Freitag, 24. August 2012

Roll over Beethoven

Wer Bonn besucht, begegnet früher oder später Beethoven. Es gibt keinen Zweifel: kein Bürger Bonns ist berühmter, Beethoven ist das Aushängeschild, man begegnet Beethoven an allen Ecken. Bonn und Beethoven gehören zusammen, so wie der Dom und Köln, der Hafen und Hamburg, das Oktoberfest und München. Die Quelle der Verbundenheit ist Beethovens Geburtshaus: 1770 in der Bonngasse geboren, hat sein Geburtshaus alle Verwüstungen und Zerstörungen überdauert. Es hat auch überdauert, dass Beethoven bereits mit 22 Jahren Bonn verlassen hat - Richtung Wien, wo er die größeren Möglichkeiten musikalischen Schaffens gesehen hatte. Dennoch ist Bonn Beethoven treu geblieben. Beethoven ist zur Starallüre aufgestiegen. Noten und Partituren sind allgegenwärtig.


Beim Fotografieren des Geburtshauses habe ich einen höchst seltenen Moment erwischt, nämlich ohne Touristen.


Mitten im Herzen Bonns überragt Beethoven den Münsterplatz.


Vor der Beethovenhalle fügen sich Fragmente gekonnt zu seinem Kopf zusammen.




Auf dem Straßenpflaster, in der Fußgängerzonen und an Häuserwänden ist Beethoven ständig präsent.

Besonders schräg finde ich Beethoven in einer Pop-Art-Darstellung auf einer Häuserwand.

Das Dumme ist: ich mag überhaupt keine Klassische Musik. Weder Beethoven, noch Mozart, Brahms, Bach oder Händel. Wer meine Blogs kennt, weiß, dass mindestens einen elektrische Gitarre die Musik aufmischen muss. Violine, Geige, Klarinette, Flöte, Fagotte, Pauken, Trompeten, diese Klangwelt kommt mir vor wie von einem fremden Planeten. Was verbindet mich mit Beethoven ? Die neunte Sinfonie, an die ich mich noch lebhaft zurückerinnere aus meine Schulzeit, denn mein Musiklehrer zeigte durchaus pädagogisches Geschick. Im Original von Chuck Berry, haben Electric Light Orchestra die Neunte Sinfonie Beethovens aufgegriffen in "Roll over Beethoven". 


Dann geht es nach meinem Musikgeschmack weiter. Rock, elektrische Gitarre, es fetzt, Jeff Lynn schwingt sich von einem Gitarrenriff zum anderen. Mit dem Akkord aus der Neunten Sinfonie von Beethoven beendet Jeff Lynn "Roll over Beethoven". Das ist Beethoven, wie ich ihn mag.

Freitag, 17. August 2012

The Doors - People are Strange

... befasst sich mit Menschen. 



So fremd, aber doch vertraut. Menschen im Alltag beobachten, so wie sie sind, wie sie sich verhalten, wie sie gekleidet sind, wie sie sich bewegen. Gerne bin ich ein stiller Beobachter.


Menschen machen es sich im Park bequem.


Ohne Handy oder Smartphone geht gar nichts mehr.



Menschen vergnügen sich im Biergarten.


Reges Treiben herrscht im Bahnhöfchen - einem früheren Bahnhof der Schmalspurbahn.


Menschen lümmeln sich im Eiscafé herum.


Ich lasse mir mein Spaghetti-Eis schmecken.

Und beobachte dabei die Menschen. Ich lasse mir mein Eis auf der Zunge zergehen. Und ich summe dabei die Doors: "People are Strange".

Dienstag, 7. August 2012

Marcel Kerff


Man hielt sie bestimmt für Spinner. Auf Fahrrädern quer durch Frankreich. Hunderte von Kilometern am Stück. Auf Straßen, die noch halbe Feldwege waren. Bei regnerischem Wetter durch aufgeweichten Boden und Matsch. Ersatzteile organisieren, wenn über Kopfsteinpflaster Schläuche gleich reihenweise kaputt gingen. In normaler Straßenbekleidung: Schuhe mit Gamaschen, kurze Hose, Hemd und Jacke dürften segelartig im Wind geflattert haben.

