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Quelle: www.olivergeissen.de |
Diesmal war vieles anders. Das Publikum war eingeteilt in die Kategorien R, A, B und F. Das Kürzel R stand für Redaktionsgäste, A und B für zahlendes Publikum, F für Freikarten. Zu dieser letzten Kategorie F gehörte wir, denn eine Woche vorher waren uns Freikarten angeboten worden. Der Ticketservice hatte uns angerufen, dass noch kostenlose Restkarten gab für die Fernsehshow „Die beliebtesten Lovesongs“ mit Oliver Geissen übrig waren. Dankend hatte wir zugesagt, denn die bisherigen TV-Aufzeichnungen mit Bernd Stelter (NRW-Duell) oder Jörg Thaddäus (Durchgedreht) waren ein schönes Erlebnis gewesen.
Vieles war anders. Taschen mussten wir an der Garderobe abgeben. Die Einlaßkontrolleure zum Fernsehstudio waren penibel, denn sie kontrollierten genau die Reihenfolge R, A, B, F. Manche Zuschauer waren ungeduldig, hatten sich nach vorne gedrängelt. Wartende mussten zur Seite treten, Zuschauer mit der richtigen Kategorie mussten sich von hinten nach vorne durchwursteln. Das war mühselig, Durcheinander und Chaos entstand, so dass der Einlaß mehr als eine halbe Stunde länger dauerte. Die Treppe hinauf zur Zuschauertribüne. Die Aussicht auf die Bühne war prächtig, obschon wir in der letzten Reihe saßen.
Ein Langhaariger, der sich selbst als Opa bezeichnete, aber vielleicht Mitte vierzig war, studierte den Applaus ein. Er fragte ins Publikum hinein, wer verliebt, wer mit Partner, wer getrennt, wer ohne Partner, wessen Partner zu Hause war. Ein Paar schloß er in sein Herz, das im August heiraten würde, und überschüttete es mit Glückwünschen.
Als Oliver Geissen auf der Bühne erschien, der Jubel des Publikums ihn umrauschte und seine Showgäste erschienen, da spürte ich diese Unnahbarkeit. Zwischen RTL und ARD/ZDF lagen Welten. Bernd Stelter und Jörg Thaddäus (ARD/ZDF): vor der Aufzeichnung hatten sie das Publikum begrüßt. Das war ein Akt der Wertschätzung, indem sie die Showgäste ankündigten, den Kontakt zum Publikum suchten und dafür gerade standen, dass alle gut unterhalten würden.
Oliver Geissen befand sich in einem Konstrukt von Elfenbeinturm, denn er suchte keine Worte der Begrüßung, bewegte sich nicht ins Publikum hinein, wirkte abseits der Bühne scheu, schottete sich ab. Er setzte auf Attraktionen und kündigte seine Show-Stars an: drei Show-Acts sollten Live zu sehen sein, zwei waren aufgezeichnet. Für mich sollte dies eine neue Welt sein, denn seit ungefähr Anfang der 90er Jahren waren meine Kenntnisse zeitgemäßén Pop-Musik verblaßt. Als ich in die Zuschauertribüne schaute, stellte ich ohnehin fest, dass meine leicht ältere Altersklasse wenig vertreten war.
Die Bühne öffnete sich. „Blue“ – wovon ich vorher nie gehört hatte – sang „Sorry seems to be the hardest word“. Mittzwanziger kreischten um mich herum, was mir fremd vorkam, denn die Elton-John-Version gefiel mir deutlich besser. Das Kreischen wurde besonders intensiv, als ein Schwarzer das Mikrofon ergriff und bestimmte Passagen sang. Später folgte „I need your love“, das aufgezeichnet war und ebenso gecovered war. Lichtjahre lagen zwischen dem Original von den Righteous Brothers und der Cover-Version. „Blue“ war nur ein blasser Abklatsch. Als die Zuschauer allesamt von ihren Sitzen aufstanden und frenetisch mitklatschten, träumte ich und meine Gedanken schweiften fernab von der Bühne.
Der Langhaarige, der sich als Anhängsel der 68er-Generation verstand, war publikumsnäher als Oliver Geissen. Er untermalte die Werbepausen, suchte den Blickkontakt zu Zuschauern älteren Semesters, fühlte sich verbnden mit ihnen, beschwor alte Zeiten hervor. Er scherzte über die Feindschaft zwischen Köln und Düsseldorf, wobei er lobend eine Kollegin aus Düsseldorf vorstellte. Dass er sich so ins Publikum mischte, wäre bei Oliver Geissen undenkbar gewesen. Er war nicht nur unterkühlt und hanseatisch, denn er kam ursprünglich aus Hamburg. RTL,sein Sender, der seinen Vertag seit April für weitere zwei Jahre verlängert hatte, war effektiv eine andere Kultur als ARD oder ZDF. RTL konnte auf direktem Weg die Erfolgsrechnung machen: nämlich Einschaltquote mal Werbeeinnahme minus Produktionskosten.
