinter dem Schalter tuscheln.

„Habe ich lange keinen mehr gesehen. Montag war das. Die haben sie nicht mehr alle. In der Teambesprechung stellte unser Chef das so dar, als sei dies das wichtigste auf der Welt … „

Als sich die Dame mit dem Kinderwagen weggedreht hatte, war ich an der Reihe. Über die Postangestellten kann ich nicht meckern. Sie sind bestimmt, offen, meistens freundlich, ich habe sie kaum schlecht gelaunt erlebt und bei alledem, was ich von ihnen wollte, haben sie mir immer weiterhelfen können.

Ich zückte meinen Brief auf die Schaltertheke. Frankieren, bezahlen.

„Haben Sie eigentlich ein Girokonto bei der Postbank ?“
fragte der junge Mann mit dem Lockenkopf und der viel zu steifen, schräg gemusterten schwarz-gelben Krawatte fleißig drauf los.

Ich war irritiert und im ersten Moment sprachlos. Wieso musste ich mich rechtfertigen, dass ich bei einer anderen Bank als bei der Postbank mein Girokonto hatte ? Das ging doch den Angestellten, der mich gerade angesprochen hatte, überhaupt nichts an ? So wie es ihm auch egal war, ob ich bei ALDI, LIDL, Netto oder sonstwo einkaufte.

„Mein Girokonto bei der Postbank habe ich seit 2 Jahren gekündigt“ entgegnete ich.
Um weiteren Rechtfertigungsarien zu entgehen, schob ich nach:
„Sie sind zu teuer. Ich habe zu einer Bank gewechselt, da bekomme ich die Kontoauszüge kostenlos zugesandt, die Kreditkarte ist kostenlos, ich bekomme Guthabenzinsen aufs Girokonto, für den Dispokredit zahle ich 9% Zinsen. Das können Sie mir nicht bieten.“

„Das ist bestimmt eine Online-Bank, bei der Ihr Konto ohne persönliche Beratungsmöglichkeit und ohne jegliches Filialnetz geführt wird“ ließ er nicht locker. In Teilen hatte er Recht. Ich hatte aber aus Überzeugung meine Bank gewechselt. Und ich hatte keinerlei Lust, mit ihm darüber herum zu palavern.

„Stimmt nicht ganz“ entgegnete ich und kehrte mich wortlos vom Postschalter ab.

Im nachhinein deprimierte mich die Situation. Ein unbekannter, anonymer Testkäufer hatte die Gesprächslawine ins Rollen gebracht. Der Postangestellte hatte den Testkäufer nicht auf die Vorzüge eines Girokontos bei der Postbank angesprochen.

Die Unterhaltung empfand ich als verquer: im Smalltalk versucht man bisweilen, seine Mitmenschen mit aufmunternden Floskeln zu erheitern, man wahrt die Form und die Freundlichkeit. Das war kein Smalltalk, sondern Hard-Talk, knallhartes Geschäft, mich mit den Produkten der Postbank beglücken zu wollen.

Ich dachte an der Begriff einer Win-Win-Situation. Eben hatte ich das Gegenteil erlebt, eine Loser-Loser-Situation. Gewinnen konnte der Postangestellte nicht, denn die Anzahl der gewonnenen Kunden für ein Girokonto dürfte wohl im niedrigen einstelligen Bereich liegen. Ich war auch kein Gewinner, denn das Gespräch war ohne Sinn und Inhalt und die Kundenbeziehung mit mir war aufs Erste ruiniert.

Vielleicht hatten andere Kunden am Postschalter mehr Glück. Wenn jemand auf die Idee käme, die Testkäufer langsam von der Bildfläche verschwinden zu lassen.

Dienstag, 14. Februar 2012

Kreuzgang


Bonner Münsterkirche


Hinweistafel Kreuzgang



 Kreuzgang

                                                      
Details

 

 Kreuzgang von innen

Die Insel der Ruhe liegt nur einen Steinwurf entfernt vom pulsierenden Geschäftsleben der Fußgängerzone. Wirft man den Stein in die eine Richtung, träfe man die protzige graue Fassade der Commerzbank, in der anderen Richtung könnte man im Maredo nach Herzenslust schlemmern, bevorzugt Steaks aus aller Welt.

