Unterführung mit Wandmalerei |
Gäbe es nicht die Stadtwerke, dann würde die Stadtlandschaft an manchen Stellen in einer heillosen Wüste aus Beton, Blech und Plastik versinken. Unscheinbare Kästen, rechteckig, platt, emotionslos, vollgespickt mit der Technik von Stromverteilungen, werden zum echten Hingucker, wenn sie bemalt sind und die Schönheiten der Stadt zeigen. Auch an Bushaltestellen hübschen die Wandmalereien die Warterei auf – und vertreiben die Tristesse. Eine Unterführung wird zum wahren Erlebnis der Malerei - so in der Fußgängerzone. Und sie erzählt eine Geschichte vom doppelten Leid und von einer doppelten Zerstörung.
Gertrud von Nivelles, 625 südlich von Brüssel geboren, wanderte als Jugendliche nach Franken aus, und gründete dort im Erwachsenenalter ein Benediktinerinnenkloster. Später, das war 652, kehrte sie nach Nivelles zurück, und wurde dort Äbtissin desjenigen Klosters, das ihre Mutter zuvor gegründet hatte. Sie war eine hoch gebildete Frau, sie befasste sich mit den christlichen Schriften, die auf der Bibel aufsetzten. Nivelles machte ihr Kloster zu einem Zentrum christlichen und abendländischen Denkens, indem sie Abschriften aus Rom kommen ließ, wie die Bibel auszulegen war, und sie gewann irische Mönche, damit das christliche Denken in neue Dimensionen vorstoßen sollte. Heilig gesprochen wurde sie, da sie Armen- und Krankenhäuser bauen ließ und eines der erste Pilgerhospize errichtete. Sehr jung, im Alter von 33 Jahren, starb sie.
Stiftskirche St. Gertrud in Nivelles; Quelle Wikipedia |
Nach einer Legende machte sie Schluß mit einer Ratten- und Mäuseplage. Überall krochen Ratten und Mäuse aus Löchern und Ritzen hervor, sie drangen in Häuser ein, und selbst Scharen von Katzen konnten die Plage nicht eindämmen. Ratten und Mäuse machten sich über die Felder her, sie fraßen das Korn, und sie fraßen die Vorräte in den Kellern. In dieser Not betete Gertrud von Nivelles: mit einem Male verschwanden Mäuse und Ratten - und sie wurden nie mehr gesehen. Viele Heilige haben ihr Spezialgebiet – Laurentius schützt vor Feuer, Hubertus schützt die Förster, Rochus schützt vor der Pest. Und die Heilige Gertrud schützt neben Ratten und Mäusen auch vor Ungeziefer. Also können diejenigen Haushalte aufatmen, in denen eine Gertrud wohnt, denn dann haben sie keinen Ärger mit Wespen, Motten, Küchenschaben, Kakerlaken, Wanzen und all diesen Insektenschwärmen, auf die jeder gut verzichten kann.
Die Heilige Gertrud hat sich im Rheinland durchaus verbreitet, so in Düsseldorf, in Herzogenrath bei Aachen oder in Essen. Und in Bonn. Ihr wurde eine Kapelle geweiht, die Gertrudiskapelle, die 1258 erstmals erwähnt wurde. Sie stand in Rheinnähe nicht weit entfernt vom Alten Zoll.
Wandmalerei Gertrudiskapelle (1) |
Doppeltes Leid und doppelte Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. 1940 überrollte Hitler die Benelux-Staaten, um sich im Westfeldzug beim Erzfeind Frankreich zu revanchieren für die Schlappe der 1918er-Niederlage. Belgien geriet dabei zur Spielwiese des Krieges, um im Aufmarschgebiet Belgiens die Angriffslinien des Heeres frei zu bekommen. Im Mai 1940 wurde die Lage prekär, da es in Nivelles einen Flughafen der belgischen Luftwaffe gab, wo die Deutschen auch französische Flugzeuge vermuteten. Eine Aufforderung zur Kapitulation am 10. Mai 1940 ignorierten die Bürger aus Nivelles. Daraufhin bombardierte die Luftwaffe am 14. Mai 1940 die komplette Altstadt Nivelles samt der romanischen Kirche aus dem Jahr 1046, die andere Bauformen hatte als Maria Laach, aber mit ihren Ausmaßen und ihrem ausladenden Westwerk durchaus damit verglichen werden konnte. Gleichzeitig wurde mit der Bombardierung der vergoldete Reliquienschrein aus dem Jahr 1298 zerstört, der die Gebeine der Heiligen Gertrud aufbewahrte. Erst 1982 wurde dieser durch einen neuen Schrein aus Silber ersetzt.
