Sonntag, 28. Juli 2013

Plakate unter der Autobahnbrücke


Die Normalität ist blass und grau. Zweimal täglich unterquere ich die Normalität, die sich unter die Autobahnbrücke zwängt. Die Normalität hängt im Klammergriff von roten Ampeln, Hektik, Lärm und Verkehrsstau, der sich vor der Autobahnauffahrt quält. Das ist kein Ort, an dem romantische Gefühle aufkommen, wenn mein Fahrrad unter die graue Wirklichkeit der Autobahnbrücke rollt.

Die verwaschenen Grautöne der Betonwand, die einen trüben Novembertag prägen könnten, werden zum Stil und zum Hintergrund für Plakate. Das hat seine Ordnung. Werbeflächen können über eine Hotline angemietet werden. Ich passiere einen Spiegel des Musikgeschehens, der sich in der Ahnungslosigkeit der Unterführung verliert. Ich muss hinsehen. Die Plakate trotzen Graffitis, ihre poppigen Farben grenzen sich klar gegen zerfallende Stimmung des Betons ab.

Großbuchstaben kündigen große und kleine Namen an. Deep Purple und Santana: das sind Musiklegenden, die kaum zu toppen sind. Gruppen wie Santiano oder Calexico kenne ich nicht – dennoch können unbekannte Gruppen hörenswert sein.

Die Plakate durchmischen meine Phantasie mit der Musik, sie wecken Erinnerungen wach. Neue Ideen entstehen, mit den Klangeindrücken der Musik, die ich mir vorstelle, wechselt die Perspektive. Die Musikkonzerte zu besuchen, dazu fehlt mir der Antrieb – trotz großer Namen wie Deep Purple oder Santana. Jedenfalls ziehe ich meinen Hut vor solchen Rockgrößen wie Ian Gillan oder Carlos Santana, die mit Mitte 60 noch die Massen begeistern. Ihre exzellente Musik ist nachdrücklich in meinem Gedächtnis haften geblieben.


„Smoke on the Water“ oder „Oye como va“ – solche Hymnen werden mich ein Leben lang begleiten. Dennoch habe ich seit ca. einem Jahr die Musik anders in meinem Blog positioniert. Seitdem nehme ich Musik mehr als positive und inspirierende Nebengeräusche wahr und weniger als eigentliches Blogthema. Mit „Hurricane“ oder „Tales of Mystery and Imagnation“ hatte ich eigene Musik-Posts geschrieben. Mit meiner neuen Blog-Identität „rheinland-blogger“ war mir die Entfernung zur Musik zu groß geworden, es sei denn, ich hätte diverse Posts über BAP, die Bläck Fööss oder die Höhner geschrieben.

Gerne lasse ich mich von der Musik berieseln. Heute Abend im Autoradio auf der A555 zwischen Wesseling und Bornheim. Die Sonne war untergegangen. Die letzten Reste des Tageslichts strichen gegen die Hänge des Vorgebirges. Reihen von Hochspannungsmasten marschierten auf den blassen und eingedunkelten Feldern und schoben sich über das lange Band der Autobahn. Das Zupfen an der Gitarre elektrisierte mich, dann Schweigen und Stille, bis sich das Zupfen intensivierte, der Bass setzte ein, kurz darauf Don Henleys Stimme. „One of these Nights“ von den Eagles untermalte die prächtige Stimmung des schwindenden Abends.

Ich muss meine Posts straffen, und dabei sind die Musik-Blogs auf der Strecke geblieben. Die Plakate unter der Autobahnbrücke sind Indikation, was ist und was sein könnte. Ihre Komposition ist interessant wie eine Tageszeitung, da sie mit einem Schlag Einblick in das Kulturgeschehen bietet. Eigene Musik-Blogs, dazu müsste ich auch recherchieren, Geschichten rund um die Musik basteln, die Texte nach Werthaltigkeit sortieren (die bei Deep Purple oder Santana oberflächlich und nichtssagend sein können). Viele Texte widersprechen ohnehin meinem eigenen Anspruch, dass ich Anstöße zum Nachdenken liefern will.

Täglich passiere ich diese Plakate als Blickfang des Alltags. Wie die Musik, die dahintersteckt, inspirieren sie mich. Als Spiegel des Kulturgeschehens hätten sie einen passenderen Ort verdient. Heraus aus diesem tristen Grau, in das sich das Licht kaum hinein traut. Hinein, dass die Besucher angezogen werden und die Konzerte der großen und kleinen Namen besuchen.