Der Kreuzgang ist ein unscheinbares Anhängsel an der Bonner Münsterkirche. In ihrem Schatten, überragt durch die fünf großen Kirchtürme, abgeschirmt durch den Gebäudekomplex des Münster-Karrées, breitet sich der Kreuzgang in aller Geruhsamkeit aus. Der Kreuzgang der Bonner Münsterkirche zählt zu den am besten erhaltenen romanischen Kreuzgängen nördlich der Alpen. Erbaut im 12. Jahrhundert, blieben wesentliche Teile nach einem Umbau im 13. Jahrhundert bis heute erhalten.

Bei Kreuzgängen denke ich unvermittelt an große, bedeutende Klöster. Beispielsweise an Maulbronn oder Cluny in Burgund. Erste Klostergemeinschaften hatten sich gebildet, als sich Eremiten abseits der Zivilisation zusammenscharten und Gemeinschaften bildeten, die sich an Idealen wie Enthaltsamkeit oder Besitzlosigkeit orientierten. Diesen Gemeinschaften wurden in Orden zusammengefaßt, die ersten Klöster entstanden.


Von der Welt abgekehrt, bildeten sich eigene Prinzipien und Regeln heraus. Dabei hat der Benediktinerorden – der erste große bekannte christliche Orden – insgesamt 73 Regeln formuliert: http://www.kloster-ettal.de/BenediktvonNursia/sites/regula/vitabenedicti_rb_kapuebersicht.html .In späteren christlichen Orden wie den Zisterziensern, den Trappisten, den Dominikanern usw. gab es ähnliche Regelwerke. All diesen Regelwerken gemeinsam war die Armut, die Besitzlosigkeit, der Glaube an Gott, das Gebet oder die Kontemplation, die Einbindung in die Klostergemeinschaft, die Führungsrolle des Abtes usw.

Dabei war der Kreuzgang der Mittelpunkt des Klosterlebens. Dort traf sich die Mönchsgemeinschaft, er war der Mittelpunkt zwischen den umfassenden Ländereien und den Wirtschaftsgebäuden. Man widmete sich dem Gebet, die Mönche wurden unterrichtet, man tauschte sich aus. Nicht zu unterschätzen war die Bedeutung der Klöster, indem sie das Wissen aus der Antike erhielten. Nicht zuletzt ihren Abschriften ist es zu verdanken, dass die Werke von Aristoteles oder Platon überliefert wurden.

Der Kreuzgang des Bonner Münsters hatte eher eine repräsentative Funktion. Geistliche trafen sich dort auch und beteten, doch das Stiftsleben im Bonner Münster war letztlich kein Kloster. Die Schönheit des Kreuzgangs kann sich aber im Vergleich zu bedeutenden Klöstern wie Maria Laach oder Reichenau am Bodensee sehen lassen.

Der Kreuzgang ist auch heute noch eine Stätte der Besinnlichkeit. Kontemplation, Ruhe, zu sich selbst finden, das kann man hier. Leider bin ich zeitlich so streng getaktet, dass ich kaum hierhin finde. Wenn ich diese Zeit brauche, suche ich andere, näher gelegene Stellen – um in mich zu kehren.

Dienstag, 7. Februar 2012

Interview mit Gernot Böhme

In der Badischen Zeitung vom 28. Januar habe ich ein Interview mit Gernot Böhme gelesen. Gernot Böhme ist Philosoph, er bezeichnet sich als Alt-68er und hat ursprünglich Naturwissenschaften studiert (Mathematik und Physik). 1977 wurde er Professor der Philosophie an der TU Darmstadt und er leitet nun das Institut für Praxis der Philosophie.

Die 68er-Bewegung hat aus seiner Sicht im nachhinein nichts bewegt, und in seinem Interview bezieht er Stellung zu Veränderungen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.

Dies sind seine Thesen zur Veränderung:

Die großen politischen und sozialökonomischen Fragen ändern sich nicht. Im Kleinen, in regionalen Projekten und Bürgerinitiativen lässt sich etwas verändern.

Für das Große muss man resignativ sagen, es ist eine völlige Illusion zu glauben, dass wir unser politisches und wirtschaftliches System auf absehbare Zeit verändern werden.

Der erwachsene Mensch muss sich um sich selbst kümmern und sich selbst entwickeln. Ich würde dabei aber eher von Entwicklung reden als von Veränderung. Die eingefahrenen Verhaltensweisen des Menschen muss man ändern, das ist richtig.

