Bis heute ist mir diese juristische Denkweise verquer. Mein Verstand sperrt sich dagegen, in Gesetzen und Paragraphen herum zu suchen, was wie wo für welche Sachverhalte geregelt ist. Ich betrachte Gesetzesvorschriften als künstlich aufgeblähte Konstrukte, in wirrem und kompliziertem Deutsch, gekünstelte Wortblasen, wie niemand auf der Straße redet. Bandwurmsätze wollen nicht enden, Verweise auf andere Paragraphen führen einen in die Irre.
Wieso ich mich mit Recht und Gesetz befasse ? Meinem Interesse zuwiderlaufend, habe ich eine gewisse Dominanz von Prozessen und Gerichtsentscheidungen in unserer Tagespresse festgestellt. Bundesweit beschäftigt unser Justizapparat rund 150.000 Menschen, das ist nicht wenig. Dass Menschen ihre Streitereien und Zankereien vor Gericht austragen müssen, dadurch erhält ein Heer von Rechtsanwälten ihre Existenzberechtigung.
Zuletzt haben mich drei Gerichtsverfahren in unserer Tageszeitung ins Grübeln gebracht:
Fall 1:
Ein Ehepaar hatte ihre Nachbarn auf Unterlassung verklagt, weil deren behinderte Tochter zu viel Lärm machte. Eine Stunde lang morgens und vier Stunden abends, brüllte sie, schlug, schimpfte, fluchte, bevor bzw. nachdem sie in der Behindertenwerkstatt gewesen war.
Ein Ehepaar hatte ihre Nachbarn auf Unterlassung verklagt, weil deren behinderte Tochter zu viel Lärm machte. Eine Stunde lang morgens und vier Stunden abends, brüllte sie, schlug, schimpfte, fluchte, bevor bzw. nachdem sie in der Behindertenwerkstatt gewesen war.
Fall 2:
Anwohner hatten gegen einen geplanten Bahntrassenradweg geklagt, weil sie feuchte Keller befürchteten (Asphaltweg liegt höher als die Keller) sowie ihre Intimsphäre bedroht sahen (Radler können in Gärten hinein sehen).
Anwohner hatten gegen einen geplanten Bahntrassenradweg geklagt, weil sie feuchte Keller befürchteten (Asphaltweg liegt höher als die Keller) sowie ihre Intimsphäre bedroht sahen (Radler können in Gärten hinein sehen).
Fall 3:
Bei der Eröffnung einer Sportsbar kam es zu einem Gerangel unter Fotografen. So als ob Paparazzis dem britischen Königspaar hinter her jagen würden, wollten Fotografen den besten Platz erhaschen. In diesem Gerangele verpasste ein Fotograf einem anderen einen Faustschlag. Vor Gericht wollte der geschlagene Fotograf Schadensersatzansprüche wegen Körperverletzung geltend machen.
Bei der Eröffnung einer Sportsbar kam es zu einem Gerangel unter Fotografen. So als ob Paparazzis dem britischen Königspaar hinter her jagen würden, wollten Fotografen den besten Platz erhaschen. In diesem Gerangele verpasste ein Fotograf einem anderen einen Faustschlag. Vor Gericht wollte der geschlagene Fotograf Schadensersatzansprüche wegen Körperverletzung geltend machen.
Ich habe den virtuellen Ausflug in die Gerichtskanzleien gewagt. Im Internet habe ich in den Themen gestöbert, für was sich Menschen, die voll bei Verstand sind, vor Gericht herum streiten und herum zanken. Ich bin amüsiert und entsetzt zugleich. Den Alltag von Richtern und Rechtspflegern stelle ich mir jedenfalls nicht langweilig vor.
Es findet sich manches Kurioses unter den Gerichtsurteilen. „Wer in Afrika mit einer Banane herum läuft, dem kann es passieren, dass er von einem Affen gebissen wird“ so urteilte das Amtsgericht Köln zu einem Urlaub in Kenia. Ein Urlauber hatte eine Banane aus dem Frühstücksraum mitgenommen, um sie tagsüber zu verzehren. Auf dem Weg zum Hotelzimmer tauchte ein Affe auf, krallte sich die Banane und biß dem Urlauber in den Finger, weil er die Banane nicht hergeben wollte. Es ist nicht unüblich, dass in Afrika Affen frei herum laufen, mit dieser Begründung wies das Amtsgericht die Klage auf Schmerzensgeld gegen den Reiseveranstalter ab.