Donnerstag, 25. Juli 2013

die Memoiren von Chateaubriand


Dichter und Politiker, eine seltene Kombination ? Die deutsche Nation kann dazu nichts beisteuern. In unseren Nachbarländern entdecke ich immerhin Vaclav Havel. Er schrieb Theaterstücke, widersetzte sich dem kommunistischen Machtapparat und  wurde nach den Revolutionen in den osteuropäischen Staaten Ende der 80er der erste Präsident der tschechischen Republik. Dichter und Politiker – mir fallen nur seltene Staatsmänner ein. In der griechischen Antike war es Perikles, der einer Rednerschule entstammte und politische Strukturen schuf, die der heutigen Demokratie größtenteils überlegen war. In der römischen Antike war es Ceasar, der fleißig sein Tagebuch über gallischen Krieg („de bello gallico“) schrieb, worin er sehr viele wertvolle Details – zum Beispiel über die Römer am Rhein – der Nachwelt überlieferte. In der Gegenwart prallen mit der Romantik von Dichtern und dem Machterhaltungstrieb von Politikern Gegensätze aufeinander, die unvereinbar aussehen, so dass ich keinen einzigen Dichter kenne, der gleichzeitig Politiker ist.

Cheateaubriand war ein solches seltenes Exemplar. Geboren 1768 , war er als Adliger dem Ruf Napoleons gefolgt, als hoher Beamter in seiner Verwaltung tätig zu sein. Dieser Ruf ereilte ihn 1800, als er nach Amerika gereist war und danach in England als Lehrer für Französisch seinen Lebensunterhalt bestritt. In England schrieb er seine ersten Erzählungen. Den literarischen Durchbruch erzielte er mit dem Abriss über das Christentum  „le génie du christianisme“, welches er in England begonnen hatte und während der Zeit Napoleons 1802 beendet hatte. In diesem Werk „le génie du christianisme“ stellt er seine eigenen Überzeugungen des Christentums dar, seine Art von Ästhetik und Philosophie, wie er das Christentum gesehen hatte, revolutionäre Ansätze des Christentums, die er in die Bewegungen der französischen Revolution transferierte. Dieses Buch wurde ein Bestseller in Frankreich. Nachdem Napoleon seinen Untergang bei Waterloo erlebt hatte, wurde er unter König Ludwig XVIII ab 1815 Abgeordneter des Oberhauses.

Aus heutiger Sicht könnte man ihn als Europa-Politiker bezeichnen, denn er war während seiner Abgeordnetenzeit gleichzeitig Botschafter, und zwar nacheinander in London, Berlin und Stockholm. 1822 war er Deligierter auf dem Kongress von Verona, auf dem die Besetzung Spaniens durch Frankreich gebilligt wurde. Von 1823-1824 war er Außenminister.

Schloß Combourg; Quelle: Wikipedia
Der Geist des Adligen Francois-René de Chateaubriand ist über Jahrhunderte hinweg im Schloss Combourg in der Bretagne konserviert worden. Chateaubriand schafft es, dass in seiner politischen Karriere seine Erinnerungen um das Schloss Combourg kreisen. So notiert er beispielsweise in Philadelphia in Amerika: „Die Straße die wir entlangfuhren und die mehr angedeutet als ausgebaut war, durchquerte ziemlich flaches Land. Fast keine Bäume, nur hier und da ein paar Farmen, weit auseinanderliegende Dörfer, ein Klima wie in Frankreich, Schwalben die über die Gewässer dahinflogen wie über die Teiche von Combourg.“ Das Schloss erhebt sich mit seinen beiden mächtigen Türmen über der Ortschaft Combourg . Im Schloss kann man das Kinderzimmer von Chateaubriand besichtigen, dessen Ausblick vom Turm aus er in seinen Memoiren beschreibt. Ein Raum ist der Pressefreiheit gewidmet, für dessen Engagement Chateaubriand einige Monate sogar im Gefängnis verbracht hatte.

Obschon Chateaubriand Adliger war, wurde er kaum reich. Als Botschafter musste er Feste veranstalten, zu denen er nur einen kleinen Obolus vom französischen Staat zurück erhielt. Seine Reisen quer durch Europa kosteten mehr als sein Abgeordnetengehalt hergab. Er musste einen Teil seiner Bibliothek verkaufen, damit er umgekehrt den Druck seiner Bücher finanzieren konnte.  