Der Zugang vom Konsumenten her ist der richtige. Aber auch da bin ich der Meinung, dass das ein Ansatz im Kleinen ist. Man kann einen Familienstil im Konsum entwickeln, das kann in Summe vielleicht sogar eine allgemeine Wirkung haben, wenn sich viele anstecken lassen. Aber man bekommt dadurch das System von Politik und Wirtschaft nicht in den Griff.

Veränderungen gehören nicht zum Wesen der Politik: sie kommt nicht zur Vernunft, sondern muss zu ihr getragen werden.

Wir setzen Veränderungen zu sehr mit Steigerungen und Verbesserungen gleich. Deshalb sind die wirklich nachweisbaren großen Veränderungslinien technischer oder wirtschaftlicher Natur. Da erleben wir diese Steigerungskurven.

Angesichts der rapiden Veränderungen, die uns gerade auf dem Gebiet der Technologie dauernd bedrängen, wünsche ich uns eher eine Bewahrung.

Bewahrung von Humanität: Wir müssten eigentlich darauf drängen, das, was das menschliche Dasein ausmacht, im Prinzip gleich bleiben zu lassen, es geradezu vor Veränderungen zu beschützen.

Bei den Menschenrechten ist die moralisch-juristische Existenz geschützt worden. Eine leibliche Existenz stand gar nicht zur Debatte. Aber auf diesem Bereich ist die Menschenwürde heute bedroht, vor allem durch biologischen, medizinischen und technologischen Fortschritt.

Die persönliche, gesellschaftliche, moralische Motivation muss da ansetzen, wo man steht, das heißt in den erreichbaren Verhältnissen.. Dort muss man lernen, Veränderungen zu initiieren. Das funktioniert ja auch, vielleicht mit der Perspektive der Ansteckung anderer Gruppen und einer langfristig größeren Wirkung.

Seine Thesen entsprechen in großen Teilen dem, was ich selbst persönlich erlebt habe. Im Kleinen, in der Familie, im Verein usw. gibt man sich zum Teil sehr viel Mühe, Dinge zu verändern. So pflanzen wir in unserem Nutzgarten eigenen Salat und eigenes Gemüse, und wir finden durchaus Nachahmer. Auf dem großen Parkett hingegen werden gesellschaftliche und politische Machtpositionen ausbalanciert, was mit den Veränderungen im Kleinen nichts zu tun hat.

Größere Veränderungen von oben - entstanden aus dem Veränderungswillen im Kleinen – sind eher selten. Dies ist dann ein Umsturz oder eine Revolution. Das gab es in der damaligen DDR 1989. Kleine Revolutionen sind für mich der Atomausstieg nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima, das auf der Kippe stehende atomare Endlager in Gorleben oder das, was die Frauenbewegung erreicht hat. Dort sind die Bewegungen im Kleinen entstanden, denen die Veränderungen im Großen gefolgt sind. Leider kommt dies in Summe zu selten vor, trotzdem sehe ich Gernot Böhms Thesen zur Veränderung nicht ganz so pessimistisch.

Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass die Geschwindigkeiten der Veränderung nicht zusammenpassen. Was durch technologische Entwicklungen getrieben ist, kann eine ungeheure Dynamik entfalten. Der Mensch verändert sich hingegen in kleinen Schritten, ganz langsam, Stück für Stück.

Letztlich sollte der Mensch das Maß aller Dinge bleiben – wie einst der griechische Philosoph Sokrates gesagt hatte.

Donnerstag, 2. Februar 2012

Abriss


Das Einzelschicksal kenne ich nicht. Das Haus steht leer, man hat es vergammeln lassen. Um das Unkraut hat man sich nicht gekümmert. Nun wuchert es an der linken Fensterfront hoch. Im Dornröschenschlaf dämmert dieses Haus vor sich hin und wartet auf den Abriss. „Hier entstehen demnächst hochwertige Eigentumswohnungen mit Aufzug“,  so verheißt das Plakat das Schicksal dieser Immobilie. Ein Bauzaun ist ein erster Vorbote des kommenden Abrisses …

