Samstag Abend 20.30 Uhr. Fußgängerzone Königswinter. Ich war ½ Stunde zu früh, um V abzuholen. Treffpunkt war die Apotheke. Ich stand vor diesem schönen Gebäude, das wahrscheinlich aus der Epoche des Bürgertums stammte. Aus dem nach vorn geneigten Dach ragten drei Dachgauben stolz und mächtig hinauf.
Lärm drang herüber, Karnevalsmusik.
Hatten sich eine Handvoll Jecken nach Königswinter verirrt ? Nicht ganz 2 Monate war es noch bis Karneval. Das passte gar nicht in diese abendliche Stille hinein. Verschlossene Ladenlokale, heruntergelassene Sicherheitsgitter und unbeleuchtete Schaufenster dösten wir sich hin. Die Fußgängerzone war ein einsames, verschlafenes Nest. Kaum eine Menschenseele war zu sehen. Die Straßenlaternen spendeten ein mattes Licht. Das Grau des Verbundpflasters kam mir ungeheuer langweilig vor. Trostlos auch die mit Pflastersteinen verlegten Rinnen, die das Verbundpflaster in der Mitte der Fußgängerzone seitwärts begrenzten.
Am Ende der Fußgängerzone wehte die rot-weiße Fahne des Fan-Clubs des 1. FC Köln.
Sie hing über dem Bistro Europa, dessen Türe offenstand. Drinnen war es hell. Genau dort kam die Karnevalsmusik her. Auf den Barhockern an der Theke wurde Kölsch getrunken. An den Stehtischen wurde lebhaft diskutiert und gestikuliert. Im Lokal setzte sich die rot-weiße Farbenpracht fort: rot-weiß waren die Schals, die von den Schultern herunterbaumelten, und rot-weiß waren die Baumwollmützen, lässig auf den Köpfen sitzend. Lautstark ging es her, und auf den überdimensionalen Flachbildschirm, auf dem in kurzer Abfolge Interviews liefen, schaute kaum jemand.
Die Höhner sangen: Mir stonn zo dir, FC Kölle ….
Ja, ich hatte mich ertappt, dass ich mit dem FC litt. Der FC hatte gegen Werder Bremen gespielt. Das Ergebnis kannte ich noch nicht. Unschlüssig, ob ich das Ergebnis wissen wollte oder nicht, schritt ich weiter vorwärts. Das Straßenbild wurde nun abwechslungsreicher: auf einer alten und ehrwürdigen Fassade Stuckarbeiten mit Blattwerk und Reben; viereckige Säulen um die Eingangstüre des Hofs von Holland; das alte Kelterhaus mit seinen beiden mächtigen, sattgrün gestrichenen Eingangstüren; neben der Remigiuskirche ein weit ausholender Fachwerkbau, dessen schwarze Balken ein rechtwinkliges Muster bildeten.
Hatte der FC etwa gewonnen ? Oder zumindest nicht verloren ?
Ich ging zurück zum Bistro Europa. Sahen so die Gesichter von Fußballfans aus, deren Mannschaft verloren hatte ? In den Gesichtern war keinerlei Zerknirschtheit, Depression oder Wut erkennbar. Sie tranken ihr nächstes Kölsch, prosteten sich gegenseitig zu. Die Farben rot-weiß - auf Schals oder Mützen - dominierten weiterhin. Nun lief richtig Kölsche Karnevalsmusik, auf die mit feuchte Kehlen mitgesungen wurde. Nein, bei einer Niederlage gegen Werder Bremen hätte diese Szenerie anders ausgesehen.
Ich musste zum Treffpunkt der Apotheke zurück. An den Schaufenstern vorbei, schritt ich über das phantasielose Muster der Gehwegplatten. Die quadratischen Platten wiederholten sich endlos – wahrscheinlich bis zum Ende der Fußgängerzone. In der Dunkelheit eines leerstehenden Ladenlokals wartete ein Bündel Glaswolle auf seine Verarbeitung. Zwischen die Schaufenster mischten sich Plakate, die das Interesse wecken sollten für eine Panaroma-Dia-Show über Neuseeland oder für einen Jeckentreff 2011 oder für eine Multimedia-Reportage am Ende der Welt in Patagonien. In der Fußgängerzone begegneten mir nur einzelne Passanten, die genauso schnell verschwanden wie sie kamen.
Punkt 21.00 Uhr kam mit V an der Apotheke entgegen. Als ich kurz darauf das Auto startete, liefen in WDR2 noch die 21.00 Uhr-Nachrichten. 3:0 hatte der FC gegen Werder Bremen gewonnen. Wahrscheinlich feierten die FC-Fans im Bistro Europa noch bis mitten in die Nacht hinein.
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