1903 startete die erste Tour de France. Der Initiator und der Organisator war eine Sportzeitung, die sich dadurch eine Steigerung der Auflage erhoffte – was dann auch geschah. So wie heute, war Paris der Dreh- und Angelpunkt. Alpenpässe galt es schon zu erklimmen, 2.400 Kilometer waren insgesamt zu schaffen (heutzutage sind es 3.400 Kilometer). Neu war die Idee, die Gesamtstrecke nicht an einem Stück zu fahren, sondern in einzelnen Etappen, die dann zu einem Gesamtergebnis zusammengezählt wurden. Der Sieger Maurice Garin erzielte eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 km/h – was aus heutiger Sicht geradezu läppisch erscheint. 60 Rennfahrer nahmen teil, wovon 21 das Ziel in Paris erreichten. Einer von ihnen war der Belgier Marcel Kerff. 1903 sollte seine erste und letzte Tour werden, denn er war bereits 37 Jahre alt. Dabei erreichte er einen beachtlichen sechsten Platz. Wahrscheinlich war er danach in Belgien sogar so etwas wie ein Nationalheld.

Am 7. August 1914 sollte er zu einer tragischen Figur werden. Am 1. August 1914 hatte Deutschland Frankreich den Krieg erklärt, und der erste Weltkrieg hatte soeben begonnen. In einer feurigen Rede erklärte der Kaiser in Berlin, dass er nur noch Deutsche kenne. Das Volk jubelte ihm zu, die Begeisterung kannte keine Grenzen, eine überschwängliche Stimmung entlud sich.

Es galt, den Erzfeind Frankreich zu besiegen. Die deutschen Truppen sammelten sich bei Aachen. In Gemmenich in Belgien rissen die Soldaten am 4. August 1914 die ersten Schlagbäume nieder. Dass das Völkerrecht gegen die belgische Neutralität verletzt worden war, das war egal, denn Belgien war das Aufmarschgebiet gegen den großen Erzfeind im Westen. Als nächsten Meilenstein galt es, das Festungssystem von Lüttich zu erobern, das, in Beton verschanzt, mit insgesamt elf Einzel-Festungen eines der modernsten der damaligen Zeit war. Als Fußtruppen unterwegs, rechnete man in diesem Krieg noch in Tagesmärschen. Lüttich war 60 Kilometer von Aachen entfernt, also drei Tagesmärsche. Durch das Herver Land, durch den Voerstreek, durch das Maastal.

Zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen, konnten die belgischen Truppen zunächst keinen nennenswerten Widerstand mobilisieren. Anstatt dessen versuchten die Belgier aus Hinterhalten als Partisanen oder als Franc-tireur – diese Kriegsform war im deutsch-französischen Krieg 1870/71 entstanden -  Widerstand zu organisieren. Die deutschen Besatzer griffen in aller Härte durch. Am 5. August 1914 kam es in den Orten Battice, Berneau und Visé zu Massenschießungen. Noch heute nennt sich die Hauptstraße von Berneau nach Visé „rue des fusillés“ (Straße der Erschossenen). Außerdem wurde die Stadt Visé angezündet und durch einen Brand vernichtet.

Merkwürdigerweise hatte Marcel Kerff von diesen schrecklichen Ereignissen kaum etwas mitbekommen. Er wohnte in Moelingen, quasi einen Steinwurf von der niederländischen Grenze entfernt. In niederländisches Gebiet waren die deutschen Truppen bislang noch nicht einmarschiert, denn sie strebten ja geradewegs auf ihren Erzfeind Frankreich zu. Daher dürfte er sich dort auch sicher gefühlt haben. All die Heckenschützen rieben sich ein Stück weiter Richtung Lüttich auf. Visé oder Berneau, das war noch 5-6 Kilometer entfernt. Auch den Brand von Visé hatte er möglicherweise nicht gesehen, da zwischen Moelingen und Visé noch ein hügeliger Ausläufer des Herver Landes verläuft. Die Truppen waren durchmarschiert, Kämpfte tobten erst weiter maasaufwärts bei Lüttich, in Moelingen, diesem verschlafenen Provinznest, gab es keine Heckenschützen.