Er selbst unterteilte sein Leben in drei Abschnitte: als Reisender, als Politiker und als Schriftsteller. Seine Memoiren sind jede Menge Stoff. Insgesamt dreißig (!!!) Jahre hat Chateaubriand an seinen eigenen Memoiren geschrieben. Mit der Knappheit meiner eigenen Zeit tue ich mich schwer, dicke Wälzer zu lesen. Das waren insgesamt 782 Seiten, die ich in mich hinein gesogen habe. Mit so viel Seiten war ich rund drei Wochen blockiert. Trotz der hohen Seitenzahl:  die Memoiren haben mich in den Bann gezogen, Chateaubriand hatte viel zu sagen, es war spannend wie im Roman, seine Formulierungen waren literarisch brillant. Viele Herrscher aus Europa kannte er persönlich. Er bewegte sich quer durch die Epochen – Napoleon, Wiener Kongreß und Restaurationszeit (in der Frankreich einen unabhängigen revolutionären Weg genommen hatte). Er war ein Unruhegeist, der ständig in Bewegung sein musste. Seine Kommunikationsfähigkeit quer durch Europa mit dem direkten Draht zum französischen König muss grenzenlos gewesen sein – im prähistorischen Zeitalter ohne Handys oder Smartphones.

Grab von Chateaubriand; Quelle: Wikipedia
1848, als ein kleines Stückchen Französische Revolution Deutschland erreichte, sich aber nicht durchsetzte, starb Chateaubriand. Ab 1830 hatte sich Chateaubriand aus der Politik zurückgezogen. Weitere Essays über Geschichte, Literatur und Politik hatte er bis zu seinem Tod geschrieben.

Dem Meer verbunden, hatte Chateaubriand  in seinem Testament bestimmt, dass er direkt vor der Küste seiner Geburtsstadt Saint-Malo begraben werden wollte. Sein Grab erhebt sich hoch über den felsigen Klippen der Bretagne und schaut auf das Meer hinab. Die Stimmung über diesem Grab ist einzigartig.

Den Deutschen dürfte Chateaubriand übrigens weniger mit seinen Memoiren bekannt sein. Er war Feinschmecker und hatte einen eigenen Koch, der ihn während seiner Tätigkeiten im Ausland begleitete. Das Steak, wie Chateaubriand es mochte, musste von innen stets saftig sein. Sein Koch entfernte die äußeren Stücke des Fleisches, so dass der saftige Inhalt übrig blieb.

Chateaubriand ist also nicht nur eine Symbiose als Dichter und Politiker – sondern auch als Feinschmecker.

Sonntag, 21. Juli 2013

Altenberger Dom

Die Wurzeln liegen in Frankreich. Klostergründungen haben den Geist des Mittelalters geprägt. Bedeutende Klostergründungen haben sich von Burgund aus nach ganz Europa ausgebreitet. So der Zisterzienserorden, der seinen Namen nach dem Gründungskloster Cîteaux (1098) trägt und die Regeln des Heiligen Benedikt von Armut und Entsagung umsetzte. Von Cîteaux aus wurden Tochterklöster gegründet, unter anderem in Morimond in den französischen Ardennen (1115). Morimond wiederum gründete weitere Tochterklöster: eine der Gründungen war das Kloster Altenberg, das sich in der Einsamkeit des Dhünntales im Bergischen Land niederließ. Das war 1145, als eine (noch) kleine Basilika im romanischen Baustil entstand. 1255 wurde die Klosterkirche grundlegend umgebaut – in gotischem Stil. In den Formen, wie sie bis heute erhalten sind, entstand der Altenberger Dom im 14. Jahrhundert. Neben dem Kölner Dom ist  der Altenberger Dom die bedeutendste gotische Kathedrale im Rheinland.


Mit der Abfahrt ins Tal habe ich den Dom vom Chor aus gesehen.


Die hohen Kirchenfenster dokumentieren den gotischen Stil wie aus einem Guß.


Alle großen gotischen Kathedralen stehen mit ihren Türmen nach Westen. Mit dem Armutsgelübde der Zisterzienster haben die Erbauer auf Türme verzichtet.


Die Querverstrebungen findet man genauso am Kölner Dom oder an der Notre-Dame in Paris.


Gemäß dem Armutsgelübde der Zisterzienser ist das Innere schlicht gehalten.


… und das Eingangsportal.


Der Domladen war geschlossen.



In den früheren Klostergebäuden können Ausflugstouristen beköstigt und verwöhnt werden.


Robert von Moslesme, Alberich von Cîteaux, Stephan Harding und Bernard von Clairvaux, das waren diejenigen Abte, die die ersten vier Töchterklöster von Cîteaux gegründet hatten. Schließlich verlasse ich den Altenberger Dom, diesen Ort der morgendlichen Stille, dieses vollkommene Glanzstück rheinischer Gotik.