Eine ehrwürdige Vergangenheit sieht man dem Haus an. Dieser Altbau, ein stolzes Bürgerhaus, prächtig hätte es aussehen können, wenn man eine Renovierung zustande gebracht hätte. Viel Mühe und Detailarbeit hatte man in das Haus hinein gesteckt: die geschwungenen Bögen des schmiedeeisernen Zaungitters, die sorgfältig ineinander geschichtete Ziegelsteinfassade, der Giebel. So geschwungen, wie die Form des Giebels nach oben gleitet, erinnert er sogar an Hansestädte wie Lübeck, Stralsund oder Brügge. Hohe Decken müssen dem Altbau ein behagliches Wohngefühl verliehen haben. Zu renovieren, war wahrscheinlich zu aufwändig und teuer. Nun sieht dieses stolze Haus dem drohenden Abriss entgegen.

In einer Top-Lage in Rheinnähe, soll die Immobilie als Neubau wieder zu neuem Leben erweckt werden. Käufer, die speziell den Rheinblick begehren, müssen bei einer solchen Immobilie da wohl eine Stecknadel im Heuhaufen suchen. In Blickweite fließt der Rhein gemächlich dahin. In der einen Richtung kann der freie, ungetrübte Blick zum Siebengebirge schweifen. In der anderen Richtung stoßen in der Rheinaue die Türme des Posttowers und des Abgeordnetenhauses heraus, dahinter buckelt sich der Kottenforst in die Höhe. Die Lage ist phantastisch. 5 Gehminuten benötigt man zu Geschäften und Supermärkten. In dem beschaulichen Ortskern können sogar einige alte, herausgeputzte Fachwerkhäuser bestaunt werden. Liebes Käuferherz, was willst du mehr ?

Ich kann nur spekulieren, wieso es zu dem Hausverkauf gekommen ist. Vielleicht ist der Bewohner gestorben, und die Kinder wohnen in einer entfernten Ecke der Republik. Vielleicht hat der Bewohner in einem Pflegeheim gewohnt, und die Immobilie ist für den Unterhalt im Pflegeheim draufgegangen. Vielleicht haben sich auch Dramen in dem Haus abgespielt: Schulden, Insolvenz, die Eigentümer konnten die Hypothek nicht mehr bezahlen, und sämtliche Versuche scheiterten, das Haus zu halten. Oder Zank, Streit, Ehescheidung: die Eheleute hatten den Ort des ständigen Zankes so satt, dass sie ihn nur noch wegwerfen wollten.

Das Umfeld der für den Abriss bestimmten Immobilie kann sich sehen lassen. Nebenan protzt eine prächtige Villa, umgeben von einem reichen Baumbestand. Kiefern wachsen in den Himmel und reichen bis zur Straße. In der anderen Richtung versteckt sich auf einer Anhöhe die katholische Kirche: mit seinem geduckten Turm aus der romanische Epoche fügt sich die Rheinpromenade zu einem harmonischen Gesamtbild zusammen. Neu gebaute Eigentumswohnungen stören allenfalls punktuell.

An den neu gebauten Eigentumswohnungen wird so mancher verdienen. Allen voran Baufirmen, Architekten, Ingenieure, Notare. In ähnlichen Lagen gibt es Eigentumswohnungen, die mit 80 qm Wohnfläche für 225.000 € angeboten werden. Wenn 8-10 Eigentumswohnungen auf dem Grundstück untergebracht werden können, verdient ein Makler nicht unerheblich daran. Dies macht etwa 60.000 – 65.000 € aus, wenn der Makler den üblichen Satz von 3% Provision abkassieren kann. Abziehen muss man zwar Kosten für Büro, Einrichtung und Sekretärin, danach bleibt trotzdem ein erklecklicher Anteil übrig. Für einen Porsche wird dies nicht reichen, aber für einen Van oder für eine Fernreise reicht dies allemal. Und ein Makler verkauft ja nicht nur diese eine Immobilie.



An dem abgerissenen Haus werden Erinnerungen haften bleiben. Da kann ich nur spekulieren. Kinder werden in dem Haus aufgewachsen sein. Man wird sich gefreut und gelacht haben. Man wird Geburtstage gefeiert haben. Bei Familienfesten hat man getrunken, gegessen und gelacht. Möbel, vielleicht antike Möbel haben zur Inneneinrichtung gehört. Vielleicht wären die Kinder gerne zu dem Ort zurückgekehrt, wo sie aufgewachsen sind. Geht nicht mehr. Abgerissen.