Dienstag, 20. November 2012

Augenoperation

Es war so, als wäre er in einem zeitlosen Zustand. Oder wie zwischen den Zeiten: die eine Zeitzone hatte er noch nicht verlassen, in der anderen Zeitzone war er noch nicht angekommen. Nichts zählte. Die Dinge verloren sich um ihn herum, seine menschlichen Regungen waren wie weggebrochen, zurück geschmissen war er auf seine eigene Existenz.

Seine Hände krampften sich an der Bettdecke fest. Seinem Körper, der in der Waagerechten lag, fehlte jeglicher Entschluss. Dumpf nahm er seine Umgebung wahr. Wie Wellen plätscherte an sein Ohr, was er hören konnte. Er bemerkte seinen regelmäßigen Atemzug. Das Blut hatte nicht aufgehört zu pulsieren. Die Verbindung mit der Außenwelt hatte sich langsam wieder hergestellt.

Die Augenoperation war überstanden. In der Stunde, in der wir ihn im Krankenhaus besuchten, schaffte er es, sich aufzurichten und, gestützt unter meinem Arm, auf die Toilette zu gehen. Was auf Anhieb funktionierte, war sein Durst: bestimmt zehn- bis zwölfmal reichte ich ihm Mineralwasser, er trank aus, ich stelle das Glas zurück, einige Minuten später trank er ein neues Glas Mineralwasser.

Was nicht funktionierte, war sein Sehvermögen. Das lag aber primär nicht an der Operation, sondern an dem Verband. Eine weiße Augenschale verdeckte sein rechtes Auge, zugeklebt mit dicken, fetten Klebestreifen, die sich bis unter die Wange herunter zogen. Die ausgekugelte Form hinderte ihn, seine Brille aufzusetzen. Diese hatte so dicke Gläser, dass er ohne Brille kaum etwas sah. Seine Umgebung musste wie Schatten gewirkt haben. Uns konnte er nur schemenhaft erkennen. Alles verschwamm wie in einem unruhigen See, dessen unregelmäßiges Wellenspiel nicht greifbar war. Signale erreichten ihn, aber wo war der Sender ?

Der Zustand war neu, hilfebedürftig zu sein. Er unterdrückte dieses Gefühl, ohnmächtig zu sein. Nach der Operation war sein Körper wie erschlagen. Ein Erschöpfungszustand legte ihn lahm, als wäre er gleich mehrere Marathon-Läufe hintereinander gelaufen. Vollgestopft mit Medikamenten, spürte er keinen Schmerz. Er dachte an gar nichts mehr, auch nicht an den nächsten Moment, wie es weitergehen würde. Dieser Zustand war schrecklich. Der Wille war da, aber das Aufstehen und die Bewegungen waren mit ganz viel Mühe verbunden, die Überwindung kosteten.

Die Operation sei ohne Komplikationen verlaufen, erklärten die Ärzte. Die Netzhautablösung sollte geheilt werden, indem Augapfel und Netzhaut getrennt worden waren. In die Hohlräume war eine Silikonflüssigkeit eingelassen worden, wodurch die Sehfähigkeit wieder hergestellt würde. Die Heilungsaussichten beurteilten die Ärzte als hoch.

Einerseits faszinierte mich, was die Medizin leisten konnte. Andererseits erschrak ich, wie kleinste Körperteile aufgeschnitten wurden, seziert wurden, auseinander genommen wurden und wieder zusammengefügt wurden. Alleine bei dem Gedanken, wie herum geschnibbelt wurde, lief es mir eiskalt den Körper herunter.

Dem hilflos ausgeliefert zu sein, lag jenseits des Verstandes. Das Schicksal hatte zugeschlagen. Gläubige Katholiken oder Protestanten dürften in dieser Situation wohl Gebete ohne Ende gesprochen haben. Ich war fassungslos, wie sich das Leben eines Menschen von einem Moment auf den anderen verändern konnte. In seinem blau-weiß gestreiften Schlafanzug, die Bettdecke von sich weggestreckt, konnte er lediglich daran glauben, dass alles gut wird. Dabei musste er den Ärzten vertrauen mit ihrem Können, all ihrer Erfahrung und all den anderen Operationen, die erfolgreich verlaufen waren.

Zwei Tage später telefonierten wir mit Freunden. Ihre Schwester hatte im Alter von 14 Jahren auch eine Netzhautablösung gehabt – das hatten wir so nicht gewusst. Eine Behandlung mit Silikon gab es damals noch nicht, sondern nur das Laserverfahren. Ihre Schwester ist nun 54 Jahre alt und ist seit dem 14. Lebensjahr erblindet.