In dieser Situation sollte ihn etwas treiben, was ihn den Kopf kosten sollte: Neugierde. Er setzte sich auf sein Fahrrad und erkundete die Umgebung. Da war jede Menge Ruhe und jede Menge Stille, so wie er sein Heimatdorf kannte. Anfang August war das Getreide geerntet, die Äpfel reiften an den Bäumen, Pflaumen lagen auf den Streuobstwiesen.

Alles war idyllisch und die Welt war in Ordnung. Trotz des ersten Weltkriegs. Mit seinem Fahrrad bog er auf die Straße von Maastricht nach Battice ein. Das Fahrrad glitt in die Ebene des Maastals hinein. Er war nicht irritiert, sondern neugierig, dass am Straßenrand eine halbe Zeltstadt aufgeschlagen war. Dazwischen schweres Gerät, Gewehre, auf dem Boden Stahlhelme.

Naiv wie ein kleines Kind, fuhr er weiter, um nachzuschauen, um sich diese Neuigkeit aus der Nähe anzusehen. Der erste deutsche Soldat, der ihn erwischte, fuhr ihm ins Gesicht.

„Moment mal …
… was macht der denn hier ????
… hat der ein ganzes Regiment von Heckenschützen im Schlepptau ???
… besser, wir gehen auf Nummer sicher …
… bevor wir vor die Hunde gehen

… machen wir ihn ALLE !!!“

So könnte ungefähr die Reaktion der deutschen Soldaten ausgesehen haben. Er wirkte verdächtig – vielleicht sogar wegen des Gefährts auf zwei Rädern, welches in dieser Kriegssituationen vollkommen fehl am Platze war.

Am 7. August 1914 erhängten sie Marcel Kerff, weil sie Angst hatten, er könnte andere Heckenschützen mobilisieren, die dann wiederum die deutschen Soldaten aus dem Hinterhalt oder in der Nacht erschießen könnten. Marcel Kerff war der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort.

An der Straße von Maastricht nach Battice haben seine Nachfahren Marcel Kerff ein Denkmal gewidmet. Ein steinernes Kreuz in der Form von Baumstämmen. Für einen Radrennfahrer der Tour de France der allerersten Stunde.


Donnerstag, 2. August 2012

Verplempert, vergammelt, verpennt ...


… diese Formulierung hat mich in Perdita's Blog nicht losgelassen. Perdita’s Geschichte ist tragisch, denn sie leidet an Krebs. Gottseidank erfreue ich mich bester Gesundheit. Aber: verplempert, vergammelt, verpennt, das gilt genauso für meine eigene Biografie. So manche Zeitfresser kann ich aufzählen, die nutzlos das Zeitkontingent meines eigenen Lebens haben verstreichen lassen.

Nachdem ich die 50er-Altersmarke überschritten habe, neige ich stärker zu Rückblicken. Und bei diesen Rückblicken stoße ich auf Ineffizienzen bei Umgang mit der Zeit, die Identifizierung von unnützen Zeitfressern. Aristoteles definiert die Zeit als einzelne Augenblicke und als Zeit als solcher. Die Augenblicke stehen für sich, erst die Zeit verbindet sie zu einer Linie, die uns, wann immer wir an sie denken, an ihr Ende erinnert …. Ich versuche, die Augenblicke in ihrer Einzigartigkeit wahrzunehmen, und noch viel lieber schaue ich nach vorne, ich schmiede Pläne, was ich alles mit der noch zur Verfügung stehenden Zeit anfangen kann.

Verplempert, vergammelt, verpennt, wie ich in meinen jüngeren Jahren mit der Zeit umgegangen bin, das beschreibt einigermaßen treffend Pink Floyd in ihrem Stück „Time“, welches sich auf der LP „Dark Side of the Moon“ (1973) wiederfindet:

Tickend zerrinnt die Zeit eines langweiligen Alltags 
Du verplemperst und verschwendest gedankenlos die Stunden 
Lungerst herum in deinem Revier der Großstadt 
Und wartest auf irgendeinen, der dir weiter hilft
Müde vom Liegen in der Sonne 
bleibst du im Haus, um auf den Regen zu starren
Du bist jung, das Leben lang, 
und es gilt, Zeit totzuschlagen 
Und dann, eines Tages stellst du fest, 
zehn Jahre sind vorbei 
Niemand gab dir das Signal, loszurennen
du hast den Start verpasst. 

