Donnerstag, 22. November 2012

Scheinselbständigkeit

… diesen Artikel hatte ich aus einem alten Manager-Magazin-Heft, das ich entsorgt hatte, kopiert.

Unter neue Formen der Ausbeutung im Arbeitsleben ordnete ich dies ein, daher war mir dieser Artikel zu schade zum Wegwerfen. Oder: wie die menschliche Arbeitsleistung zum Objekt der Kosteneinsparung wird.

So diffus wie der Begriff, so diffus bewegen sich die Tätigkeiten der Scheinselbständigen in einer Grauzone. Während im klassischen Arbeitgeber-/Arbeitnehmerverhältnis alles im Arbeitsvertrag geregelt ist, so wird beim Scheinselbständigen alles, was Geld kostet, auf den Auftragnehmer abgeschoben – das sind vor allem die Sozialabgaben. Dieser ist auf dem Papier selbständig. Er bewegt sich aber nicht auf Augenhöhe mit anderen Selbständigen, die mit ihrer Tätigkeit ordentlich Profit erwirtschaften – wie etwa Architekten, Steuerberater, Rechtsanwälte, Notare. Denn er arbeitet ausschließlich für einen einzigen Auftragnehmer. Logistik; Transportgewerbe; Kurier- und Paketdienste; Subunternehmer auf Baustellen; Messe-, Garten- und Landschaftsbau; Interviewtätigkeiten für Marktforschungsinstitute; Regalauffüller in Supermärkten; ihr Anteil steigt stetig, doch die genaue Zahl kennt niemand.

In unserer Gesellschaft, in der die Gewinnmaximierung die Leitlinie sämtlichen unternehmerischen Handels ist, ist dies so gewollt. Schon Friedrich Engels hatte zur Lage der arbeitenden Klasse in England festgestellt, dass die Konkurrenz der vollkommenste Ausdruck des in der bürgerlichen Gesellschaft herrschenden Krieges Aller gegen Alle ist. In diesem Konkurrenzkampf versucht stets der schlechter bezahlte den besser bezahlten zu verdrängen. Karl Marx fügte dem hinzu, dass sich der Arbeiter in eine Ware verwandelt. Der Lohn für seine Arbeitsleistung tritt an die Stelle zwischenmenschlicher Beziehungen.

Scheinselbständige werden de facto ausgegrenzt. Sie gehören nicht zur Firma dazu. Die Firma hat zwar einen Job. Aber zwischen Firma und ihnen verläuft eine Trennlinie, denn mit den Kollegen der Firma haben sie offiziell nichts tun. Mit ihrem Einkommen sind sie schlechter gestellt, gegen Krankheit sind sie nicht abgesichert, ihre Urlaubsvertretung müssen sie selber organisieren, für Saison-schwache Umsatzzeiten müssen sie selbst etwas zurücklegen.

Als Adam Smith 1776 sein Grundwerk „Wohlstand der Nationen“ schrieb, forderte er, dass es eine unsichtbare Hand geben müsse, die sich schützend über das Marktgeschehen legt. Andererseits führe der Kapitalismus zu einer Verelendung der Massen und zu Arbeitsbedingungen, bei denen die Menschen im Endeffekt für einen Hungerlohn schuften müssten. Im Laufe der Jahrhunderte, mit der aufkommenden Arbeiterbewegung und mit dem Entwurf eines Sozialstaates, haben sich diese Zustände deutlich gebessert. Doch mittlerweile sorgt der Markt wieder dafür, dass die Löhne hierzulande mit den Niveaus in China, Indien, Brasilien, Mexiko, Polen, Rumänien oder Bulgarien konkurrieren müssen.

Die schützende Hand des Staates hat sich längst zurückgezogen. Der Staat reguliert nichts mehr, sondern überlässt die Handlungsfelder der Wirtschaft. Der Mensch, der auf Arbeitssuche ist, hat dann nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder zu Hause sitzen und Hartz IV oder ein Niedriglohnniveau, das irgendwie versucht, mit China, Indien, Brasilien, Mexiko, Polen, Rumänien oder Bulgarien mitzuhalten. So wie zur Zeit der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts, wird der Mensch so viel arbeiten, um seine existenziellen Bedürfnisse sicherstellen. Er wird sich also auf solche dubiosen Konstrukte wie die Scheinselbständigkeit einlassen.