Samstag, 20. Juli 2013

Oliver Geissen - die 25 beliebtesten Lovesongs

Quelle: www.olivergeissen.de
Diesmal war vieles anders. Das Publikum war eingeteilt in die Kategorien R, A, B und F. Das Kürzel R stand für Redaktionsgäste, A und B für zahlendes Publikum, F für Freikarten. Zu dieser letzten Kategorie F gehörte wir, denn eine Woche vorher waren uns Freikarten angeboten worden. Der Ticketservice hatte uns angerufen, dass noch kostenlose Restkarten gab für die Fernsehshow „Die beliebtesten Lovesongs“ mit Oliver Geissen übrig waren. Dankend hatte wir zugesagt, denn die bisherigen TV-Aufzeichnungen mit Bernd Stelter (NRW-Duell) oder Jörg Thaddäus (Durchgedreht) waren ein schönes Erlebnis gewesen.

Vieles war anders. Taschen mussten wir an der Garderobe abgeben. Die Einlaßkontrolleure zum Fernsehstudio waren penibel, denn sie kontrollierten genau die Reihenfolge R, A, B, F. Manche Zuschauer waren ungeduldig, hatten sich nach vorne gedrängelt. Wartende mussten zur Seite treten, Zuschauer mit der richtigen Kategorie mussten sich von hinten nach vorne durchwursteln. Das war mühselig, Durcheinander und Chaos entstand, so dass der Einlaß mehr als eine halbe Stunde länger dauerte. Die Treppe hinauf zur Zuschauertribüne. Die Aussicht auf die Bühne war prächtig, obschon wir in der letzten Reihe saßen.

Ein Langhaariger, der sich selbst als Opa bezeichnete, aber vielleicht Mitte vierzig war, studierte den Applaus ein. Er fragte ins Publikum hinein, wer verliebt, wer mit Partner, wer getrennt, wer ohne Partner, wessen Partner zu Hause war. Ein Paar schloß er in sein Herz, das im August heiraten würde, und überschüttete es mit Glückwünschen.

Als Oliver Geissen auf der Bühne erschien, der Jubel des Publikums ihn umrauschte und seine Showgäste erschienen, da spürte ich diese Unnahbarkeit. Zwischen RTL und ARD/ZDF lagen Welten. Bernd Stelter und Jörg Thaddäus (ARD/ZDF): vor der Aufzeichnung hatten sie das Publikum begrüßt. Das war ein Akt der Wertschätzung, indem sie die Showgäste ankündigten, den Kontakt zum Publikum suchten und dafür gerade standen, dass alle gut unterhalten würden.

Oliver Geissen befand sich in einem Konstrukt von Elfenbeinturm, denn er suchte keine Worte der Begrüßung, bewegte sich nicht ins Publikum hinein, wirkte abseits der Bühne scheu, schottete sich ab. Er setzte auf Attraktionen und kündigte seine Show-Stars an: drei Show-Acts sollten Live zu sehen sein, zwei waren aufgezeichnet. Für mich sollte dies eine neue Welt sein, denn seit ungefähr Anfang der 90er Jahren waren meine Kenntnisse zeitgemäßén Pop-Musik verblaßt. Als ich in die Zuschauertribüne schaute, stellte ich ohnehin fest, dass meine leicht ältere Altersklasse wenig vertreten war.

Die Bühne öffnete sich. „Blue“ – wovon ich vorher nie gehört hatte – sang „Sorry seems to be the hardest word“. Mittzwanziger kreischten um mich herum, was mir fremd vorkam, denn die Elton-John-Version gefiel mir deutlich besser. Das Kreischen wurde besonders intensiv, als ein Schwarzer das Mikrofon ergriff und bestimmte Passagen sang. Später folgte „I need your love“, das aufgezeichnet war und ebenso gecovered war. Lichtjahre lagen zwischen dem Original von den Righteous Brothers und der Cover-Version. „Blue“ war nur ein blasser Abklatsch. Als die Zuschauer allesamt von ihren Sitzen aufstanden und frenetisch mitklatschten, träumte ich und meine Gedanken schweiften fernab von der Bühne.

Der Langhaarige, der sich als Anhängsel der 68er-Generation verstand, war publikumsnäher als Oliver Geissen. Er untermalte die Werbepausen, suchte den Blickkontakt zu Zuschauern älteren Semesters, fühlte sich verbnden mit ihnen, beschwor alte Zeiten hervor. Er scherzte über die Feindschaft zwischen Köln und Düsseldorf, wobei er lobend eine Kollegin aus Düsseldorf vorstellte. Dass er sich so ins Publikum mischte, wäre bei Oliver Geissen undenkbar gewesen. Er war nicht nur unterkühlt und hanseatisch, denn er kam ursprünglich aus Hamburg. RTL,sein Sender, der seinen Vertag seit April für weitere zwei Jahre verlängert hatte, war effektiv eine andere Kultur als ARD oder ZDF. RTL konnte auf direktem Weg die Erfolgsrechnung machen: nämlich Einschaltquote mal Werbeeinnahme minus Produktionskosten.