Freude, Joy, Joie – so optimistisch geleitet die Wandmalerei durch die Unterführung in der Bonner Fußgängerzone. Das frische Grün des Siebengebirges haftet auf sprödem Beton, das Motto „weil Flair unbezahlbar ist“ wehrt sich gegen die Ausdruckslosigkeit. Beethoven und der Rhein tun ihr bestes, die Optik dieser düsteren Stelle aufzuwerten. Es ist die Kraft der Farben, die den wild daher gekraxelten Buchstaben „Z“ „U“ „M“ Flügel verleiht, so als hätte der blaue Geist aus der Sprühdose ganze Arbeit geleistet.
Und im Kreis der Wandmalerei rund um den Rhein, der Stadt und dem Schwung der Farben steht die Gertrudiskapelle, ein kleiner Bau in magerem Rosa, mit hohen gotischen Fenstern und nach oben gerichtetem Dach. Ratten krabbeln am Gewand, so dass die Heilige Gertrudis gleich im Gesamtpaket Schutz gegen Ratten, Mäuse und Ungeziefer aller Art anbietet. Am Fuß der Kapelle lese ich: „die Gertrudiskapelle stand bis zum 18. Oktober 1944 in Bonn am Rhein … „ Der düstere Ort der Unterführung verläuft weiter zur Oper, zum Alten Zoll, und ein Stück davor lag die Gertrudiskapelle.
Wandmalerei Gertrudiskapelle (2) |
Doppeltes Leid und doppelte Zerstörung. Am 14. Juni 1940 eroberte die deutsche Wehrmacht Paris, mit der französischen Kapitulation am 17. Juni 1940 dehnte Hitler deutsches Territorium bis zum Atlantik aus. Mit der Landung in der Normandie schlugen die Alliierten vier Jahre später zurück. Ohnehin hatte längst der Bombenkrieg auf deutsche Städte eingesetzt, der auch die Bonner Altstadt nicht verschonte.
Nachdem die Gertrudiskapelle am 18. Oktober 1944 zerstört wurde, entschieden die Verantwortlichen in den 1950er Jahren, die Kapelle nicht wieder aufzubauen. In Rheinnähe gelegen, wurde das Gelände aufgeschüttet, um Hochwasserschutz zu schaffen und mit Wohnhäusern bebaut. Im Jahr 2010 ist es der hartnäckigen Initiative eines Travestie-Künstlers zu verdanken, dass kleine Reste der Kapelle noch gerettet werden konnten.
In diesem Jahr wurde die Wohnbebauung aus den 1950er Jahren abgerissen und durch einen postmodernen Wohnkomplex ersetzt, der ein wenig wie die Kranhäuser im Kölner Rheinauhafen aussehen sollte, aber neben dem historischen Ambiente des Alten Zolls vollkommen missraten aussah.
Dazu musste all das, was in den 1950er Jahren als Hochwasserschutz aufgeschüttet wurde, wieder ausgehoben werden. Das waren Trümmer und der Schutt aus dem Zweiten Weltkrieg, und dem Travestie-Künstler gelang es, Archäologen von der Stiftung Denkmalschutz zu mobilisieren, so dass in aller Seelengeduld gebuddelt und jede Scherbe seziert wurde. Im Umfeld des Zweiten Weltkrieges, was so alles zerstört worden war, waren die Ergebnisse eher bescheiden: ein Bildstock konnte rekonstruiert werden, Steine aus dem Fundament wurden geborgen, nicht zuordenbare Mauerreste.
Immerhin: die Suche nach dem gemeinsamen erlittenen Leid verband die beiden Städte. Aus Trümmerstücken der Bonner Gertrudiskapelle und der Stiftskirche von Nivelles in Belgien wurde eine Kreuzrose geformt. Sie steht nun an derjenigen Stelle, an der sich die Gertrudiskapelle bis zu ihrer Zerstörung befand.
Ich konnte so schnell keine e-mail-adi von Dir ausfindig machen, daher auf diesem Weg alles Gute für 2015 - mit der fürsorglichen Meldung - heute, ZDF, 12.40 h - DREI MANN IN EINEM BOOT (nur für alle Fälle wollte ich es erwähnt haben) - mach's gut - und bleibe gesund und schreibe weiterhin so interessant.
AntwortenLöschenSpannende Gesichten! Von St. Gertrudis habe ich schon gehört, gewusst habe ich aber nicht viel über sie, und von ihrer Rolle als "Rattenfängerin" erst recht nicht. Gerade Legenden mag ich sehr gerne. Sehr interessant fand ich, das ein Travestie-Künstler sich so für den Erhalt der Kapellen-Reste eingesetzt hat, er scheint irgendeinen Bezug dazu zu haben.
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