„Straßenfeste müssen nicht zwingend von Sicherheitsdiensten überwacht werden“, das befand das Amtsgericht Oldenburg. Als beim „Störtebecker Straßenfest“ eine Rock’n’Roll-Band spielte, stellte ein besoffener Gast zwei Biergläser auf die Lautsprecher. Als ein Mitglied der Band ihn aufforderte, die beiden Biergläser dort wegzustellen, schmiss der Gast ihm die beiden Biergläser ins Gesicht. Der Musiker wollte Schmerzensgeld gegen den Veranstalter des Straßenfestes geltend machen (und nicht gegen den Gast). Der Veranstalter muss weder für eine massive Polizeipräsenz sorgen, noch Sicherheitsdienste engagieren, das sagte das Gericht, so dass der Gast für den Schaden blechen muss und nicht der Veranstalter.
Das Amtsgericht Bonn hatte die Ehre, sich mit Katzen beschäftigen zu dürfen. Im Kleingedruckten des Mietvertrages stand, dass Haustiere mit Zustimmung des Vermieters gehalten werden dürfen. Mieterin und Vermieter redeten aber nie miteinander, bis der Vermieter nach anderthalb Jahren erstmalig in der Wohnung Mieterin samt Katze erblickte. Er bestand auf Beseitigung der Katze. Doch der Richter hatte ein Einsehen mit der Welt der Vierbeiner und die Katze durfte bleiben, weil der Vermieter sie anderthalb Jahre geduldet hatte.
Sogar der Kölner Karneval war Gegenstand von Gerichtsstreitigkeiten. Einem Besucher des Rosenmontagszuges wurde ein Schokoriegel ins Gesicht geworfen, worauf er Schmerzensgeld forderte. Der Kläger muss ein extremer Ignorant gewesen sein, denn das Amtsgericht Köln bügelte ihn schnell ab, dass das Werfen von Süßigkeiten beim Rosenmontagszug üblich, erwartbar und eine Jahrhunderte alte Tradition ist. Im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches stellen Kamelle keine Gefahrenquelle dar.
Recht und Gesetz sind ungefähr so alt wie die Menschheit selbst. Schon das römische Recht regelte Eigentum, Besitz und Bürgerrechte. Wesentlich später, nach der französischen Revolution, kamen im wesentlichen Freiheits- und Grundrechte dazu. Damit betrunkene Autofahrer bestraft werden, damit wir nicht alle gleichzeitig bei Rot über die Ampel fahren, damit uns Verkäufer nicht irgendwelchen Schrott andrehen, dazu brauchen wir Recht und Gesetz. Viele Streitigkeiten, die vor Gericht ausgetragen werden, haben im Kern sicherlich ihre Berechtigung.
Doch in einigen Fällen, die ich oben beschrieben habe, reagieren Menschen gereizt, als wolle man ihnen Böses. „Kniesbüggel“, so beschreibt man diesen Menschentyp auf Kölsch, der stets schlecht gelaunt ist. In einer Abwehrhaltung will er seine Umwelt von sich wegschieben, er ist leicht gekränkt und eingeschnappt.
Der Gang zum Rechtsanwalt ist dann gleichzeitig ein Gang zum Psychologen. Rechtsanwälte nehmen dann die Kommunikation auf, zu der ihr Klient nicht fähig ist. Das ist bequem, wobei der Streit auf die rein formale Ebene von Paragraphen gehoben wird. Rechtsanwälte können sich dann in diesen aufgeblähten Konstrukten von Gesetzen und Gerichtsentscheidungen bewegen, die kein normal Sterblicher versteht. Dahinter kann sich solch ein „Kniesbüggel“ verstecken. Er wird sogar aufgewertet, weil er sich solch einen Experten für diese höherwertige juristische Materie leisten kann.
Bisweilen wird er zusammenschrumpfen wie ein Uli Hoeness bei seiner Steuerhinterziehungs-Affäre. Er wird jegliche Kommunikation einstellen, er wird aufhören zu reden. Sofern er zurück schlägt, überläßt er das seinen Anwälten. Sofern diese Menschen eine Machtposition innehaben, sind das wahrlich unangenehme Zeitgenossen.