19 Kommentare:

  1. dein Text ist richtig spannend geschrieben. Man möchte gar nicht mehr aufhören zu lesen.
    Das mit der Silikonflüssigkeit zwischen Netzhaut und Augapfel kannte ich noch gar nicht - nur dieses Laserverfahren. Ich hoffe das Sehen bleibt erhalten.

    Lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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  2. Lieber Rainer
    Es ist schön das die OP gut verlaufen ist. Was heute alles möglich ist, die medizin macht immer wieder Fortschritte. Genau so ist es, früher gabs nur Laser und dieses wurde ambulant durchgeführt. Seit dieser Zeit bin ich Blindfisch Brillenträgerin und muß regelmässig zur Kontrolle.

    Denke mal morgen sind die Nachwehen der OP überstanden.
    Alles Gute und baldige Genesung

    Liebe Abendgrüße
    Angelika

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  3. Ich drücke feste die Daumen dass die OP gut verlaufen ist und wünsche auch baldige Genesung.

    Keine OP ist schön, aber so am Auge muss schon grausam sein wenn man an die möglichen Folgen denkt. Mir selbst wurde schonmal eine Methode erläutert um meinen Schleider bzw. die schwarzen Punkte im Sehkanal weg zu bekommen (entstanden durch einen Riss in der Netzhaut) Da wäre die Flüssigkeit aus dem Auge gezogen worden, und künstliche Flüssigkeit wieder hineingefügt. Allerdings ohne Garantie das diese Flecken nicht wiederkommen würden.

    Ich habs gelassen, denn ich kann sehen und so lange ich denken kann trage ich ne Brille. Bin nie auf die Idee gekommen mir deshalb meine Augen lasern zu lassen. Ne AugenOP käme für mich auch nur in Frage wenn es zwingend sein muss...aber dennoch hätte ich tierische Angst.

    herzliche Grüssle
    Nova

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  4. Hallo Dieter
    Auch ich wünsche eine baldige und gute Genesung.
    Ja, eine solche Augen-OP ist ganz bestimmt sehr unangenehm.
    Herzlichst grüsst Dich Yvonne

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  5. Hallo Dieter,
    ich drücke die Daumen, dass alles wieder gut wird.
    Super geschrieben ist dein Text!
    VG
    Elke

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  6. Auch ich kann hier nur die Daumen drücken für den Operierten und ihm alles Gute wünschen, dass die Sehkraft durch die OP wieder hergestellt wird.
    Es stimmt, so manches Leben kann von heute auf morgen total auf den Kopf gestellt werden.

    Liebe Grüße
    Christa

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  7. Daumendrücker auch aus dem hohen Norden! Sehr schöner Text von Dir!

    LG
    Micha

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  8. Hallo Dieter,
    das war extrem interessant und du hast den Text sehr einfühlsam, lieb und stilvoll geschrieben.
    Ich danke dir auch für die Infos, denn das Thema interessiert mich. Auch vor 20 Jahren ca hieß es noch: Bei ihnen löst sich die Netzhaut, also werden sie erblinden. Doch nicht alles trifft so ein, wie es die Ärzte vorhersagen. Die Person sieht jetzt viel mehr Fäden als früher, nicht nur auf Weiss sondern auch schon auf Asphaltgrau und ist noch nicht erblindet. Eine andere sollte nie Kinder bekommen können und hat drei Geburten hinter sich. Wieder ein andere hätte angeblich nicht mehr lange zu leben gehabt wegen Krebs, 20 Jahre später treffe ich ihn zufällig bei einer kulturellen Veranstaltung.
    Für deinen Schwager wünsche ich eine gute und schnelle Genesung! Für euch als Familie: Kopf hoch!
    Viele Grüße sendet Wieczorama (◔‿◔) | Mein Fotoblog

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  9. Du hast recht. Es ist auf der einen Seite wahnsinnig toll, was die Medizin heute leisten kann, auf der anderen Seite aber auch beängstigend.

    Alles Gute für den Patienten !

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  10. Hej Dieter,
    mit Beobachtungsgabe und Einfühlungsvermögen hast Du diese extreme Situation beschrieben. Man spürt geradezu die psychische Grenzerfahrung, die da gemacht wird. Herausgelöst aus allem Bekannten fühlt der Mensch sich bloß gelegt ...

    mit Genesungswünschen für den Patienten,
    Beate

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