In der Badischen Zeitung vom 28. Januar habe ich ein Interview mit Gernot Böhme gelesen. Gernot Böhme ist Philosoph, er bezeichnet sich als Alt-68er und hat ursprünglich Naturwissenschaften studiert (Mathematik und Physik). 1977 wurde er Professor der Philosophie an der TU Darmstadt und er leitet nun das Institut für Praxis der Philosophie.
Die 68er-Bewegung hat aus seiner Sicht im nachhinein nichts bewegt, und in seinem Interview bezieht er Stellung zu Veränderungen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.
Dies sind seine Thesen zur Veränderung:
Die großen politischen und sozialökonomischen Fragen ändern sich nicht. Im Kleinen, in regionalen Projekten und Bürgerinitiativen lässt sich etwas verändern.
Für das Große muss man resignativ sagen, es ist eine völlige Illusion zu glauben, dass wir unser politisches und wirtschaftliches System auf absehbare Zeit verändern werden.
Der erwachsene Mensch muss sich um sich selbst kümmern und sich selbst entwickeln. Ich würde dabei aber eher von Entwicklung reden als von Veränderung. Die eingefahrenen Verhaltensweisen des Menschen muss man ändern, das ist richtig.
Der Zugang vom Konsumenten her ist der richtige. Aber auch da bin ich der Meinung, dass das ein Ansatz im Kleinen ist. Man kann einen Familienstil im Konsum entwickeln, das kann in Summe vielleicht sogar eine allgemeine Wirkung haben, wenn sich viele anstecken lassen. Aber man bekommt dadurch das System von Politik und Wirtschaft nicht in den Griff.
Veränderungen gehören nicht zum Wesen der Politik: sie kommt nicht zur Vernunft, sondern muss zu ihr getragen werden.
Wir setzen Veränderungen zu sehr mit Steigerungen und Verbesserungen gleich. Deshalb sind die wirklich nachweisbaren großen Veränderungslinien technischer oder wirtschaftlicher Natur. Da erleben wir diese Steigerungskurven.
Angesichts der rapiden Veränderungen, die uns gerade auf dem Gebiet der Technologie dauernd bedrängen, wünsche ich uns eher eine Bewahrung.
Bewahrung von Humanität: Wir müssten eigentlich darauf drängen, das, was das menschliche Dasein ausmacht, im Prinzip gleich bleiben zu lassen, es geradezu vor Veränderungen zu beschützen.
Bei den Menschenrechten ist die moralisch-juristische Existenz geschützt worden. Eine leibliche Existenz stand gar nicht zur Debatte. Aber auf diesem Bereich ist die Menschenwürde heute bedroht, vor allem durch biologischen, medizinischen und technologischen Fortschritt.
Die persönliche, gesellschaftliche, moralische Motivation muss da ansetzen, wo man steht, das heißt in den erreichbaren Verhältnissen.. Dort muss man lernen, Veränderungen zu initiieren. Das funktioniert ja auch, vielleicht mit der Perspektive der Ansteckung anderer Gruppen und einer langfristig größeren Wirkung.
Seine Thesen entsprechen in großen Teilen dem, was ich selbst persönlich erlebt habe. Im Kleinen, in der Familie, im Verein usw. gibt man sich zum Teil sehr viel Mühe, Dinge zu verändern. So pflanzen wir in unserem Nutzgarten eigenen Salat und eigenes Gemüse, und wir finden durchaus Nachahmer. Auf dem großen Parkett hingegen werden gesellschaftliche und politische Machtpositionen ausbalanciert, was mit den Veränderungen im Kleinen nichts zu tun hat.
Größere Veränderungen von oben - entstanden aus dem Veränderungswillen im Kleinen – sind eher selten. Dies ist dann ein Umsturz oder eine Revolution. Das gab es in der damaligen DDR 1989. Kleine Revolutionen sind für mich der Atomausstieg nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima, das auf der Kippe stehende atomare Endlager in Gorleben oder das, was die Frauenbewegung erreicht hat. Dort sind die Bewegungen im Kleinen entstanden, denen die Veränderungen im Großen gefolgt sind. Leider kommt dies in Summe zu selten vor, trotzdem sehe ich Gernot Böhms Thesen zur Veränderung nicht ganz so pessimistisch.
Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass die Geschwindigkeiten der Veränderung nicht zusammenpassen. Was durch technologische Entwicklungen getrieben ist, kann eine ungeheure Dynamik entfalten. Der Mensch verändert sich hingegen in kleinen Schritten, ganz langsam, Stück für Stück.
Letztlich sollte der Mensch das Maß aller Dinge bleiben – wie einst der griechische Philosoph Sokrates gesagt hatte.
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