In jungen Jahren war sehr viel Orientierungslosigkeit dabei. Die Suche nach einer Ideologie. Die Suche nach einem geistigen Fundament, auf das ich meinen Lebensentwurf aufsetzen konnte. Zu vieles war polarisiert in Kommunismus und Kapitalismus. Die Lehren der Kirche waren mir zu fernab der Realitäten. Es dauerte, bis ich Bindungen und Beziehungen aufgebaut hatte. Oberflächlich an den Themen kratzend, war ich mir bis dahin vorgekommen wie in Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“: zu belanglosen Gesellschafen gehörend, belanglose Menschen kennenlernen, die über belanglose Themen redeten. Das Geplauder in dieser Gesellschaft war leer, und die Zeit ließ sich nicht modellieren, um daraus einen Inhalt formen.

Auch danach hatte ich mich zu oft verzettelt, weil mein Ziel nicht genau genug umrissen war. Es kommt derjenige schneller am Ziel an, der genau weiss, was er will. Zu oft und zu intensiv habe ich mir die Dinge links und rechts des Weges angesehen. Manchmal ist mir auch eine grundlegende Vision abhandengekommen.

Verplempert, vergammelt, verpennt, meine handwerklichen Fähigkeiten können auch einen Beitrag dazu leisten. Handwerklich nicht mit allzu vielen Talenten gesegnet, habe ich mit familiärer Unterstützung insgesamt acht Jahre einen Altbau renoviert mit dem Ergebnis, dass dieser für unsere familiären Bedürfnisse nicht erweiterbar war. Diesen Altbau haben wir schließlich 2008 verkauft und sind in ein ausreichend großes Haus umgezogen. Diese acht Jahre Renovierung (minus Zeiten, in denen es auch mal Pause beim Renovieren gab) waren sozusagen umsonst.

Erst vor einigen Jahren habe ich begonnen, die Dinge zu tun, die ich wirklich gerne tun möchte. Was über Jahrzehnte hinweg als Traum herum gegeistert ist, auch zu machen. Sozusagen ein Stück Selbstverwirklichung. Wie Ernst Bloch es in seinem Werk „Das Prinzip Hoffnung“ formuliert: Träume bewusst machen, leben in er-leben umwandeln, den Augenblick be-greifen und er-greifen. Bereits in den 80er Jahren hatte ich mehr oder weniger umfangreiche Literatur gelesen, Zeitungsberichte und Reportagen, Geschichtliches und Philosophisches, Romane und Erzählungen, Biografien und Sachbücher. Doch irgendwie meine Lehren und Schlüsse daraus gezogen, das hatte ich kaum.

Ich habe lernen müssen, mit Restriktionen umzugehen. Bereits Kant hatte in seinen Schriften zur Metaphysik festgestellt, dass die Zeit an für sich eine Restriktion ist. Der Mensch kann nicht mehrfach gleichzeitig handeln. Es muss also ausgewählt werden, welches Zeitkontingent wie verwendet wird. Geld ist die nächste Restriktion, dann folgt das Beziehungsgeflecht rund um Familie und Freundeskreis. Dies ist schätzungsweise die schwierigste Ebene der Restriktionen: Alter, Krankheit, Umgang mit Konfliktsituationen, Probleme bei der Erziehung, … Letztlich sind wir alle Teil einer Gemeinschaft, und übermäßig ausgeprägte Egoismen hinsichtlich der Zeitverwendung sind da fehl am Platze.

Verplempert, vergammelt, verpennt. Niemand wünscht sich, so aus der Umlaufbahn geworfen zu werden wie Perdita. Im Kampf gegen den Krebs wünsche ich ihr ganz viel Kraft und ganz viel Durchhaltevermögen !

„Carpe diem“: ich versuche, meine Zeit bewusst zu erleben, zu genießen und möglichst auch zu gestalten.

Um dem zu entkommen, was Pink Floyd schon fast grausam beschreibt:

Also rennst du und rennst, um
die Sonne zu fangen, die sinkt, 
Und du rennst im Kreis, nur um hinter dir selbst wieder aufzutauchen
Die Sonne ist noch ziemlich die selbe, doch du bist älter, 
mit kürzerem Atem und einem Tag näher dem Tod.