Das dominierte die Sendung, obschon sie nicht schlecht beziehungsweise einfallsreich gemacht war. Oliver Geissen mied das Publikum. Er kam mir vor wie ein Versicherungsvertreter, der gerade seine Provision nach einem Vertragsabschluss kassierte hatte und dem der Kunde anschließend egal war. Er unterhielt sich fleißig mit seinen Gästen – das waren Barbara Wussow plus Ehemann und ein anderes mir unbekanntes Paar . Er ließ sich auf ein niedriges Niveau der Unterhaltung herab, indem er Rihanna mit einem Knutschfleck zeigte. Wen interessiert so etwas ?
Der Tiefpunkt seiner Show war Joey Heindle (den Sieger des Dschungelcamps), den er während der 25 beliebtesten Lovesongs permanent zu Wort kommen ließ. Seine infantilen Sprüche zogen das Niveau der Show um Größenordnungen nach unten: „Boah, Mann, ich bin gut drauf“ oder „Liebe ist wie bei einer Geburt. Welcher Redakteur hatte es zugelassen, ihn dermaßen oft zu Wort kommen zu lassen ?
Oliver Geissen ließ die anderen machen. Animationen und Zeichentrickfiguren untermalten die 25 beliebtesten Lovesongs, aus denen allerlei Geschichten zur Liebe erzählt wurden. Erste Liebe, Erster Kuß, das Gefühl des Verliebtseins, Trennung, Schmerz, Knutschen, Flirten, Liebeskummer, Tränen, Treue, wie Kino- oder Konzertbesuche die erste Liebe begleiteten, darum ging es. Das war nicht besonders tiefsinnig, ich kramte ein wenig in meiner eigenen Vergangenheit herum. Meine erste Liebe lag zu weit zurück, dass ich sie in so lebhafter Erinnerung behalten hatte.
Die Show plätscherte. Es waren auch gute Love Songs dabei, sogar der erste auf dem 25. Platz. Für einen viel zu kurzen Augenblick wurde U2 auf dem Großleinwand eingeblendet. Bono sang mit seiner ekstatischen Stimme „One Love“. Die meisten Stücke wurden nur als Kurzversion eingespielt. Zwei Stücke waren zuvor live aufgenommen worden. Drei Gruppen spielten Live, das waren „Blue“, „Revolverheld“ und die dritte Gruppe traf voll meinen Geschmack – ich habe mir allerdings nicht ihren Namen merken können. Das war eine Neuauflage von U2, denn der Sänger sang ähnlich ätherisch wie Bono von U2, die Keyboards waberten. Ich fühlte mich nach 1984 zurückversetzt, als ich U2 Live in Köln erlebt hatte.
Die Show von Oliver Geissen hatte also auch starke Szenen. Ich musste feststellen, dass Oliver Geissens ultimative Chart Show ein Nischendasein führte. Er hatte effektiv keine Konkurrenz, beugte sich dem Publikumsgeschmack und driftete in die seichten Gewässer der Unterhaltung. Wehmütig dachte ich an längst verblaßte Rockpalast-Zeiten, als es noch wirkliche Konkurrenz bei Musiksendungen gab. Es reichte, wenn er sich auf Augenhöhe mit seinen Show Acts bewegte. Er spulte sein Programm herunter. So wie Joey Heindle, hätte er auch lauter Unsinn daherreden können, die Show hätte trotzdem gezündet.
Die Nummer Eins war keine Enttäuschung, genauso wie mein Gesamteindruck – trotz aller Niederungen. „Let her go“ von Passenger hatte ich irgendwo aufgeschnappt, und mit der griffigen Stimme des Sängers gefiel mir das Stück. War die Nummer Eins berechtigt ? Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre es vielleicht Metallica mit „Nothing else matters“ gewesen oder die Scorpions mit „Still loving you“. Ich bin eh nicht repräsentativ für den deutschen „Lovesong“-Geschmack.
Mit viel Tamtam und Aufwand und Riesenblumensträuße für die Damen ging die Show auf der Bühne zu Ende. Das Starensemble stand in abgemessener Entfernung zum Publikum. Am Ende der Show entschwand Oliver Geissen - ungesehen und unnahbar wie während der Show. Am 31. August wird diese Show um 20.15 Uhr auf RTL zu sehen sein.