Das dominierte die Sendung, obschon sie nicht schlecht beziehungsweise einfallsreich gemacht war. Oliver Geissen mied das Publikum. Er kam mir vor wie ein Versicherungsvertreter, der gerade seine Provision nach einem Vertragsabschluss kassierte hatte und dem der Kunde anschließend egal war. Er unterhielt sich fleißig mit seinen Gästen – das waren Barbara Wussow plus Ehemann und ein anderes mir unbekanntes Paar . Er ließ sich auf ein niedriges Niveau der Unterhaltung herab, indem er Rihanna mit einem Knutschfleck zeigte. Wen interessiert so etwas ?

Der Tiefpunkt seiner Show war Joey Heindle (den Sieger des Dschungelcamps), den er während der 25 beliebtesten Lovesongs permanent zu Wort kommen ließ. Seine infantilen Sprüche zogen das Niveau der Show um Größenordnungen nach unten: „Boah, Mann, ich bin gut drauf“ oder „Liebe ist wie bei einer Geburt. Welcher Redakteur hatte es zugelassen, ihn dermaßen oft zu Wort kommen zu lassen ?

Oliver Geissen ließ die anderen machen. Animationen und Zeichentrickfiguren untermalten die 25 beliebtesten Lovesongs, aus denen allerlei Geschichten zur Liebe erzählt wurden. Erste Liebe, Erster Kuß, das Gefühl des Verliebtseins, Trennung, Schmerz, Knutschen, Flirten, Liebeskummer, Tränen, Treue, wie Kino- oder Konzertbesuche die erste Liebe begleiteten, darum ging es. Das war nicht besonders tiefsinnig, ich kramte ein wenig in meiner eigenen Vergangenheit herum. Meine erste Liebe lag zu weit zurück, dass ich sie in so lebhafter Erinnerung behalten hatte.

Die Show plätscherte. Es waren auch gute Love Songs dabei, sogar der erste auf dem 25. Platz. Für einen viel zu kurzen Augenblick wurde U2 auf dem Großleinwand eingeblendet. Bono sang mit seiner ekstatischen Stimme „One Love“. Die meisten Stücke wurden nur als Kurzversion eingespielt. Zwei Stücke waren zuvor live aufgenommen worden. Drei Gruppen spielten Live, das waren „Blue“, „Revolverheld“ und die dritte Gruppe traf voll meinen Geschmack – ich habe mir allerdings nicht ihren Namen merken können. Das war eine Neuauflage von U2, denn der Sänger sang ähnlich ätherisch wie Bono von U2, die Keyboards waberten. Ich fühlte mich nach 1984 zurückversetzt, als ich U2 Live in Köln erlebt hatte.

Die Show von Oliver Geissen hatte also auch starke Szenen. Ich musste feststellen, dass Oliver Geissens ultimative Chart Show ein Nischendasein führte. Er hatte effektiv keine Konkurrenz, beugte sich dem Publikumsgeschmack und driftete in die seichten Gewässer der Unterhaltung. Wehmütig dachte ich an längst verblaßte Rockpalast-Zeiten, als es noch wirkliche Konkurrenz bei Musiksendungen gab. Es reichte, wenn er sich auf Augenhöhe mit seinen Show Acts bewegte. Er spulte sein Programm herunter. So wie Joey Heindle, hätte er auch lauter Unsinn daherreden können, die Show hätte trotzdem gezündet.

Die Nummer Eins war keine Enttäuschung, genauso wie mein Gesamteindruck – trotz aller Niederungen. „Let her go“ von Passenger hatte ich irgendwo aufgeschnappt, und mit der griffigen Stimme des Sängers gefiel mir das Stück. War die Nummer Eins berechtigt ? Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre es vielleicht Metallica mit „Nothing else matters“ gewesen oder die Scorpions mit „Still loving you“. Ich bin eh nicht repräsentativ für den deutschen „Lovesong“-Geschmack.

Mit viel Tamtam und Aufwand und Riesenblumensträuße für die Damen ging die Show auf der Bühne zu Ende. Das Starensemble stand in abgemessener Entfernung zum Publikum. Am Ende der Show entschwand Oliver Geissen -  ungesehen und unnahbar wie während der Show. Am 31. August wird diese Show um 20.15 Uhr auf RTL zu sehen sein.