Der Enthüllungs-Journalist Günter Wallraf hatte dazu die Arbeitsbedingungen beim Paketdienst GLS recherchiert. Je mehr sich die Weihnachtszeit nähert, um so mehr boomt die Paketbranche. Der Fahrer, mit dem Günter Wallraf unterwegs war, erhielt monatlich 1.200 € brutto als Entgelt für seine Dienstleistung. Dieses Bruttoentgelt setzte sich aus einer Vergütung von 1,30 € je Paket zusammen, so dass je Arbeitstag etwas mehr als 40 Pakete zuzustellen waren. Um diese Stückzahl zuzustellen, war der Fahrer inklusive Beladung täglich von 5 Uhr bis 19 Uhr unterwegs. Dies entsprach einem Brutto-Stundenlohn von 3 €. Um diesen Brutto-Stundenlohn zu erzielen, durfte der Fahrer nicht krank werden und ihm stand auch kein Urlaub zu. Um bei Krankheit einen Arzt aufzusuchen, musste er sich krankenversichern lassen, was die 3 € weiter schrumpfen ließ.

GLS hat nach der Ausstrahlung in Stern TV einiges dementiert. Ich gehe aber davon aus, dass Günter Wallraf einen Kern von Wahrheit beschrieben hat.

Das Unverschämte ist: der Staat duldet diese neuen Formen der Ausbeutung, wobei als Nebeneffekt Scheinselbständige aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden. Und dies verkauft der Staat dann als Erfolg.

7 Kommentare:

  1. Ja mein lieber Dieter, diese Dinge sind mir bekannt und ein Bekannter hat sich dieses Elend auch angetan und ist Pleite gegangen. Wenn wir diese Scheinselbstständigen, die in den Fortbildungen und Massnahmen dazu zählen sind wir da, wo wir waren bei 5 Mill. Arbeitslosen.

    Liebe Abendgrüße
    Angelika

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  2. Den Bericht habe ich vor langer Zeit im TV verfolgen können, und wieviele Leute daran pleite gegangen sind :-((( Mit der Scheinselbstständigkeit war schon vor vielen Jahren, als die Gesetzesänderungen vorgenommen wurden ein heisses Eisen. Die Sozialversicherungen waren hinterher es aufzudecken, aber irgendwie wurde immer wieder ein Schlupfloch gefunden. Denn normalerweise ist es ganz klar im SGB geregelt.

    Ich finde es echt traurig, allerdings eben so traurig das der Staat noch immer nicht dazu bereit ist dem AG einen Anreiz zu geben Missstände abzuändern. Dabei denken ich an die hohen Lohnnebenkosten, die nicht nur dem AN jeden Monat seine Abrechnung erschaudern lassen, sondern auch dem AG die Überlegungen gibt irgendwie darum herumzukommen.


    herzliche Nachtgrüssle
    Nova

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  3. Wegen Urheberrechtsverletzung kannst du das Probs bekommen...
    So neu ist diese Form der Ausbeutung nicht, bestimmt schon 10 Jahre. Nur hat es inzwischen durch die vielen Osteuropäer, die alle ein Gewerbe anmelden und dann ergänzendes H4 beantragen und viele Hochschulabsolventen, die gleich in die Scheinselbständigkeit gehen (teils ebenfalls mit eH4) und keinerlei Aussicht auf einen richtigen Angestelltenvertrag mit den üblichen Rechten und Schutz...
    alles sehr extrem geworden.
    Sei wieczoramatisch gegrüßt und hab einen schönen Start ins Wochenende
    Wieczorama (◔‿◔) | Mein Fotoblog

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  4. guten morgen Dieter
    was soll ich dazu schreiben.....es laufen immer mehr und mehr Arbeitslose rum-((((
    trotzdem wünsche ich Dir und Deiner Familie ein schönes Wochenende
    lieben gruss
    Christa
    P.S.schön,Dein neuer Blog-))))

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  5. Außer den bereits aufgeführten Argumenten trägt natürlich die Globalisierung auch ihren Teil zum Problem Arbeitslosigkeit bei und somit der Scheinselbständigkeit.
    Es geht wie überall nur um Gewinnmaximierung und Macht und daran wir sich auch nichts ändern. Ich weiß nicht, ob du im TV den Film über RyanAir gesehen hast. Man kann nur noch mit dem Kopf schüttel.

    Dieser Park Schönbusch in Aschaffenburg ist nicht allzuweit vom Schloss entfernt. Ich hatte das Schloss vom Park aus sogar fotografiert. :-)

    Liebe Grüße
    Christa

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  6. Das ist ein Problem, dass es schon seit vielen Jahren gibt, und sich mit der Öffnung der östlichen Grenzen immer schlimmer wurde und weiterhin bestimmt noch zunehmen wird.
    Die Politik lässt es zu um die Arbeitslosenzahlen zu kaschieren und den Unternehmen ist es nur recht um ihre Gewinne zu steigern, und gleichzeitig Verantwortung und Kosten auf andere zu wälzen.

    Gruß Nachtfalke

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  7. Wir steuern auf eine Wirtschaftsdiktatur zu ... das, was Deutschland jetzt zu spüren bekommen, ist nur der Anfang.

    LG
    Beate

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